Marietta Schwarz: Element of Crime gehören zu den wenigen richtig erfolgreichen deutschen Bands, und das nun schon seit 29 Jahren. Für den Kopf der Band, Sven Regener, gesellte sich später noch der Ruhm als Schriftsteller von Bestsellern wie "Herr Lehmann", "Neue Vahr Süd" oder "Der kleine Bruder", die sich mehrere Millionen Mal verkauften. Musikalisch sind sich Element of Crime treu geblieben, melancholische Alltagsbetrachtungen, gekonnt getextet und musikalisch stets schlicht, aber nicht simpel vertont. Was auch für "Lieblingsfarben und Tiere" gilt, das neue Album, das am Freitag erscheint und ein bisschen nach den frühen Element-of-Crime-Platten klingt. Sven Regener und Jakob Ilja, der Gitarrist von Element of Crime, haben uns vor der Sendung im Studio besucht und die frische CD mitgebracht. "Schade, dass ich das nicht war", ist ein Titel darauf.
Element of Crime und "Schade, dass ich das nicht war" aus dem neuen Album "Lieblingsfarben und Tiere". Und wir freuen uns, dass Sven Regener, Kopf von Element of Crime, sowie der Gitarrist Jakob Ilja heute zu Gast im Studio sind. Herzlich willkommen!
Sven Regener: Ja, hallo, grüße Sie!
Jakob Ilja: Hallo!
Schwarz: Ist das die nächste Single-Auskopplung, das Lied, das wir gerade gehört haben?
Ilja: Ich glaube nicht. Ich glaube, die - können wir das schon verraten?
Regener: Ja, "Dieselben Sterne" wird die nächste Single. Wobei - Single - machen wir uns nichts vor, wir sind keine Single-Band. Es ist nur, das ist quasi so ein Anspieltipp oder ein Vorschlag fürs Radio, dieses Lied zu spielen. Vielleicht gibt es das auch als Download, einzeln - gut, gibt es ja sowieso alles einzeln als Download zu kaufen. Tatsächlich waren wir jetzt mit "Lieblingsfarben und Tiere", also mit dem Titelsong sogar auf Platz 75 in den Single-Charts, was für uns etwas überraschend war. Wir können uns das immer noch nicht erklären. Aber vielleicht sind einfach die Verkaufszahlen bei den Singles mittlerweile so weit unten...
Schwarz: ... dass man schnell hochkommt?
Regener: Die Leute, die Element of Crime, so eine Musik mögen, die kaufen lieber ein Album - das ist einfach so. Und das ist uns auch recht. Wir haben ja nie so den einen Hit gehabt, die eine Hit-Single, die die Band ganz nach vorne brachte. Auf diese Weise haben wir auch nicht das Problem, dass Leute kommen wegen des einen Lieds und so. Und auf diese Weise haben wir auch keinen Wiederholungszwang. Wir müssen nicht noch einmal so einen Hit haben, um wieder so viele Alben zu verkaufen. Insofern ist bei uns alles eigentlich ganz gut.
"Diese eine Single gibt es nicht"
Schwarz: Wir haben in der Redaktion vorhin nur gedacht, dass das eigentlich, der Song auch - oder ein Song auf dem Album ist, der sich gut als Auskopplung eignen würde.
Regener: Single-Picks, wie man das ja nennt bei der Musikindustrie, das ist echt interessant. Also, wenn wir mit einem neuen Album zu Universal, unserer Plattenfirma kommen, dann sind da fünf Leute und die picken fünf verschiedene Singles da raus.
Schwarz: Die sind sich nicht einig?
Regener: Nie! Und das ist immer das Zeichen dafür, dass es eben diese eine Single, auf die sich alle einigen, nicht gibt. Aber jeder hat sein Lieblingslied. Und das ist dann das Ding, und der Rest ist natürlich immer nur Spekulation, was so insgesamt laufen würde.
Schwarz: Haben Sie ein Lieblingslied auf dem Album?
Ilja: Ich habe tatsächlich ein Lieblingslied auf dem Album: "Schwert, Schild und Fahrrad", das ist mein - das war es von Anfang an, also in dem Moment, wo Sven mit dem Text kam - war es mein Lieblingslied.
