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Suters neuer Wissenschaftsthriller
Rasante, globale Elefantenjagd

In Martin Suters neuem Roman gehen ein Obdachloser, ein skrupelloser Wissenschaftler, ein burmesischer Elefantenflüsterer und weitere illustre Gestalten auf die Jagd nach einem mit Gentechnik erzeugten Elefanten. Gründlich recherchiert und unterhaltsam geschrieben, meint unser Rezensent.

Von Thomas Böhm |
    Cover - Martin Suter: "Elefant"
    Cover - Martin Suter: "Elefant" (Diogenes Verlag / picture alliance / dpa / epa)
    Das Erfolgsformel, mit der Martin Suter vor gut 20 Jahren seinen Durchbruch schaffte, lautet: Man nehme ein Krimihandlung, versetze sie mit gesellschafts- und medizinkritischen Ansätzen, erzähle sie im Stile eines Hollywoodfilms – und schon hat man einen Bestseller, auf den sich Publikum und Kritik einigen können. Nach dieser Formel scheint auch Suters neuer Roman "Elefant" hergestellt, der jüngst erschienenen ist. Darin gehen ein Obdachloser, ein skrupelloser Wissenschaftler, ein burmesischer Elefantenflüsterer und etliche andere illustre Gestalten auf die Jagd nach einem gentechnisch erzeugten Elefanten. Thomas Böhm hat Wissenschaftsthriller, der in dieser Woche auf Platz 1 der "Spiegel"-Bestenliste rangiert, für uns gelesen – und gewinnt ihm vor allem unheimliche Seiten ab.
    Das Monströse tritt uns zu Beginn von Martin Suters neuem Buch in Gestalt des Niedlichen entgegen: als Elefant im Bonsai-Format, rosarot, im Dunkeln leuchtend. Doch Moment – natürlich existiert es ein solches Wesen nicht, wir sehen es in der ersten Szene des Romans durch die Augen des Obdachlosen Schoch, in dessen Schlafhöhle an der Zürcher Limmat das niedliche Monster aufgetaucht ist. Und Schoch ist betrunken. Wir können also beruhigt sein, rosa Minielefanten gibt es nicht.
    Erzeugung von rosa Minielefanten theoretisch möglich
    Dass es sie aber geben könnte, dass ihre Erzeugung gentechnisch längst möglich ist – diese Bemerkung eines Wissenschaftlers hat den Schweizer Bestsellerautor Suter nicht losgelassen. Und nun hat er das rosarote Wundertier erschaffen, in seinem neuen Roman "Elefant".
    Suter lässt es entstehen im Labor eines Genforschers namens Roux. Der ist skrupellos, aus Rache. Einst hat sein Doktorvater ihn um die Früchte seiner Arbeit gebracht. Nun will Roux mittels "patentierbarer Tiere", angeboten als "lebendiges Spielzeug" Millionen scheffeln. Dafür überschreitet er beim Eingriff ins Erbgut der Versuchstiere alle ethischen Grenzen.
    "Er hatte die Operation schon oft gemacht, davon zeugten die Hasen, Rhesusaffen und Kaninchen, die in den abgedunkelten Räumen entlang des Korridors grünlich, bläulich und rötlich leuchteten. Das schönste Resultat dieser Experimente war Rosie, ein Skinny Pig, ein haarloses Meerschweinchen. Roux hatte die Leucht-Gene in die Eizelle injiziert, diese befruchtet und in die Gebärmutter eines normalen Meerschweinchens eingepflanzt. Nach 60 Tagen gebar die Leihmutter drei pinkfarbene Meerschweinchen."
    Spiel mit dem Motiv der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
