Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt Luciana Rangel. Sie ist Journalistin und arbeitet für den brasilianischen Fernsehsender TV Globo. Schönen guten Tag, Frau Rangel.
Luciana Rangel: Hallo! Guten Tag.
Rangel: Mit wie viel Sorge blicken Sie nach Brasilien?
Rangel: Ich fange mal an mit dem Politologen Mauricio Santoro, der vor ein paar Tagen sagte: Wer Ahnung hat, was in Brasilien los ist, bitte erkläre uns das, weil die Situation ist sehr schwierig. Ich persönlich sehe das mit sehr großer Sorge und ich habe wirklich Sorge, dass dieser Impeachment-Prozess (Dt.: Amtsenthebungsverfahren, Anm. d. Red.) unserer Demokratie, unserer sensiblen Demokratie schadet.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, das war jetzt ein Fehler, eine Fehlentscheidung des Senats, für dieses Amtsenthebungsverfahren, für die Suspendierung zu stimmen?
Rangel: Meiner Meinung nach ja, weil Dilma Roussef wurde gewählt, demokratisch gewählt, und wenn die Brasilianer jetzt nicht so zufrieden sind, sollen sie zwei Jahre warten und dann noch mal wählen. Das ist der demokratische Weg. Impeachment - ich sehe keinen Grund, dass unsere Präsidentin jetzt in einem Impeachment-Prozess suspendiert wird. Dafür sehe ich wirklich keine …
Heckmann: … keine Notwendigkeit dafür?
Rangel: Genau.
Heckmann: Das ist interessant und so denken ja viele Brasilianer und Brasilianerinnen auch. Aus meiner Sicht ist das überraschend, weil dieser Wahlsieg, den Frau Roussef ja eingefahren hat, der gründete doch offenbar auf falschen Informationen.
"Sehr positiv, dass wir wissen, dass sie alle korrupt sind"
Rangel: Ja. Ich habe gerade gelesen, 55 unserer Senatoren sagen Ja und 22 Nein. Aber wenn man sieht und sich wirklich genau anguckt, wer gewählt hat über diese Suspension, die sind meistens aus der DB-Partei, dieser Partei der demokratischen Bewegung von dem Vizepräsidenten Michel Temer, die dafür sind, dass sie suspendiert würde. Das ist eine Partei und Leute, die natürlich schon lange an der Macht sind, und die wollen natürlich, das Ziel ist immer, an der Macht zu bleiben.
Heckmann: Aber trotzdem die Nachfrage, Frau Rangel. Ist es nicht ein schwerwiegender Vorwurf, der einfach untersucht werden muss, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass die Präsidentin, die amtierende Präsidentin das brasilianische Volk belogen hat?
Rangel: Das ist sehr kompliziert. Ich denke, alle sollen untersucht werden, unsere Präsidentin, die Arbeitspartei, die DB, sogar Michel Temer, der wirklich viele Prozesse schon hat. Es ist schwierig. Es ist ein Moment in Brasilien, der für alle so schwierig ist. Auf einer Seite finde ich es sehr positiv, dass wir genau wissen, was da los ist, dass sie alle irgendwo korrupt sind, und sie müssen alle kontrolliert werden. Aber bei Dilma Roussef ist noch keine Bestätigung. Es ist sehr kompliziert.
"Ein System, wo alle denken, dass es normal ist, korrupt zu sein"
Heckmann: Ja, die Situation ist in der Tat kompliziert. Wir versuchen, uns selber hier auch von Deutschland aus ein bisschen den Überblick zu verschaffen. Sie sagten gerade eben, der Eindruck entsteht, dass alle korrupt sind. Ist das so, dass Brasilien regiert wurde in den letzten Jahrzehnten von einer Clique korrupter und verlogener Parteien?
Rangel: Leider ja. - Leider ja. - Es ist so ein System, wo alle denken, dass es schon normal ist, korrupt zu sein. Deswegen finde ich es sehr interessant, wenn die Politiker zum Fernsehen gehen. Sie verstehen nicht, warum sie was Falsches machen, weil es ist schon normal. Es gehört schon dazu, solche Geschäfte mit großen Firmen zu haben. Das gehört schon dazu. Deswegen verstehen die Leute das nicht so ganz, ich meine die Politiker. Aber es ist absolut korrupt.
"Die Brasilianer werden jetzt Politiker"
Heckmann: Haben Sie denn die Hoffnung, dass sich jetzt irgendwas ändert?
Rangel: Ja, ja. Schlimmer kann es nicht mehr werden. Mein Gefühl ist, das wird jetzt eine sehr schwierige Situation und Momente, aber danach ist es dann schon mehr klar für alle. Die Brasilianer werden jetzt Politiker. Das finde ich sehr gut, weil wir jetzt als Volk, als Bevölkerung wissen, was ist los und mehr sich engagieren. Das war immer unser Problem. Wir haben immer alles toll gefunden. Wir fanden alles toll und dann ist es egal, ob wir in einem korrupten Land leben oder nicht. Das finde ich sehr positiv.
Heckmann: Luciana Rangel war das, Journalistin des brasilianischen Fernsehsenders TV Globo. Frau Rangel, danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.
Rangel: Bitte schön! - Vielen Dank.
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