Schwarz: Wegen des Textes?
Ilja: Ja, wegen des Textes. Ich meine, es ist immer schwer mit den Lieblingsliedern, weil das sind alle Lieder, die man auf eine neue Platte tut, sind natürlich Lieblingslieder. Und man muss sagen, es braucht auch eine Zeit, bis ein Abstand entsteht, dass man noch mal anders auf sie guckt, beziehungsweise, es braucht auch Zeit, um festzustellen, ob Stücke die Zeit überdauern und dann wirklich noch Lieblingslieder sind. Aber ich habe tatsächlich - dieses Mal ist es so gekommen, habe ich ein Lieblingslied, ja.
"Die Lieder sind wie meine Kinder"
Schwarz: Und bei Ihnen auch, Sven Regener?
Regener: Nee! Ich sehe das so, wie wenn das meine Kinder wären, die Lieder. Und da sagt man auch nicht, das ist mein Lieblingskind. Das ist irgendwie asozial, das macht man nicht.
Schwarz: Aber man sagt von vielen Eltern, dass sie es doch insgeheim haben.
Regener: Ja, aber dann wird man das niemals zugeben, weil dann verrät man ja die anderen neun Kinder. Das kann man nicht, das kann man niemals.
Schwarz: Das kann man nicht machen...
Regener: Wenn das so ist, dann muss man das ganz tief in seinem Herzen vergraben, und so geht es mir mit den Songs dann auch. Außerdem sind sie alle neu. Man muss es sich ja so vorstellen, das ist eine neue Platte nach fünf Jahren. Also haben wir jetzt zehn neue Songs und das ist für mich einfach auch toll und aufregend. Ich muss die jetzt alle lernen, muss die alle auswendig können. Wir spielen die live, und zusammen mit vielen alten Liedern dann auch, und das ist irgendwie schon - da freut man sich einfach über jeden Einzelnen.
Schwarz: Jetzt haben wir ja gerade mit "Schade, dass ich das nicht war" einen der eher beschwingten Titel gehört. Nach meinem Gefühl gibt es auf diesem neuen Album gar nicht so viele davon. Die Platte ist extrem melancholisch, extrem sentimental ausgefallen, oder nicht?
Regener: Schwer zu sagen. Ich finde, "Am Morgen danach" ist auch so ein Lied, aber es gibt auch so böse, kalte Lieder, wie "Liebe ist kälter als der Tod", das das aber im Titel ja auch schon so ein bisschen mit sich trägt. Das ist auch so ein Sonderfall, hat mich an ganz frühe Platten von uns erinnert. Oder zum Beispiel so ein Lied wie "Dieselben Sterne", was eben doch eher so was, so ein Dylan-eskes Stück ist, das aber auch so ein bisschen schneller ist. Also für unsere - so ein bisschen auch so diese Schrammel- und Wandergitarre, sozusagen dieses Lagerfeuerding so ein bisschen nach vorne bringt.
"Songs sind wie störrische Esel"
Schwarz: Genau. Schrammel- und Wandergitarre.
Regener: Ja, so irgendwie schon.
Schwarz: Und teilweise auch so Blasmusikkapellen-Sound, aber nur so leise im Hintergrund.
Regener: Ja, so folky Kram, im Grunde genommen, diese ganzen Mittel, die man so, als Folk-Musik so elektrisch wurde, die man da so verwendet hat, die kommen hier viel vor, das stimmt schon.
Schwarz: Wie entsteht denn so was im Studio. Ist der Sound - ist das schon vorher klar, wie es klingen soll?
