Archiv

Sven Giegold (Grüne) zu Jefta
"Dieser Vertrag mit Japan ist eine vertane Chance"

Zunehmend bestimmten Nationalismus und Abschottung den globalen Handel, sagte Grünen-Politiker Sven Giegold im Dlf. Das Freihandelsabkommen Jefta wäre eine Chance gewesen, negative Auswirkungen der Globalisierung durch soziale und ökologische Standards in Schach zu halten, doch die fehlten in dem Vertrag.

Sven Giegold im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Sven Giegold von den Grünen
    Sven Giegold von den Grünen befürchtet, JEFTA schwäche nicht "Leute wie Donald Trump, sondern vielmehr die neuen autoritären Tendenzen". (dpa / picture-alliance / Bernd Thissen)
    Jörg Münchenberg: Zugehört hat Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament und seines Zeichens ein scharfer Kritiker der EU-Handelspolitik. Einen schönen guten Morgen, Herr Giegold.
    Sven Giegold: Ja, guten Tag.
    Münchenberg: Herr Giegold, ganz grundsätzlich erst einmal. Hat die europäische Handelspolitik jetzt mit Donald Trump grundsätzlich einen ganz anderen Stellenwert bekommen als vorher?
    Giegold: Nicht grundsätzlich. Aber natürlich ist unser Interesse, dass die Märkte offen bleiben, dadurch gewachsen. Das ändert nur nichts daran, dass dieser Vertrag mit Japan eine vertane Chance ist. Er wäre die Chance gewesen, nach dem Scheitern von TTIP und auch dem Druck, den Donald Trump auf die multilaterale Handelsordnung ausübt, tatsächlich eine Handelspolitik zu schreiben, in der Marktöffnung und soziale, ökologische Standards gemeinsam geregelt werden und gestärkt werden, und das ist leider von der EU-Kommission mit dem Japan-Abkommen nicht vorangetrieben worden.
    "Stärkt Abschottungstendenzen sogar noch"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Giegold, setzt die EU, setzt die Kommission hier doch auch ein deutliches Zeichen, nämlich gegen Protektionismus, Zölle und Drohungen, so wie das Trump derzeit praktiziert.
    Giegold: Ja, das stimmt. Gleichzeitig ist das aber nicht das einzige, was von Trump ausgeht. Was von Trump ausgeht ist, dass die Verlierer der Globalisierung, die es in den USA gibt wie auch in vielen europäischen Ländern und natürlich auch in Deutschland, dass die zunehmend politischen Strömungen Oberwasser geben, die mit offenen Märkten nichts am Hut haben, die vielmehr Nationalismus und Abschottung schüren, und das liegt daran, dass die globale Handelsordnung und auch das Globalisierungsmodell, was wir verfolgt haben, einseitig auf Marktliberalisierung und Deregulierung drängen, während gleichzeitig soziale und ökologische Standards, die die negativen Auswirkungen der Globalisierung wieder in Schach halten können, nicht globalisiert werden. Dieses einseitige Globalisierungsmodell wird leider hier fortgeschrieben und meine Befürchtung ist einfach, dass das Ergebnis dessen am Ende nicht eine Schwächung von Leuten wie Donald Trump ist, sondern vielmehr die neuen autoritären Tendenzen und Abschottungstendenzen sogar noch stärkt.
    "Gerade durch Trump die Chance gehabt"
    Münchenberg: Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden. Ihr Argument ist tatsächlich: Sie sagen, auch durch diese Art von Handelsverträgen wird letztlich Donald Trump gestärkt?
    Giegold: Nicht Donald Trump, sondern wir sehen ja, dass die liberale Demokratie überall unter Druck ist, auch in Europa. Das liegt zu relevanten Teilen daran, dass diejenigen, die sich als Verlierer des verschärften Wettbewerbs fühlen, zunehmend bereit sind, Leute zu wählen, die mit der Errungenschaft der Globalisierung, was ich weiterhin als solche bezeichnen würde, wenig am Hut haben. Diese Verträge sind genau Teil dessen, immer mehr vom gleichen Globalisierungsmodell nur noch schneller voranzutreiben, und das ist so bedauerlich. Die Kommission hätte gerade durch Donald Trump die Chance gehabt, mit Japan, aber auch mit Kanada und mit Ländern, mit denen wir in guter Kooperation stehen, tatsächlich starke, gemeinsame und einklagbare soziale und ökologische Standards zu verhandeln, und die fehlen wieder in diesem Abkommen.
    "Nur: Was steht in diesen bilateralen Abkommen?"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Giegold, hat man schon den Eindruck, dass sehr viele Länder ein großes Interesse im Augenblick haben, auch mit der EU ins Geschäft zu kommen. Es soll ein Abkommen mit Singapur geben, mit Mexiko, Australien, Neuseeland, mit den Mercosur-Staaten. Die Bereitschaft der anderen Länder, auch gerade mit der EU hier die Handelsaktivitäten auszubauen auf der Grundlage solcher Freihandelsverträge, ist offensichtlich sehr groß.
    Giegold: Absolut! Und genau darin liegt ja auch eine Chance. Ich bin absolut dafür, dass gerade während der multilaterale Weg so schwer zu begehen ist - man darf ihn nicht aus den Augen verlieren -, dass man aber so lange durchaus auch bilaterale Abkommen schließt. Nur: Was steht in diesen bilateralen Abkommen? Wir haben hier - das ist im Beitrag ja richtig gesagt worden - Zölle gesenkt, es sind Marktzugangsschranken abgebaut worden. Wir haben in vielerlei Hinsicht Marktöffnung und eine Zusammenarbeit bei der Standardsetzung. Was aber fehlt...
