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Surfen auf Hawaii
Warten auf die Monsterwelle

Scheinbar schwerelos auf einem Brett über die Wellen gleiten - das ist die Idealvorstellung vom Wellenreiten. Der Sehnsuchtsort schlechthin für aktive Sportler ist Hawaii. Man kann dort besonders gut "Big Wave Surfen".

Von Kerstin Ruskowski |
    Der Surfer Jay Thompson (Australien) zeigt im November 2012 sein Können
    Surfer auf Hawaii (picture alliance / dpa / Kelly Cestari / Asp)
    Wenn die Wellen sechs Meter und höher sind, trauen sich die meisten Surfer gar nicht erst ins Wasser. Denn das hat dann nicht mehr viel mit entspanntem Surfen zu tun: bäuchlings auf dem Brett liegend anpaddeln, schnell aufstehen und gemächlich über den Kamm der Welle gleiten. In großen Wellen muss alles viel schneller gehen. Denn je wilder das Meer ist, desto unberechenbarer wird es auch. Große Wellen verlangen von Surfern viel mehr Wissen und Kraft als herkömmliches Wellenreiten. Wenn normale Menschen sich aus Angst vor einer plötzlichen Springflut nicht einmal mehr in die Nähe des Wassers wagen, schlägt die Stunde der Big-Wave-Surfer.
    Wie zum Beispiel Ken Bradshaw. Der mittlerweile 61-jährige gebürtige Texaner ist weit und breit der dienstälteste Big-Wave-Surfer. Seit den 60er Jahren drehte sich sein Leben meistens nur um eins:
    "Alles, was mich interessierte, war die nächste große Welle zu reiten und dann die nächste und die danach."
    Und er ist überzeugt: Ohne diese, sagen wir mal, bedingungslose Leidenschaft und Hingabe, wäre er nie so erfolgreich gewesen. Und vor allem nicht so lange.
    Besessenheit führt zum Erfolg
    "Die Dauerhaftigkeit meines Erfolgs beruht auf der Tiefe meiner Hingabe. Meine Hingabe beruhte auf Besessenheit. Ich war buchstäblich besessen. Da gibt es keinen Zweifel. Nichts anderes durfte mir im Weg stehen: keine Familie, keine Eltern, keine geliebten Menschen, keine Frauen, keine Schule, keine Jobs - ich ließ nicht zu, dass irgendwas meiner Leidenschaft fürs Surfen im Weg stand. Surfen stand an erster Stelle und in jeder neuen Beziehung machte ich klar, dass das auch immer so sein würde. Wenn Du was anderes erwartest, dann wird nie das dabei herauskommen. Also nochmal: Meine Besessenheit trieb mich an, meine Besessenheit war der Ziegel und Mörtel meines Erfolgs.
    Einen dieser Erfolge verzeichnete Ken Bradshaw am 28. Januar 1998, im Alter von 45 Jahren, als er eine Welle ritt, die gut 25 Meter hoch war. An einem Spot namens Log Cabins, einem Riff, das ein Stück vor der Nordküste Oahus liegt. Ein Beweisfoto gibt es nicht. Nur eine qualitativ ziemlich schlechte Videoaufnahme, von der Küste aus gefilmt. Ein Foto gibt es nur von einer Welle, die gute 18 Meter hoch war und fälschlicherweise eine Weile als größte Welle galt, die je geritten wurde. Doch für Ken Bradshaw geht es gar nicht so sehr um die schiere Höhe der Welle.
    Surfer auf Hawaii
    Surfer auf Hawaii (dpa / picture alliance / Kelly Cestari)
    "Größe, Größe ist nicht immer Höhe. Aber die meisten Leute heute scheinen nicht zu verstehen, dass die größte Welle heute Teahupoo in Tahiti ist. Diese Welle ist nicht übermäßig hoch, aber sie ist unglaublich massig und dick und unglaublich kraftvoll. Das ist 'ne große Welle. Die ist vielleicht nicht 25 Meter hoch, aber Junge, es gibt wenige Dinge auf der Welt, die man mit Teahupoo vergleichen kann, wenn es groß ist. Und ich, mir ging es um die schiere Masse und das Volumen der Wellen."