Ilja: Nein, ist nicht klar. Bei uns ist immer zuerst die Musik. Wir kommen zusammen, es gibt Vorschläge, man fängt an zu spielen und dann kristallisiert sich da langsam was heraus, wo man sagt: Aha, das ist ein Stück, das ist die Musik - so ist es gemeint, in der Art und Weise. Dann macht Sven einen Text und dann erscheint das Lied noch mal wirklich ganz konkret, ja, da weiß man schon mal, das ist das Lied. Aber im Studio, die Instrumente, die hinzukommen und so weiter, das sind eher - ja, man lädt Freunde ein, sagt denen, wie zum Beispiel mit den Streichern, sagt dem Orm Finnendahl, der für uns auch schon andere Sachen gemacht hat - such dir drei Stücke, such dir was aus. Such dir drei Stücke aus, wo du glaubst, ein Geigenarrangement wäre schön. Oder wir haben Ecki Busch, der mit dem Akkordeon kommt.
Schwarz: Also ist alles offen am Anfang?
Ilja: Ja, das ist offen, und das ist auch gut so, dass es offen ist. Und es bleibt auch offen bis zur Mischung am Schluss, wo man dann wieder sitzt, und sagt: Hm, das war toll, aber wenn ich es jetzt so höre, scheint es doch so ein bisschen Platz wegzunehmen. Lass mal wegnehmen, lass mal gucken - und diese Offenheit und dieser auch letztendlich sehr entspannte Umgang mit dem eigenen Material, mit der Musik, ich denke das ist das auch, was man - was vielleicht die Produktion von uns auch auszeichnet.
Regener: Vor allem sollte man sich nicht früher zu viel vornehmen. Das geht immer in die Hose, weil die Songs, die sind wie so störrische Esel. Die wollen, die haben sowieso ihr Eigenleben und ihr eigenes - auch im Studio dann entwickeln sie so eine eigene Dynamik. Man weiß gar nicht, wie das kommt. Als wenn das so lebende Wesen wären, so störrische - die wollen dann nicht dahin, wo man hin will. Die wollen woanders hin. Und da kann man nichts machen, dem muss man dann folgen.
"Das analoge Leben war ja auch nicht ganz leicht"
Schwarz: "Lieblingsfarben und Tiere" ist ja ein Lied über die Qualitäten des analogen Lebens. So verstehe ich es jedenfalls. Über das Ab- und Ausschalten. Also, ich kann mal kurz zitieren: "Die E-Mails und die Kurznachrichten kannst du zusammen mit den Excel- und Worddokumenten dahin tun, wo die Sonne auch an warmen Tagen niemals scheint und wo auch schon die Meetings und die Skype-Kontakte ruhen." Das ist ja ein Lebensgefühl, das ich jetzt auch öfter mal aus meinem Umfeld sorgen, so: "Oh, kannst du mir bitte das Internet von 2003 zurückgeben, oder das analoge Leben zurückgeben". Ich meine, das ist ja auch der Sven Regener, der in den letzten Jahren laut geworden ist...
Regener: Ja, wobei, man muss ja eines mal der Ehrlichkeit halber sagen: Das analoge Leben war ja ganz so leicht auch nicht. Das Telefon ist ja sowieso die härteste Erfindung gewesen und das analoge Telefon, damals noch bei der Deutschen Bundespost, konnte man ja früh, als ich klein war, nicht mal ausstöpseln. Man konnte das auch nicht leiser stellen, wenn man nicht eine Sonderform extra geholt hatte für einen höheren monatlichen Betrag, sondern das war einfach so laut, wie es war, und das klingelte, und das ließ sich nicht abstellen. Man konnte es nicht abstellen. Insofern, man - Computer kann man einfach abstellen. Da geht man einfach mal nicht hin. Und das ist, glaube ich, das, was man natürlich manchmal auch, wenn die Sachen erst mal neu sind, muss man das erst mal wieder lernen auch, sich den Dingen, den Zumutungen da auch zu entziehen. Aber das ist eigentlich so ein Lass-mich-in-Ruhe-Lied. Das ist der Tag, an dem ich abhängen will, und an dem Tag, an dem ich abhängen will, da sollt ihr mich - da braucht ihr auch nicht zu klingeln, also die Klingelleitung ist ja auch eher ein analoges Phänomen. Aber die ist halt abgestellt. Aber natürlich, auf die heutige Zeit gemünzt, und das bedeutet eben, dass so ein Kram wie E-Mails, Skype, der ganze Kram eben auch alles mit vorkam, nicht? Kurznachrichten - was da so geht.
