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Sure 85 Verse 4-8
Eine sprachwissenschaftliche Tour de Force

Der Koran scheint an manchen Stellen keinen Sinn zu ergeben. Man weiß nicht, worum es eigentlich geht. Diese Unklarheiten liegen nicht immer am Inhalt. Es könnten auch bewusst veränderte oder falsch verstandene Wörter Schuld sein, und nach einer sprachwissenschaftlichen Bereinigung kommt dann plötzlich doch ein verständlicher Inhalt zum Vorschein.

Von Prof. em. Dr. Manfred Kropp, Universität Mainz |
    "Verflucht seien die Leute des Grabens,
    des glühenden Feuers,
    wenn sie dort sitzen und bezeugen,
    was sie den Gläubigen angetan!
    Sie ärgerten sich über sie nur darum, dass sie an Gott glaubten, den Mächtigen, den Rühmenswerten…
    "
    Für den Anfang dieses Versauszugs in der Übersetzung von Hartmut Bobzin ist die meistbenutzte Deutung: die "Leute des Grabens" wurden vernichtet. Der Text soll auf eine Christenverfolgung durch einen jüdischen König in Südarabien in der Stadt Nadschran zu Anfang des 6. Jahrhunderts anspielen.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Der "Graben" - arabisch: "ukhdûd" - ist ein Wort, das im Koran nur einmal vorkommt. Häufig halten Koran-Ausleger solche Worte für Eigennamen. Ausnahmsweise tun sie es hier nicht. Dass es heute eine Örtlichkeit Ukhdûd bei der Stadt Nadschran in Saudi-Arabien gibt, ist der koranischen Erzählung zu verdanken.
    Die Wortform "ukhdûd" ist aber auch für Fremd- oder Lehnwörter aus dem Aramäischen belegt.* Es liegt nahe, in "ukhdûd" ein fremdes Wort zu sehen, umso mehr, als der nachfolgende Vers gleich die Bedeutung und Übersetzung liefert: "glühendes (Höllen-)Feuer". Im Aramäischen weist "ukhdûd" nämlich auf das Wort für "hochauflodernde (Flamme)" beziehungsweise für das altnordische "Waberlohe" hin [(u)gdo/ûd].
    Manfred Kropp sitzt in einem privaten Umfeld an einem Tisch und liest etwas.
    Manfred Kropp war lange Zeit Direktor des Orient-Instituts in Beirut und Istanbul. Als Professor lehrte er im In- und Ausland. (priv.)
    Der Ausdruck "sitzen" in dem Koranauszug ist nicht im konkreten Sinn zu verstehen. Er bezeichnet einfach die zeitliche Dauer einer Handlung oder eines Zustands, wie im Deutschen: "auf etwas (sitzen) bleiben".
    Beim Wort für: "jemandem etwas antun" versteigt sich traditionelle Deutung darauf, dies als Vergangenheitsform zu sehen, weil das Verständnis des Vorherigen dies so erfordert.
    Eine weitere Vergewaltigung arabischer Grammatik findet sich in der Deutung der Aussage: "dass sie [an Gott] glaubten". Im arabischen Text steht eigentlich: "auf dass sie [an Gott] glauben sollten". Hier erhebt sich die Frage, wer gemeint ist: die Gläubigen oder deren Widersacher.
    Die Deutung hängt am arabischen Wort "naqama" - zu Deutsch: "sich rächen an". In der weichgespülten Übersetzung von Hartmut Bobzin wird es mit "sich ärgern über" wiedergegeben. In beiden Zusammenhängen ergibt der Ausdruck "auf dass sie glauben sollten" keinen Sinn.
    Richtig wäre hier, "naqama" mit "fordern" oder "verlangen" zu übersetzen. Eine Erklärung geht wieder vom Aramäischen aus, wo das Wort "tǝbaʿ" beide Bedeutungen hat: "fordern, verlangen" und "rächen". Wenn jetzt ein Aramäisch sprechender christlicher Prediger in seinem Wörterbuch Aramäisch-Arabisch nachschlägt und für "tǝbaʿ" nur arabisch "naqama" findet, wird er auf nur eine der beiden Bedeutung hingewiesen. So kann es zu einem in der Übersetzungspraxis typischen Fehler kommen.
    Bis hierhin war es schon eine Tour de Force. Nun muss der Sprung über eine letzte Hürde kommen. Wer spricht, an wen richtet sich die Rede? Vergegenwärtigen wir uns die Szene: Widersacher bedrängen die Gläubigen. Ein Prediger, ergreift das Wort und verflucht sie. Doch alle beteiligten Personen werden in der dritten Person genannt.
    Mehrfachadressierung bei gleichzeitiger Sender- und Adressatenverschleierung durch die dritte Person statt der ersten Person "ich" beziehungsweise "wir" und der zweiten Person "ihr"! Dies ist in der öffentlichen und politischen Rede bis heute beliebt: Bundestagsreden sind formal an die Abgeordneten, eigentlich aber an das Wahlvolk draußen gerichtet.
    In Sure 85 spricht ein Prediger schräg an den eigentlich gemeinten Widersachern vorbei, aber für diese deutlich hörbar, von seinen und den Leiden der Gläubigen in der dritten Person, sein Wutausbruch gipfelnd in einer Verfluchung.
    Hier der gemäß der angesprochenen Gesichtspunkte bereinigte Text der erläuterten Koranpassage:
    "Krepiert, Gesellen der Waberlohe –
    des wohlgenährten Feuers,
    in dem ihr ewig bleiben sollt,
    Zeugnis abzulegen für das, was ihr uns antut!
    Verlangten wir doch nichts von euch, außer dass ihr an den mächtigen und preiswürdigen Gott glaubt …"
    *Der Autor legt gesonderten und besonderen Wert auf die Feststellung, dass die aramäische Deutung von Wörtern der Sura gleichzeitig und im wechselseitigen Austausch von Christoph Luxenberg und ihm gefunden wurde.