Ann-Kathrin Büüsker: Griechenland braucht wieder einmal Geld von der europäischen Gemeinschaft. Spätestens im Juli, wenn das Land um die sieben Milliarden Euro an Schulden zurückzahlen muss. Ende der Woche haben deshalb die Finanzminister der Eurozone auf Malta über die Voraussetzung für eine Auszahlung der nächsten sogenannten Hilfstranche gesprochen. Wir reden über rund 86 Milliarden Euro. Die bekommt Griechenland nicht einfach so; das Land muss etwas dafür tun. Im Detail wird das in den kommenden Wochen ausgearbeitet. Schon in dieser Woche könnten die Vertreter der sogenannten Institutionen dafür wieder nach Athen reisen. Ist das alles so gerecht, wie es läuft? Darüber möchte ich mit Sven Giegold sprechen. Er sitzt für die Grünen im Europaparlament, unter anderem im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Guten Morgen, Herr Giegold.
Sven Giegold: Ja, guten Morgen, Frau Büüsker.
Büüsker: Herr Giegold, wie wichtig ist es für Griechenland, dass diese Einigung nun gefunden wurde?
Giegold: Es ist natürlich gut und wichtig, dass es jetzt eine Vereinbarung gibt, denn das Damokles-Schwert eines Euroaustritts wäre für Griechenland und für die anderen Euroländer eine ökonomische und soziale Tragödie. Allerdings dieses monatelange Geschacher war würdelos und auf Kosten der griechischen Bevölkerung.
Büüsker: Aber wieso sprechen Sie von Geschacher? Es ist doch ganz normal, dass über Dinge verhandelt werden muss.
Giegold: Ich rede von Geschacher, weil es die ganze Zeit um eine völlig absurde Verhandlungsposition ging. Der IWF wollte neue Austeritätspolitik, aber verbunden mit Schuldenerleichterungen, und Schäuble hat nun Austeritätspolitik ohne Schuldenerleichterungen durchgesetzt, mit neuen Kürzungen für die Armen und Alten, und das nützt weder der wirtschaftlichen Erholung Griechenlands, noch ist es sozial gerecht, sondern es bringt die Leute gegen Europa auf, und das ist wirklich bitter, gerade nach den Demonstrationen für den "Pulse of Europe" gestern.
"Tsipras muss diesen Kompromiss irgendwie verkaufen"
Büüsker: Das ist Ihre Position. Alexis Tsipras seinerseits spricht von einem guten Kompromiss. Der erlaube es der Regierung, Maßnahmen zu erlassen, um Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und einen neuen Sozialstaat zu bauen. Eigentlich klingt das doch ziemlich optimistisch?
Giegold: Ja. Was Herr Tsipras jetzt macht: Er muss natürlich diesen Kompromiss irgendwie verkaufen. Denn schließlich war klar: Niemand in Griechenland will den Euroaustritt, und der stand wiederum vor Griechenlands Tür. Allerdings ist auch klar, und er hat sich – und das war ein bisschen absurd natürlich – in anderen Teilen seiner Rede wiederum von diesen Austeritätsmaßnahmen distanziert. Was eigentlich nötig gewesen wäre und so wäre der Weg nach vorne, ist, dass Griechenland Reformen seines Staatswesens braucht. Und da Druck zu machen auch von Seiten der Gläubiger, dass würde ich begrüßen. Denn offensichtlich ist Griechenland auch unter der neuen Regierung nicht in der Lage, den Klientelismus, die Steuervermeidung und so weiter wirklich effektiv zu bekämpfen. Aber statt wirklich den Klientelismus zu bekämpfen, bekommt nun die Austeritätspolitik eine Laufzeitverlängerung, und die hat schon in den letzten Jahren nicht funktioniert.
"Den reichen Griechen auf die Spur kommen"
Büüsker: Was muss denn konkret im Staatsapparat Griechenlands reformiert werden aus Ihrer Sicht?
Giegold: Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Griechenland hat eine wirklich vorbildliche Datenbank über die Steuerflucht. Die haben erfasst, wieviel Geld ist von wem ins Ausland verlagert worden, und haben das verglichen mit den Steuererklärungen. Mithilfe dieser Datenbank könnte man in großem Maße den reichen Griechen auf die Spur kommen, die ihr Geld ins Ausland verlagert haben. Diese Datenbank wird aber nicht genutzt.
Genauso ist bisher bei der Nutzung der Daten, die auch aus Nordrhein-Westfalen und aus anderen Quellen den Griechen zur Verfügung gestellt wurden, über griechische Bürger, die Geld bei Steueroasen angelegt haben, bei diesen Datenbanken ist bisher sehr wenig herausgekommen, bei diesen Daten, die wir angekauft und zur Verfügung gestellt haben. Und dass man da Druck macht, dass der Staat tatsächlich allen dient und nicht einer begrenzten Gruppe, die besondere Zugänge hat, das ist völlig legitim. Aber diese neue Kürzungspolitik wird wirtschaftlich Griechenland nicht voranbringen.
Büüsker: Jetzt haben Sie argumentiert, dass die Reichen nach wie vor mit ihrer Steuerflucht davon kommen. Wenn wir das Blatt ein bisschen umdrehen: Die Zinspolitik der EZB im Zuge dieser ganzen Krise, die hat ja dazu geführt, dass Normalbürger etwa bei uns in Deutschland eigentlich kaum mehr Zinsen für ihr angelegtes Geld bekommen. Wie ist vor diesem Hintergrund auch der von Ihnen erwähnten Steuerflucht der Reichen in Griechenland den Bürgern hier in Deutschland zu vermitteln, dass Griechenland schon wieder Geld bekommt?
