Die Demokratie in Brasilien sei "in einer entscheidenen Phase", sagte die in weiß gekleidete Rousseff. Ihre Anhänger riefen: "Dilma, Kriegerin des brasilianischen Vaterlands." 55 von 81 Senatoren hatten am Ende - nach mehr als 20 Stunden Debatte - für die Suspendierung Rousseffs gestimmt. Für 180 Tage darf die Staatschefin ihr Amt erst einmal nicht ausüben. In dieser Zeit sollen die Vorwürfe gegen sie genau geprüft werden.
Rousseff wird zur Last gelegt, mit Buchhaltungstricks Staatsdefizite geschönt zu haben, um vor ihrer Wiederwahl 2014 mehr Unterstützung zu bekommen, berichtet ARD-Korrespondent Julio Segador. Die Politikerin fühlt sich ungerecht behandelt. Auch frühere Präsidenten hätten solche Methoden genutzt. Sie habe sich nichts zu schulden kommen lassen, sagte Rousseff. "Es gab kein Verbrechen." So seien sechs Dekrete zur Vergabe staatlicher Kredite korrekt gewesen. Bei Twitter schrieb sie: "Der Kampf gegen den Putsch ist lang. Es ist ein Kampf, der gewonnen werden kann - und wir werden gewinnen. Dieser Sieg hängt von uns allen ab."
Temer wird Interims-Präsident
Mit der Entscheidung des Senats wird der Weg frei für ihren bisherigen Vize Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), der Interimspräsident des fünftgrößten Landes der Welt wird. Er gilt als Strippenzieher im Hintergrund, der das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff eingeleitet hat. Den Brasilianern ist er jedoch wenig bekannt. Wollte Temer direkt ins Präsidentenamt gewählt werden, wäre er chancenlos: In Umfragen kommt er auf ein bis zwei Prozent der Wählerstimmen.
Eine Mehrheit der Brasilianer befürwortet das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff. Ihre Umfragewerte sind zuletzt deutlich gefallen. Ihren konservativen Gegnern wirft die suspendierte Präsidentin, die dem politisch linken Lager angehört, vor, einen Staatsstreich begehen zu wollen. Temer sei ein "illoyaler Verräter", sagte sie einmal.
Rousseff wurde im Januar 2011 die erste Präsidentin Brasiliens. Seitdem ging es mit dem Land wirtschaftlich bergab, es steckt in einer tiefen Rezession. Viele Politiker sind außerdem in Korruptionsvorwürfe verstrickt. Auch diese Punkte spielen bei dem Amtsenthebungsverfahren hintergründig eine Rolle. Nach Angaben von Mitarbeitern hat sich Rousseff schon auf ihre Suspendierung vorbereitet: Sie werde ihre Minister entlassen und sie darum bitten, sich nicht an einer Übergangsregierung unter ihrem politischen Kontrahenten Temer zu beteiligen.
Proteste vor dem Nationalkongress
Rousseffs Arbeiterpartei (PT) hat zu Protesten gegen die Entmachtung der Staatschefin aufgerufen. Vor dem Nationalkongress kam es während der Debatte im Senat zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Polizisten setzten Tränengas gegen Anhänger der linken Politikerin ein, die ihrerseits mit brennenden Fackeln warfen. Etwa 6000 Befürworter eines Amtsenthebungsverfahrens riefen "Hinaus mit Rousseff". Eine Mitarbeiterin des US-Senders FoxNews twitterte ein Video von dem Protestzug in Brasilia, als er sich auf dem Weg zum Kongress befand.
Lange Debatte mit 81 Senatoren
Im Senat hatte sich die Debatte in die Länge gezogen. Die 81 Senatoren hatten jeweils 15 Minuten Redezeit, viele überzogen aber. Sowohl Unterstützer als auch Gegner von Präsidentin Rousseff machten ihrem Ärger Luft. Von einem Brasilien, das an Diabetes erkrankt sei und dem man ein Bein amputieren müsse, sprach ein Senator von der oppositionellen Republikanischen Partei. Ein Befürworter Rousseffs erklärte dagegen, das Amtsenthebungsverfahren beruhe nur auf Revanchismus, Hass und Rache.
"Temer nicht besser als Rousseff"
Der deutsche Politiker Alexander Ulrich von der Partei Die Linke erklärte, er befürchte unruhige Zeiten in Brasilien. Die politische Landschaft sei gespalten und der neue Interimspräsident Temer nicht besser als Rousseff, sagte er im DLF. Im Gegenteil: Temer habe "mehr Dreck am Stecken" als die suspendierte Präsidentin. Zudem hält er das Amtsenthebungsverfahren grundsätzlich für bedenklich und sprach von einem Staatsstreich.
Nicht ganz so weit wollte der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sao Paolo, Thomas Manz, gehen. Er sagte im DLF, mit dem Amtsenthebungsverfahren werde in Brasilien gerade ein politisches Instrument für einen Zweck verwendet, für den es nicht geschaffen worden sei. Es sei zwar kein Putsch, aber es handele sich um einen Bruch der demokratischen Ordnung.
(nch/adi/pr/am)