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Susan Neiman über Antisemitismusvorwurf
"Man muss die Politik Israels kritisieren"

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung wirft dem Historiker Achille Mbembe vor, die Grenze zum Antisemitismus überschritten zu haben, weil er das südafrikanische Apartheids-Regime mit der israelischen Regierung vergleicht. Die Philosophin Susan Neiman verteidigt Mbembe im Dlf.

Susan Neiman im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Susan Neiman, amerikanische Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums
Die Amerikanerin Susan Neiman ist auch israelische Staatsbürgerin und leitet seit rund 20 Jahren das Einstein Forum in Potsdam (Imago | Jürgen Heinrich )
Antisemitismus ist heute nicht mehr mit einem Rechts-Links-Schema erklärbar - denn Angriffe gegen Juden, verbal oder physisch, kommen aus allen politischen Lagern. Die überwältigende Mehrheit der antisemitischen Gewalt hat allerdings einen rechtsextremen Hintergrund, wie Statistiken des BKA nachweisen.
Wird von links der Vorwurf laut, geht es oft um eine kritische Sicht auf die Politik des Staates Israel. So wie im Fall des kamerunischen Historikers und Philosophen Achille Mbembe, einem im globalen Wissenschaftsdiskurs anerkannten postkolonialen Theoretiker, der seit vielen Jahren auch Vorträge in Deutschland hält und dieses Jahr auf der Ruhrtriennale die Eröffnungsrede halten sollte. Dagegen protestierte unter anderem der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Felix Klein.
Antisemitismus-Debatte - "Über Mbembes Thesen muss man reden"
Im Streit um den Historiker Achille Mbembe, dem Kritiker antisemitische Positionen vorwerfen, haben sich 700 afrikanische Intellektuelle zu Wort gemeldet.

Die Ruhrtriennale ist nun abgesagt, der Streit geht aber weiter. Der Vorwurf lautet: Achille Mbembe relativiere den Holocaust und sei in seiner Kritik gegen die Besatzungspolitik des Staates Israel antisemitisch, außerdem unterstütze er die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions), die die Bundesregierung 2019 als antisemitisch eingestufte.
"Ich nehme Mbembe ab, wenn er sagt: ‚Ich bin kein Antisemit'"
Die amerikanische Philosophin Susan Neiman, die auch die israelische Staatsbürgerschaft hat und seit rund 20 Jahren das Einstein-Forum in Potsdam leitet, stellt sich hinter Mbembe. "Ich nehme Mbembe ab, wenn er sagt: 'Ich bin kein Antisemit.' Ich nehme ihm ab, wenn er sagt: 'Es gibt keine Unterstützung für den BDS.'"
Man müsse genauer hinschauen, woher seine israel-kritische Sicht komme. In der postkolonialen Forschung sei diese nämlich sehr verbreitet. "Es gibt bei vielen postkolonialistischen Denkern einen nicht besonders differenzierten Blick auf die Geschichte. Man konzentriert sich nur auf den klassischen Kolonialismus, und Israel wird einfach gleichgesetzt mit englischem oder französischem Kolonialismus. Und das verfälscht die Geschichte."
Debatte - Darum geht es beim Streit um Achille Mbembe
Der kamerunische Historiker Achille Mbembe steht im Zentrum einer aufgeregten Debatte. Sie dreht sich um die gegen ihn gerichteten Vorwürfe des Antisemitismus und der Relativierung des Holocaust. Außerdem soll Mbmebe das Existenzrecht des Staates Israel infrage stellen. Wer erhebt diese Vorwürfe, aus welchen Gründen? Ein Überblick.
Rechte Geschichtslehrer gefährlicher als postkoloniale Israel-Kritiker
Der "Aufruhr" um Mbembe sei letztlich auch deswegen unverhältnismäßig, weil hier an der falschen Stelle gegen Antisemitismus gekämpft werde. "Es gibt sehr viele rechte Gymnasiallehrer, vor allem Geschichtslehrer in Deutschland. Die AfD ist voll davon. Wir kennen Björn Höcke, es gibt Hunderte davon. Wir wissen ja, mit dem Radikalenerlass, Leute die links belastet waren, die wurden in den Siebzigern alle mit Lehrverbot konfrontiert." Man denke nicht daran, zu untersuchen, wie viel Lehrer AfD-Gedankengut verbreiteten. "Ich würde sehr gern sehen, dass man solche Menschen untersucht, anstatt dass wir uns auf einen einzigen postkolonialen Denker konzentrieren. Ich finde, diese Lehrer sind viel gefährlicher."
"Wer mal einen Tag in den besetzten Gebieten verbracht hat, wird diese Parallele sofort sehen"
Letztlich, so Neiman, liege Mbembe auch nicht falsch, wenn er die Politik Israels mit der Apartheid in Südafrika vergleiche, wogegen der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Felix Klein, ebenfalls protestierte. "Doch, man kann es schon vergleichen. Man hat es schon lange verglichen. Der große südafrikanische Friedenskämpfer Breyten Breytenbach hat das schon vor Jahren gemacht und es haben etliche Menschen gemacht. Wer mal einen Tag in den besetzten Gebieten verbracht hat, und das habe ich gemacht, ein paar Mal, mit israelischen Freunden, die mit der Friedensbewegung dort arbeiten, wird diese Parallele sofort sehen", so die Philosophin Neiman. "Man muss die Politik Israels kritisieren."
Die Politik Netanjahus sei Trump-treu und gefährlich, so die Leiterin des Einstein-Forums. "In Israel hat man es derzeit mit der rechtesten Regierung in der Geschichte Israels zu tun. Diese Regierung tendiert immer weiter nach rechts. Der israelische Philosoph Omri Boehm wird demnächst ein Buch bei Suhrkamp herausbringen, in dem er die jetzige Regierung Netanjahus mit einer möglichen deutschen AfD-Regierung vergleicht. Das ist gar nicht falsch."