Giegold: Ja, in der Tat schwierig, denn eigentlich muss man eines sagen: Griechenlands Schulden sinken langsam. Die neuen Kredite dienen nicht dazu, die Staatsschuld zu erhöhen, sondern sie dienen dazu, die Staatsschuld umzuschulden und langsam abzusenken, allerdings auf der Basis, wie Sie es eben auch gesagt haben, extrem niedriger Zinsen. Hier muss man nur die Frage nach Ursache und Wirkung stellen. Die Zentralbank-Zinsen der EZB sind so niedrig, um den Euro zusammenzuhalten. Die EZB muss diese Arbeit machen, weil die Politik sich in Europa - und zwar die Politik der Mitgliedsländer - seit Jahren weigert, das umzusetzen, was die Mehrheit des Europaparlaments will, nämlich eine stärkere Investitionspolitik, eine Politik mit gemeinsamer Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik, die man für eine gemeinsame Währung braucht. Und da steht leider auch Deutschland im Weg. Wenn wir weg wollen von den niedrigen Zinsen, dann brauchen wir eine gemeinsame, auf den Euro ausgerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa.
Erwartungen an Martin Schulz
Büüsker: Wenn wir noch mal den Blick auf Griechenland wenden: Das viele Geld, das das Land jetzt bekommen hat, wird Griechenland das je zurückzahlen?
Giegold: Ich glaube, dass Griechenland dieses Geld nicht zurückzahlen kann, sondern langfristige Erleichterungen braucht. Das heißt, es kommt nicht darauf an, ob man Schulden streicht oder langfristig die Zinsen niedrig hält und die Tilgung sehr weit streckt. Aber ökonomisch ist es das Gleiche. Es ist richtig: Griechenland braucht, wie der IWF es auch fordert, eine Schuldenerleichterung, kombiniert mit weiteren Reformen. Und es ist falsch, diese Schuldenerleichterungen immer weiter herauszuzögern, denn damit kommt es nicht zu Investitionssicherheit. Wenn alle paar Monate wieder, alle paar Jahre wieder solche Verhandlungen kurz vor dem Exitus des Euros stehen, wer wird dann in Griechenland investieren? Deshalb ist es so wichtig, dass es auch in der Frage der Schuldenerleichterung endlich Bewegung aus Berlin und aus der Bundesregierung gibt. Ich erwarte von Herrn Schulz, dass er das, was er im Europaparlament immer vertreten hat, nämlich eine mehr auf soziale Ausgewogenheit gerichtete europäische Politik, dass er das jetzt auf die Agenda der Bundesregierung setzt. Er ist dort jetzt mitverantwortlich.
Büüsker: Herr Giegold, verstehe ich Sie dann insgesamt richtig, dass, wenn diese Einigung Ende letzter Woche nicht gekommen wäre, ein Euroaustritt Griechenlands tatsächlich realistisch gewesen wäre in diesem Moment?
Giegold: Nun gut. Zunächst mal hätte dann offen gestanden, dass Griechenland seine Staatsschulden nicht bedienen kann. Damit ist noch kein Euroaustritt verbunden, aber klar wäre damit, dass dann alle grundlegenden Fragen auf der Tagesordnung gestanden hätten, und das wäre in niemandes Interesse gewesen und zu allerletzt im Interesse der Griechinnen und Griechen.
"Der IWF versteht eines nicht"
Büüsker: Die EU-Kommission geht ja aktuell davon aus, dass das Wirtschaftswachstum von Griechenland dieses Jahr 2,7 Prozent betragen wird. Die OECD schätzte noch im November 1,3 Prozent. Die griechische Nationalbank selbst geht von 1,5 Prozent aus. Das sind schon ziemlich deutliche Unterschiede. Wieso gehen die Zahlen so weit auseinander?
Giegold: Wachstumsprognosen sind sehr instabil. Das gilt übrigens auch für Wachstumsprognosen für Deutschland. Die liegen mal zusammen sehr gut, zum Teil liegen sie grob daneben. Wie sagte schon Karl Valentin: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Und das gilt insbesondere bei Ländern in der Krise. Es ist aber erfreulich, dass derzeit das Wachstum besser ist, als es vor einiger Zeit noch prognostiziert wurde. Auch der griechische Staatshaushalt läuft besser, als er prognostiziert wurde.
Büüsker: Herr Giegold, kurze Nachfrage. Warum ist dann der IWF trotzdem mit spitzen Fingern dabei, wenn es um eine Beteiligung geht?
Giegold: Der IWF versteht natürlich eines nicht. Man muss sehen, der IWF wurde mal geschaffen, um Schwellenländer zu stabilisieren, um Armutsländer zu stabilisieren. Jetzt ist die reichste Region der Welt, Europa, nicht in der Lage, einem relativ kleinen Mitgliedsland zu helfen. Das alles zeigt doch nur, Europa braucht eigentlich einen Europäischen Währungsfonds. Wir müssen unsere Probleme eigenständig lösen und wir können natürlich in dem Rahmen auch Expertise des IWF nutzen. Aber kein Mensch weltweit versteht, dass Europa hier zum größten Problemkind geworden ist. Was ich allerdings falsch finde ist: Die Idee, einen Europäischen Währungsfonds zu schaffen, ist richtig. Das verfolgt auch die Bundesregierung. Bloß leider verfolgt das Herr Schäuble derzeit rein intergouvernemental, also unter Ausschaltung des demokratischen Europaparlaments, und das finde ich falsch.
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