    Wie massiv und voluminös solche Wellen werden können, kann man sich im Internet ansehen. Dort kursieren Millionen von Surfvideos - auch von Big Wave Surfern. Schon beim bloßen Zugucken auf dem kleinen Computerbildschirm bekommt man eine Ahnung davon, wie gefährlich dieser Sport ist. Denn wenn die Wellen richtig groß sind, erinnert diese Art des Wellenreitens ziemlich stark ans Snowboarden: Die Wellen gleichen dann in Höhe und Steilheit einem Bergabhang. Wohlgemerkt einem Bergabhang, der sich mit gewaltiger Kraft bewegt. Die Surfer fallen mehr mit ihren Brettern entlang der Welle hinab, als dass sie auf ihrem Kamm reiten. Dabei die Kontrolle zu behalten ist große Kunst. Wer stürzt, riskiert sein Leben.
    "Eddie would go"
    Einer, der mit am besten wusste, wie gefährlich und unberechenbar das Meer sein kann, war Eddie Aikau. Der junge Hawaiianer machte sich zur gleichen Zeit einen Namen, als Ken Bradshaw mit dem Surfen anfing: In den 60er Jahren war Eddie Aikau bekannt als der erfahrenste Surfer in der gefährlichen Bucht von Waimea an der Nordküste der Insel Oahu. Und ab 1968 auch als Rettungsschwimmer, der in Waimea viele Menschen vor dem Ertrinken rettete. Eddie galt als Waterman:
    "Und das ist so ungefähr die größte Ehre, die man jemandem in Hawaii erweisen kann. Ein Waterman kann nicht nur schwimmen und tauchen und fischen und surfen und segeln - sondern, er macht einfach alles auf dem Wasser, denn da fühlt er sich wohl."
    Stuart Coleman ist selbst Surfer und - er hat ein Buch geschrieben über das Leben von Eddie Aikau. Denn in Hawaii wird der Waterman bis heute als Held verehrt. Der Spruch "Eddie would go" ist allgegenwärtig - im täglichen Sprachgebrauch, auf T-Shirts oder Aufklebern an Autostoßstangen. Dass Eddie für die Menschen in Hawaii zu einer Art Heiligenfigur geworden ist, hat mit der Hokulea zu tun, einem großen Reisekanu mit Doppelrumpf und Segel, das die Hawaiianer in den 70er Jahren bauten. Es war eine genaue Replik der Reisekanus, mit denen die Polynesier Hunderte Jahre zuvor von Tahiti aus über den Pazifik nach Hawaii gesegelt waren. Doch nicht alle glaubten an diese Version der Geschichte.
    "Es gab Theorien, wonach die Polynesier angeblich nicht talentiert genug waren beziehungsweise keine moderne westliche Ausrüstung hatten und keinen Kompass und keinen Quadranten, um quer über den Pazifik zu segeln. Aber Hawaiianer, wie Eddie, wussten, dass ihre Vorfahren in ganz Polynesien herumgesegelt waren und dass sie die ursprünglichen Siedler in Hawaii gewesen waren."
    Strand und Meer
    Makapuu Beach Park bei Honolulu auf der Insel Oahu. (dpa / picture alliance / Uwe Anspach)
    Um zu beweisen, wie gut auch sie noch immer nach den Sternen navigieren konnten, bauten die Hawaiianer also ein historisches Kanu nach. 1976 legte die Hokulea ab - und segelte in 30 Tagen in umgekehrter Richtung von Hawaii nach Tahiti. Doch:
    "Es gab Leute, die sagten: Oh, es gab ein Eskortboot hinter der Hokulea, das ihre Position erfasste. Also könnte es sein, dass dieses Eskortboot auch Informationen darüber funkte, wo die Hokulea langsegeln sollte."
    Das wollten die Hawaiianer nicht auf sich sitzen lassen.
    "Also beschlossen sie, bei der nächsten Überfahrt 1978 kein Eskortboot mitzunehmen - und das war der fatale Unterschied."
    Bei dieser zweiten Überfahrt war Eddie Teil der Besatzung. Doch die Hokulea konnte Oahu nicht zur geplanten Zeit verlassen: Viele tausend Leute und auch viele Politiker waren gekommen, um die Besatzung zu verabschieden. Die Reden zogen sich bis in den Abend - und das Wetter wurde schlechter und schlechter. Trotzdem wurde die Überfahrt nicht abgeblasen.