    "CO2-Abkommen steigen sogar noch durch dieses Modell"
    Münchenberg: …, die ja wieder in zweiter Konsequenz vielleicht auch für mehr Jobs dann sorgen. Das ist ja auch die Idee hinter den Freihandelsverträgen.
    Giegold: Ja, absolut! Das mag durchaus positive Arbeitsmarkteffekte haben. Gleichzeitig bedeutet das aber verschärften Wettbewerb, und beim Wettbewerb gibt es immer Gewinner und Verlierer. Und die Chance der Nationalstaaten, gleichzeitig ihre sozialen Standards stark zu machen, beziehungsweise in Europa der Europäischen Union, die werden damit nicht verbessert. Deshalb ist es so entscheidend, dass zur Globalisierung, die auf Marktöffnung setzt, parallel starke soziale, ökologische Standards gesetzt werden.
    Ich mache es mal ganz praktisch: Es wird zwar auf das Pariser Klimaschutzabkommen verwiesen in dem Japan-Vertrag, aber die Emissionen werden ja steigen durch mehr Welthandel. Und das bedeutet: Diese Art von Globalisierung, die nicht gleichzeitig dafür sorgt, dass verbindlich die CO2-Abkommen sinken, sondern sogar noch steigen durch dieses Modell, denen gehört letztlich keine Zukunft, und das ist die Einseitigkeit des Vertrages.
    Vertragsentwurf erst durch Leak von Greenpeace öffentlich
    Münchenberg: Auffällig ist ja schon, Herr Giegold, wenn man jetzt mal den öffentlichen Umgang anschaut mit JEFTA, dem neuen Abkommen mit Japan, und das in Vergleich setzt zu CETA, dass die Kritik von Nichtregierungsorganisationen doch deutlich verhalten ausgefallen ist.
    Giegold: Ja, bisher schon. Das stimmt. Und das hat auch damit zu tun, dass es bisher in dem Handel mit Japan eigentlich im Großen und Ganzen positive Erfahrungen gab. Aber ich sage noch mal: Auch hier sind Fehler in der Verhandlungsführung wiederholt worden. Der Verhandlungsprozess - dazu gibt es auch eine ausführliche Studie -, die Treffen mit Lobbyisten waren zu 89 Prozent mit Vertretern der Unternehmensseite und nur ein Bruchteil der Treffen der EU-Kommission waren mit Verbraucherschützern, Umweltschützern oder Gewerkschaften. Und auch das gleiche Maß an sehr begrenzter öffentlicher Transparenz. Erst durch ein Leak von Greenpeace ist der Vertragsentwurf eigentlich öffentlich geworden. Das zeigt, wir haben hier die gleichen Schwächen.
    Verbrauchervertretern wurde "sehr wenig zugehört"
    Münchenberg: Herr Giegold, hat die Kommission nicht trotzdem auch was dazugelernt? Zum Beispiel die umstrittenen Schiedsgerichte sind jetzt nicht mehr Teil von JEFTA, zumindest nicht im gegenwärtigen Vertragsentwurf. Und weil Sie die Verbraucherschützer angesprochen haben: Es gab gestern eine Pressemitteilung von BEUC, der europäischen Verbraucherschutzorganisation. Die war eigentlich relativ positiv.
    Giegold: Ja, wobei mein Punkt war hier nicht, dass hier jetzt Verbraucherrechte massiv unter Druck gesetzt werden, sondern dass Verbrauchervertretern im Verhältnis sehr wenig zugehört wurde, was man wie gesagt für diejenigen, die auf der Unternehmensseite stehen, nicht sagen kann. Aber der entscheidende Punkt ist: Hat die Kommission hier dazugelernt? Es stimmt: das Design der Abkommen hat sich verändert. Man hat den Teil aus den Abkommen herausgenommen, der nationale Zustimmungsrechte erfordern würde, so dass man den größten Teil des Vertrages jetzt direkt in der EU beschließen kann. Ich selber kritisiere das gar nicht, weil ich finde es richtig, dass man Dinge, die in EU-Kompetenz liegen, auch europäisch beschließt. Es hätte mich nur mehr überzeugt, wenn man nach all den Protesten und dem Druck durch diese Proteste bei TTIP auch im Inhalt etwas dazugelernt hätte und nicht nur in der Vertragsgestaltung.
    Wasserwirtschaft verlangt Nachbesserungen
    Münchenberg: Herr Giegold, lassen Sie uns noch auf einen Kritikpunkt konkret an dem Handelsabkommen mit Japan zu sprechen kommen. Es fehlt eine Schutzbestimmung für das Wasser. Auf der anderen Seite stehen ja Wasserentnahme, Wasseraufbereitung und auch die Verteilung auf einer sogenannten Negativliste. Das heißt, hier darf eigentlich nicht privatisiert werden. Warum reicht das nicht aus? Warum gibt es trotzdem gerade einigermaßen viel Kritik an diesem Punkt?
    Giegold: Erst mal bedeutet, dass das Wasser auf dieser Liste steht, nicht, dass es nicht privatisiert werden darf, sondern dass bestimmte Verpflichtungen in dem Vertrag nicht auf das Wasser zutreffen. Dazu muss man sagen: In der Liste ist zwar die Wasserversorgung drin, aber nicht das Abwasser, während im Kanada-Vertrag auch die Abwasserentsorgung, wo Deutschland ausdrücklich auf einer Ausnahme bestanden hat, hier nicht enthalten ist. Das ist der Grund, warum die Wasserwirtschaft und ihre Spitzenverbände sich sehr kritisch im Vorfeld zu dem Japan-Abkommen geäußert haben und hier Nachbesserungen verlangen, und man fragt sich natürlich schon grundsätzlich, warum die Daseinsvorsorge-Bereiche überhaupt in diesen Abkommen geregelt werden. Das ist eigentlich ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip in der EU.

