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Sven Giegold zu Bahamas-Papers
Ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin Kroes ist "nicht glaubwürdig"

In der Briefkasten-Affäre in der Steueroase Bahamas hat der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold die frühere EU-Wettbewerbskommissarin Nelie Kroes als unglaubwürdig bezeichnet. In ihrer Karriere sei Kroes oft von der Politik in die Wirtschaft gewechselt - und umgekehrt. Ihren Lebenslauf prägten daher Interessenskonflikte, sagte der grüne Finanzpolitiker im DLF.

Sven Giegold im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen.
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen. (imago/ Rainer Weisflog)
    "Das Frau Kroes die Angaben zu der Briefkastenfirma vergessen hat, ist nicht glaubwürdig", so Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen. Sie habe inzwischen eingestanden, dass sie Regeln verletzt habe. "Der ganze Lebenslauf von Frau Kroes ist von Interessenskonflikten geprägt". Sie habe immer zwischen Politk und Wirtschaft gewechselt.
    "Diese Seitenwechsel zerstören das Vertrauen in die Demokratie". Deshalb brauche man Regeln. Giegold forderte, die Übergangsfrist von derzeit 18 Monate auf drei Jahre zu verlängern. Es müsse auch Pausen geben, betonte Giegold. Die Vorschriften sollten zudem nicht nur für EU-Kommissare, sondern auch für Spitzenbeamte und Abgeordnete gelten. Giegold nannte es fatal, dass "Menschen aus der Politik heraus, hinterher in jene Wirtschaftsverbände wechseln, für die sie Politik gemacht haben - und dann Lobbyarbeit machen."

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Jürgen Zurheide: Es ist wie immer: Politiker werden ertappt. Und dann heißt es, na ja, das alles war ein Versehen. Worüber reden wir: Über Neelie Kroes, die frühere europäische Kommissarin, die ist ertappt worden. Sie war Direktorin einer Briefkastenfirma auf den Bahamas. Und der Fall gibt eine Menge Anlass für Nachfrage. Über die unterschiedlichen Aspekte dieses Falles wollen wir reden.
    - Und ich begrüße dazu am Telefon Sven Giegold, den grünen Europaabgeordneten. Guten Morgen, Herr Giegold!
    Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Giegold, beginnen wir mal mit dem, was da überhaupt bekannt geworden ist. Diese Bahama-Papers oder Bahama-Leaks, wie immer wir das nennen wollen, zeigen ja zunächst einmal eine ungewöhnliche Fülle an Daten. Ich glaube, es ist wert, noch mal nachzufragen, was ist so besonders an diesen Daten?
    Giegold: Ja, das ist ein Geschenk für den Kampf gegen Steueroasen. Das ist das erste Mal, dass wir von einer Steueroase das komplette Unternehmensregister haben. Das sind genau die Daten, die geheim sind. Wir können jetzt sehen, wer hat dort Konten. Wir können auch sehen, wer hat sie eigentlich eingerichtet. Wer sind also die Helfershelfer der Geldwäscher und Steuerflüchtlinge. Und das ist deshalb besonders interessant, weil die Bahamas gelten als eine der Steueroasen, wo besonders viel Geld aus harter Kriminalität gewaschen wird.
    Zurheide: Wir werden gleich über die weiteren Konsequenzen reden. Ich will jetzt einen kurzen Exkurs sozusagen machen bezogen auf Frau Kroes, die frühere EU-Kommissarin. Wie glaubwürdig oder für wie glaubwürdig halten Sie sie, wenn sie über ihre Anwälte erklären lässt, sie habe schlicht vergessen, dass sie da noch irgend so eine Briefkastenfirma hat, so ähnlich hat sie das ja formuliert?
    Giegold: Regeln für diese Seitenwechsel notwendig
    Giegold: Also das ist alles natürlich sehr unglaubwürdig, weil natürlich jeder weiß, dass der Sinn dieser Offenlegung, die für Kommissare verpflichtend ist, ist, dass man sehen kann, ob Personen mögliche Interessenskonflikte haben. Und da ist natürlich offensichtlich auch schon vor zehn Jahren, dass eine Firma ... einer Briefkastenfirma ganz besonders transparenzpflichtig ist, weil auf die Weise die Bürger wissen können, was jemand vielleicht in der Vergangenheit gemacht hat. Und dass sie das vergessen hat ist nicht glaubwürdig. Sie hat ja inzwischen auch eingestanden, dass sie Regeln verletzt hat. Was das zweite ist, was man bei Frau Kroes noch sagen muss, ihr ganzer Lebenslauf ist ein Lebenslauf von Interessenskonflikten. Sie wechselte immer hin und her, aus Posten in der Wirtschaft in die Politik in die Wirtschaft und in die Politik. Und diese Seitenwechsel zerstören das Vertrauen in Demokratie und demokratische Politik. Und deshalb brauchen wir Regeln für diese Seitenwechsel. Also es muss einfach ausreichend lange Pausen geben.