    "Niemand wollte losfahren, aber da waren fast 10.000 Leute, sodass der Druck einfach enorm war. Also sind sie losgesegelt, kurz vor der Dämmerung, obwohl sie es eigentlich besser wussten. Sie legten ab, als die Winde stärker und die Wellen höher wurden."
    Gestorben beim Versuch, andere zu retten
    Nachdem die Hokulea etwa fünf Stunden lang in Richtung Tahiti gesegelt war, wurde das Kanu von einer großen Welle umgeworfen.
    "Die Situation ist also folgende: Sie sitzen mitten in einer der gefährlichsten Meerengen der Welt - dem Kahiwi Kanal, das bedeutet Knochen, denn dort befinden sich die Knochen von zahllosen Seeleuten - und sie warten auf Hilfe. "
    Ohne Notfall-Funkgerät und ohne Notfallhorn, denn die sind beim Kentern verloren gegangen. Zwei Besatzungsmitglieder erleiden einen Schock und zeigen erste Anzeichen von Unterkühlung. Eddie schlägt vor, mit seinem Surfbrett zur nächsten Insel zu paddeln, um Hilfe zu holen. Aber der Kapitän ist dagegen. Zu gefährlich. Schließlich liegt die nächste Insel etwa 20 Kilometer entfernt.
    "Am Morgen des nächsten Tages, am 17. März, schaute der Kapitän sich um und sah die beiden Besatzungsmitglieder unter Schock und krank und er dachte: Vielleicht schaffen sie es nicht, vielleicht sterben sie. Also ließ er Eddie auf seinem Surfbrett lospaddeln. Und wie er da in Richtung Horizont paddelte, wurde er nie wiedergesehen."
    Eddie, der Waterman, starb 1978 auf offener See, mit nur 31 Jahren, bei dem Versuch, anderen zu helfen. Tragisch, wenn man bedenkt, dass kurz nach seinem Verschwinden die übrigen Besatzungsmitglieder gerettet wurden.
    Um sich daran zu erinnern, wie gutherzig Eddie war, wird seit 1984 jeden Winter an seinem Stamm-Surfspot, der Bucht von Waimea, der "Quiksilver in Memory of Eddie Aikau" zelebriert. Für Big Wave Surfer ist es heute der prestigeträchtigste Wettbewerb überhaupt. Zu seinem Mythos trägt auch bei, dass der "Eddie" bisher nur acht Mal stattgefunden hat. Denn wie gesagt, von echten "big waves" spricht man ab einer Höhe von sechs Metern. Und so lautet das Motto des "Eddie": "The bay will call the day" - Die Bucht wird den Tag bestimmen. Sind optimale Bedingungen gegeben, reicht ein Wettkampftag, um den Sieger zu ermitteln.
    Hawaiianische Renaissance
    Doch ums Gewinnen geht es den Teilnehmern des Eddie gar nicht so sehr. Sondern um Kameradschaft - und um Eddie als Vorbild. Das sehen nicht nur die Surfer so, denn der Spruch "Eddie would go" lässt sich auf alle möglichen Situationen übertragen.
    "'Eddie would go' hat nichts mit Eddies Surfvermögen in großen Wellen zu tun, sondern damit, dass er bereit war, sich selbst zu opfern, um andere zu retten - als Rettungsschwimmer, auf der Hokulea und so weiter. Heute sagen die Leute das die ganze Zeit. 'Eddie would go' - Eddie würde gehen."
    Denn durch sein selbstloses Handeln ist Eddie Aikau zum Inbegriff hawaiianischer Nächstenliebe geworden - man könnte auch sagen, zu einer Personifizierung von Aloha. Denn Aloha, das bedeutet Freundlichkeit, Harmonie, Bescheidenheit, Beharrlichkeit, Nächstenliebe. Und deswegen ist die Geschichte von Eddie Aikau zwar traurig, aber gleichzeitig hat sein Tod dazu beigetragen, dass die Hawaiianer sich wieder auf ihre Kultur besonnen haben.
    "Eddies Tod hat ironischerweise zu dieser hawaiianischen Renaissance beigetragen, denn dadurch fühlten sich die Menschen seinem Gedanken umso stärker verpflichtet - und auch dem Segeln der Hokulea. Deswegen haben sie das Reisekanu zwei Jahre später noch einmal nachgebaut und sind damit nach Tahiti gesegelt - im Gedenken an Eddie. Und seitdem ist dieses Kanu über den gesamten Pazifik gesegelt."