    Eingriffe in die lokale Ebene nicht dargelegt

    Münchenberg: Das Bundeswirtschaftsministerium argumentiert aber, das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen in Wasserfragen werde letztlich nicht angetastet, und im Augenblick geht ja der Trend eher wieder in Richtung Rekommunalisierung. Sprich: Die Kommunen wollen eigentlich eher wieder die Hoheit über das Wasser zurück.
    Giegold: Ja. In Deutschland ist ja Gott sei Dank im Wesentlichen das Wasser noch in öffentlicher Hand. Andere Länder haben da andere Fehler gemacht. Aber trotzdem ist es so, dass natürlich, wenn etwas öffentlich ist, bleibt es das auch. Es gibt keinen Privatisierungszwang durch JEFTA. Das zu behaupten, wäre natürlich falsch. Aber es wird ein Schritt in Richtung Liberalisierung gegangen, und das ist der Grund, warum die Wasserwirtschaft das nachvollziehbarerweise kritisiert. Und nochmals: Eigentlich haben wir uns in der EU zum Subsidiaritätsprinzip verpflichtet. In der Handelspolitik hat aber die Kommission niemals dargelegt, in welchen Bereichen man europäisches Recht in der Weise mit Eingriffen auf die lokale Ebene durchsetzen will und in welchen Bereichen man sagt, nein, das gehört nicht in den Bereich der europäischen Handelspolitik. Gerade die Christdemokraten, die im Europaparlament sonst immer die Fahnenträger der Subsidiarität sind, so wie wir Grünen auch, die lassen das erstaunlicherweise für die Handelspolitik nicht gelten, und das wundert mich schon.

    "Gehe davon aus, dass wir nicht zustimmen"

    Münchenberg: Herr Giegold, ziehen wir einen Schlussstrich. Kurze Frage, bitte kurze Antwort: So wie JEFTA jetzt abgeschlossen werden soll, lehnen Sie es weiter ab, oder sagen Sie, wir können damit leben?
    Giegold: Ich gehe davon aus, dass wir dem im Rahmen der parlamentarischen Prüfung nach dem, was wir jetzt wissen, nicht zustimmen werden. Aber natürlich prüfen wir jetzt im Rahmen unserer parlamentarischen Arbeit.
    Münchenberg: … sagt Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Herr Giegold, besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.