Die Sonne scheint. Herrlich altmodisch ist die "Lilien-Hymne" von Alberto Colucci. Irgendwie 80er. Stehengeblieben in den goldenen Zeiten von Darmstadt 98. Damals, als man schon zweimal in der ersten Bundesliga vertreten war. Mit den Starspielern Peter Cestonaro und Bum-Kun Cha.
Jetzt sind sie also wieder da, die Darmstädter. Durchmarschiert aus der dritten Liga mitten rein ins Oberhaus. Nach dem inzwischen legendären Aufstiegstreffer gegen St. Pauli am letzten Spieltag der vergangenen Saison. Vielleicht eine noch größere Sensation als der Aufstieg des SC Paderborn ein Jahr zuvor. Nochmal "ne Nummer krasser", meint Lilien-Trainer Dirk Schuster:
"Paderborn war bis dahin vor dem Aufstieg schon eine gestandene Zweitligamannschaft, die völlig verdient in die ersten Liga aufgestiegen ist. Ich glaube, bei uns ist das noch eine Spur härter. Wir sind in die dritte Liga gekommen und dann durchmarschiert bis in die erste Liga. Das hätte keiner für möglich gehalten."
Aufstieg trotz Mini-Budget
Warum der Aufstieg so eine Sensation war? Weil Darmstadt 98 ein kickender Anachronismus ist. Nicht nur das Vereinslied. Der gesamte Marktwert des Kaders inklusive der Neuerwerbungen: 17 Millionen Euro. Irgendwie 80er. Zum Vergleich: Branchenprimus Bayern München kostet laut Transfermarkt.de momentan ungefähr 560 Millionen.
Und vor allem: Das Merck-Stadion am Böllenfalltor. Auch hier setzt man auf Tradition. Trotz des relativ neuen Sponsors im Namen der Arena. Die eigentliche Bezeichnung ist geblieben. Längst baufällig. 17.000 passen rein. Der größte Teil davon Stehplätze. Auch das irgendwie 80er. Selbst die VIP-Business-Light-Partner müssen im Stadion stehen. Unüberdacht. Für 3.396 Euro pro Saison zuzüglich Mehrwertsteuer für zwei Karten und Bewirtung im Zelt.
Es scheint, als käme mit Darmstadt 98 die gute, alte Zeit zurück in die Bundesliga. Der Gegenpart zu Mit-Aufsteiger Ingolstadt, dem Club mit viel weniger Tradition. Kein Konstrukt wie RB Leipzig, das nach oben drängt. Kein Werksteam wie Leverkusen oder Wolfsburg, kein Emporkömmling wie Hoffenheim. Fußball pur. Fußballer zum Anfassen.
Nach den Spielen verschwinden die Protagonisten nicht unterirdisch in den Mannschaftsbus. Hier, am Böllenfalltor, müssen sie zu Fuß an den Fans vorbei zum Parkplatz laufen. "Wir Lilien - aus Tradition anders", ist denn auch der Markenclaim bei Darmstadt 98. Immerhin: ein Claim. Moderne Marketingmethoden.
Fußball wie in den 80ern
Auch ein neues Stadion ist in Planung. Aber man will besonders bleiben. Mindestens zur Hälfte Stehplätze. Eben fast alles Tradition. Dass man mit Fußball-Romantik alleine aber den Klassenerhalt nicht schaffen kann, ist allen klar. Den Fans, den Spielern, und den Verantwortlichen wie Dirk Schuster:
"Wir sind uns auch bewusst, dass wir vielleicht das eine oder andere Spiel mal verlieren werden. Aber das haben wir in der zweiten Liga auch. Da hatten wir auch den einen oder anderen Nackenschlag zu verkraften, sind immer wieder aufgestanden. Ich denke, dass das die Mannschaft auch in der ersten Liga an den Tag legen wird. Dann werden wir uns hoffentlich bis zum letzten Spieltag die Chance erhalten, um den Klassenerhalt mitzuspielen."
Moral, Kampf, Mannschaftsgeist waren die Schlüssel zum Erfolg in der vergangenen Saison. Anders wird es auch im Oberhaus nicht gehen. Spielerisch, personell, wird man eh nichts ausrichten können gegen die übermächtige Konkurrenz. Und das Zusammengehörigkeitsgefühl strahlt aus. Auch auf die Tribüne. Der dritte Bundesliga-Aufstieg der Lilien hat eine wahre Euphorie ausgelöst in Südhessen.
Die Fans wollen das: Fußball wie in den 80ern. Geschichte leben. Nur Trainer Dirk Schuster sieht heute übrigens anders aus als damals, zu seiner aktiven Zeit. Der Schnäuzer ist weg, die Fokuhila-Sünden auch längst verziehen. Irgendwie sind Teile von Darmstadt 98 dann doch in der Gegenwart angekommen.