    Zurheide: Es soll solche ja auch geben.
    Giegold: Und wenn es die nicht gibt, dann denken die Leute, man macht schon die Politik der Wirtschaft im politischen Posten, und das ist fatal.
    Zurheide: Dazwischen will ich nur kurz einwerfen, es soll ja durchaus einen Wechsel geben, dass Politik und Wirtschaft sich berühren, nur es muss dann Regeln geben, das ist ihr Perditum.
    Giegold: Es geht vor allen darum, dass Interessenskonflikte ausgeschlossen werden müssen. Ich finde es natürlich gut, wenn Leute aus der Wirtschaft in die Politik wechseln. Ich finde aber nicht gut, wenn die Leute genau in dem Bereich Politik machen, in dem sie vorher gearbeitet haben. Und noch fataler finde ich, was leider oft vorkommt, dass Menschen aus der Politik heraus hinterher in die Wirtschaftsverbände wechseln, für die sie vorher Politik gemacht haben. Und dann sogar Lobbyarbeit machen, also das heißt, dann dafür da sind, ihre ehemaligen Kollegen mit ihren, sage ich mal, wirtschaftlich getriebenen Ideen, nicht mehr gemeinwohlorientierten Ideen zu treiben, weil das den Verdacht nährt, dass man schon vorher aufpasst, nicht zu sehr bestimmten Leuten auf die Füße zu treten, bei denen man vielleicht in der Zukunft arbeiten will. Das braucht Regeln, und zwar nicht nur für Kommissare, wo wir zumindest ein paar Regeln haben, sondern auch für Abgeordnete wie mich und für Spitzenbeamte. Für all die Leute muss es Karenzzeiten, also, sage ich mal, Abkühlungsphasen geben, in denen man nicht in Jobs in der Wirtschaft wechseln darf, für die man vorher politisch zuständig war.
    Zurheide: Was erwarten Sie jetzt von der aktuellen EU-Kommission von Jean-Claude Juncker? Pension weg für Frau Kroes, obwohl sie das wahrscheinlich nicht groß persönlich treffen wird?
    Giegold: Tja, also das ist nur das eine. Mir geht es eigentlich weniger um den Einzelfall, obwohl das schlimm genug ist. Ich finde, dass wir generell schärfere Regeln in dem Bereich brauchen, die Abkühlungsphasen müssen länger sein. Denken Sie an den Wechsel von Herrn Barroso zu Goldman Sachs. Die 18 Monate, in denen man keine Lobbyarbeit machen darf, die sind zu kurz. Mindestens drei Jahre müssten das sein. Ich finde, die Kommission sollte diesen Vorschlag eben auch auf Abgeordnete und auf Spitzenbeamte ausweiten. Das darf nicht nur für die Minister gelten. Das gleiche haben wir in Deutschland, da gilt das nur für die Bundesregierung. Und die Probleme sind viel breiter.
    Giegold: Schäuble verhindert bessere Offenlegung der Unternehmensregister
    Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal zurück auf Bahama-Leaks und auf das, was offengelegt worden ist. Im Prinzip, Unternehmensregister kann man ja einsehen, aber man weiß in der Regel nicht, wer dahintersteckt. Wo ist da eigentlich genau das Problem? Schildern Sie uns das.
    Giegold: Das Grundproblem ist, dass Sie vielleicht sehen können, welche Unternehmen es gibt, Sie sehen aber nicht, wer eigentlich dahintersteht, also die sogenannten wirtschaftlich Berechtigten. Das Europaparlament hat auf unseren Vorschlag hin in Europa durchgesetzt, dass in Zukunft alle Länder ein Unternehmen… – in Europa zumindest mal, da sind ja auch Steueroasen dabei –, ein Unternehmensregister führen müssen mit den wirtschaftlich Berechtigten. Aber wir konnten nicht durchsetzen, dass diese Daten wirklich öffentlich werden. Und das ist aber zentral, weil ansonsten wird kaum kontrolliert, ob die Daten vernünftige Qualität haben. Und zum Beispiel Journalisten haben Schwierigkeiten, damit zu recherchieren, auch interessierte Einzelpersonen, die vielleicht besonderes Wissen haben. Dieser Vorschlag, dass das öffentlich werden soll, den hat damals die deutsche Bundesregierung, Herr Schäuble, blockiert. Und jetzt hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, schon vor einigen Monaten, dass diese Registerdaten öffentlich werden sollen. Das wäre so wichtig. Und leider leistet Herr Schäuble in der Bundesregierung weiter Widerstand. Und diese Blockadehaltung Herrn Schäubles für die Intransparenz ist eigentlich ein Förderprogramm für Wirtschaftskriminalität.