    Für diese Genlabor-Passagen in Suters Roman haben nicht die Klassiker der Literatur über fehlgeleitete Wissenschaftler wie "Frankenstein" oder "Die Insel des Dr. Moreau" Modell gestanden, sondern: die Wirklichkeit. Tatsächlich sind es Experimente mit Leuchtstoffen, sogenannten Luziferinen, die in der Genforschung der letzten Jahre spektakuläre Fortschritte im wahrsten Sinne sichtbar gemacht haben. Martin Suter spielt in seinem Roman äußerst subtil mit dem Motiv der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, des Wahrnehmbaren und des Ignorierten. Der klinischen Welt der Labors, in denen die Tiere der Zukunft geschaffen werden, setzt Suter die kaputte Welt der Obdachlosen entgegen, die keine Zukunft haben. Und deren Tiere Problemfälle sind:
    "Einen großen struppigen Mischling hatte Ormalinger besessen, einen "Riesenschnauzschäfer", wie er ihn genannt hatte. Bei einer Fastnacht hatte das Tier einen Fünfjährigen gebissen, der ihn als Darth Vader verkleidet mit seinem Lichtschwert bedrohte. Die Verletzung war nicht schlimm, aber der "Riesenschnauzschäfer" wurde beschlagnahmt und eingeschläfert. Das hatte den Alkoholiker Ormalinger zum Schwerstalkoholiker werden lassen."
    Bei der Leichtigkeit und Unterhaltsamkeit, mit der Suter erzählt, kann schnell übersehen werden, wie gründlich sein Buch recherchiert ist. Die Schilderungen so unterschiedlicher Sphären wie Zürcher Pennertreffpunkte, der weltweite Handel mit Genmaterial, die Welt eines Zirkus – all das wirkt stimmig. Und dient zudem der Spannungssteigerung. Denn kaum ist der rosa Elefant in der Welt, ist er auch schon entlaufen. Und die Suche nach ihm beginnt: führt von Obdachlosenschlafhöhlen hinein in leer stehende Villen, von Genlaboren in Gebetstempel in Myanmar.
    Mittels der rasanten, globalen Elefantenjagd, die Suter in seinem Roman inszeniert, führt er vor, dass genetisch veränderte Wesen, sollten ihre Schöpfer dereinst die Kontrolle über sie verlieren, die Lebenswelt aller Menschen beeinflussen werden. Aller Gesellschaftsschichten, aller Kulturen. Weltweit. Dies wird an der Figur des burmesischen Experten Kaung, eines sogenannten Elefantenflüsterers vorgeführt, der dabei ist, als der rosa Elefant geboren wird.
    "Kaung schaute dem kleinen Fabelwesen zu, wie es fast einen Deziliter Milch trank. Er war nicht einmal doppelt so groß wie das Babyfläschchen. Der Regen trommelte seinen endlosen Wirbel auf das Zeltdach. "Barisha", murmelte Kaung, das Hindi-Wort für Regen. Und so sollte der kleine Elefant von nun an heißen."
    Immer wieder Momente der Irritation im Roman
    Das Wort für ein natürliches, lebensspendendes Phänomen als Name für ein unnatürlich erzeugtes Lebewesen. Es sind diese perfiden Widersprüche im Detail, kleine im Text ausgelegte Widerhaken, die bei allem Tempo der Geschichte immer wieder Momente der Irritation auslösen. Dazu gehört auch die zunächst verwirrend erscheinende Chronologie der Handlung. Von Kapitel zu Kapitel springt der Text zwischen den Zeitebenen, zwischen dem Jahr 2013, dem Jahr 2016, Kapiteln, die mit "Am gleichen Tag" überschrieben sind. Um schließlich in der nahen Zukunft zu enden. Mit anderen Worten: Diese Geschichte über genetische Wundertiere spielt in unserer Gegenwart. Ihre Anfänge haben wir nicht ganz mitbekommen, die Tiere nicht wirklich wahrgenommen. Aber bald schon wird uns ein rosa Rüssel aus dem Dunkeln berühren.
    Martin Suter: "Elefant", Diogenes Verlag, 348 Seiten, 24 Euro.

    Vieles, was Martin Suter in seinen Roman "Elefant" beschreibt, mag unwahrscheinlich klingen, unmöglich ist es nicht. Die DLF-Forschungsredaktion hat den Faktencheck gemacht.