    Zurheide: Wo sehen Sie denn Hoffnung, dass sich da etwas dran ändert? Was können Sie tun, tun Sie was?
    Giegold: Natürlich, wir machen Druck, dass eben die Bundesregierung ihren Widerstand aufgibt, denn es gibt etliche Mitgliedsländer, die wollen auch die Öffentlichkeit dieser Daten. Die Niederlande und Großbritannien machen das längst. Wären diese Unternehmensregisterdaten in Europa öffentlich, dann könnten wir eben auch mit Steueroasen viel härter reden, dass sie das auch machen müssen. Der offensichtliche Fall sind eben die britischen Sonderterritorien wie die Bahamas. Das ist ja eigentlich absurd, dass wir einer Insel erlauben, in so einem Maße den Zielen der Europäischen Union entgegenzulaufen, also zum Beispiel Geldwäsche zu fördern, Wirtschaftskriminalität und Korruption in Entwicklungsländern, während das Land, was politisch praktisch international seine schützende Hand über diese Steueroasen hebt, mit am Tisch der EU sitzt. Ich könnte mir schon vorstellen, dass bei den ganzen Brexit-Verhandlungen das Thema wird. Und es danach auch leichter werden könnte. Das ist einer der ganz wenigen positiven Seiten dieser Verhandlungen, dass es dann danach eben leichter wird, gegen solche Steueroasen auch Sanktionen zu verhängen.
    Zurheide: Um das jetzt noch mal zu verdeutlichen: Die Bahamas sind zwar unabhängig, aber die Königin ist noch die oberste Repräsentantin. Also welche Durchgriffsmöglichkeiten glauben Sie denn oder erwarten Sie, dass die Briten das haben. Und damit könnte man es dann bei diesen Brexit-Verhandlungen mit einführen, was können die Briten wirklich leisten oder könnten sie leisten?
    Giegold: Drohung einer Kapitalverkehrskontrolle als Weg
    Giegold: Also ich glaube, dass Zentrale ist, dass man den Ländern sagen muss, so wie die Amerikaner das bei den Bankdaten gemacht haben, wenn ihr nicht mit unseren Regeln spielt, dann gibt es zu uns auch keinen freien Kapitalverkehr mehr. Sobald man diese Drohung erhebt, wird eine Steueroase folgen, denn Steueroasen leben ja davon, dass das Geld dort nur durchgeschleust wird. Dieses Unterbrechen, diese Drohung, den Kapitalverkehr etwa mit einer Quellensteuer zu begrenzen, das ist natürlich sehr schwer, wenn sie gleichzeitig das Land mit am Tisch sitzen haben, das so rund ein Dutzend dieser Steueroasen in seinem Einflussbereich hat.
    Zurheide: Also wir reden ja nicht nur über die Bahamas …
    Giegold: Also die Königin muss das also nicht entscheiden, sondern die muss nur sagen, die Briten … Wir müssen nur sagen, wir erheben eine Quellensteuer auf Kapitalverkehr zu euch. Und dann ist der Spuk mit den Steueroasen doch schnell vorbei.
    Zurheide: Und ganz schnell: das ist nicht nur die Bahamas, das ist Guernsey und was es da alles noch so gibt.
    Giegold: Ja, das ist ganz hier in der Nähe: Jersey, Guernsey, Alderney, Isle of Man – das würde jetzt länger –, die British Virgin Islands …
    Zurheide: Genau.
    Giegold: Also das würde jetzt noch länger hier im Deutschlandfunk, wenn ich die alle aufzähle.
    Zurheide: Also jedenfalls, da gibt es noch eine Menge zu tun. Sven Giegold, ich bedanke mich heute Morgen, –
    Giegold: Auf jeden Fall.
    Zurheide: – dass Sie uns das noch mal erläutert haben!
    Giegold: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.