Schwarz: Ja, Sven Regener, ich nutze die Gelegenheit trotzdem, um an dieser Stelle natürlich die Überleitung hinzukriegen zu Ihrer Kritik am Selbstbedienungsladen Internet. Stichwort Urheberrechte, Streaming-Dienste - jetzt sind ja diese Dienste nun mal auf der Welt und wir kriegen sie nicht mehr weg. Was machen wir denn jetzt damit?
Regener: Nein, das sehe ich so nicht. Erst mal: Ich habe ja kein Problem mit dem Internet. Also, neulich meinte jemand zu mir: "Herr Regener, wie finden Sie das Internet?" Sag ich, das ist eine Frage wie "Wie finden Sie das Telefon?" Ich meine, jeder hat das doch, jeder benutzt das, ist doch eine völlig banale Sache eigentlich, das Internet. Und ich fand es ganz gut in diesem Ding von - wir sind die Urheber, in diesem Aufruf, wo es hieß, das Internet, die Existenz des Internets ist keine Entschuldigung für Geiz und Gier. Und darum ging es eigentlich. Dass man nämlich nicht sich rausreden kann, ja, weil das jetzt technisch möglich ist, besorge ich mir das jetzt alles, obwohl es eigentlich gar nicht erlaubt ist. Aber ist ja egal, besorge ich mir jetzt umsonst und dann kämpfe ich noch dafür, dass man dann auch keine Strafe - dass es dann irgendwie auch legal ist. Das heißt, das ist ja im Grunde genommen ein Enteignungsangriff auf Künstler gewesen. Das war der ganze Punkt, und das war alles, was mich störte. Der Rest ist doch wurscht! Streaming-Dienste, sage ich ganz ehrlich: Wir müssen unser Repertoire da nicht reinbringen.
300 Platten als Unterscheid zwischen Leben und Sterben
Schwarz: Sie nicht - andere schon.
Regener: Ja, wenn man es muss, dann hat man halt ein Pech mit seinem Plattenvertrag, vielleicht. Viele Indie-Labels zum Beispiel, die machen das auch nicht und sagen: Nee, wir machen das lieber nicht, weil das ist für uns der Unterschied zwischen Leben und Sterben, diese 300 Platten, die wir weniger verkaufen von einem Album, weil wir das in den Streaming-Dienst getan haben.
Schwarz: Aber das Ignorieren der Streaming-Dienste heißt ja auch, dass man eine ganze Generation ignoriert, nämlich die, die sich nur noch informiert über Musik über Streaming-Dienste.
Ilja: Es geht ja nicht um das Ignorieren davon. Es geht darum, dass die Konditionen, wie jeder andere Bereich auch, der sozusagen profitiert, dass andere Werte schaffen - dass die Konditionen dafür stimmen. Und das tun sie nun mal nicht. Und das ist der entscheidende Punkt, nicht, dass es das gibt. Streaming ist doch völlig in Ordnung, ist doch eine prima Sache. Aber dann weiß doch jeder, dass da Nullkomma und dann endlos Nullen und dann irgendwann eine Eins - das sind die Cent-Beträge, die pro Spielung da raus gehen. Und wir sind ja nicht die Ersten, die da was zu sagen.
Schwarz: Ist klar, aber wer ist denn da jetzt in der Pflicht?
Regener: Nein, das ist - man braucht das nicht. Man muss das nicht machen. Ganz ehrlich.
Schwarz: Man braucht das nicht als Künstler?
Regener: Nein. Ich bin der Meinung, das ist der Ein-Euro-Shop, und wenn man Musik für den Ein-Euro-Shop macht, dann soll man das tun und auch - ich bin auch nicht der Meinung, dass das eine Generationenfrage ist. Wenn jemand jetzt Element of Crime für sich entdeckt und das gerne haben will, ganz ehrlich mal: Ein Zehner für ein Album, das ist nicht viel Geld. Das ist nicht viel Geld. Eine Konzertkarte von Element of Crime kostet 35 Euro - ist auch nicht teuer. Bei den Rolling Stones fangen die bei 150 Euro an und gehen bis 700 Euro hoch. Da brauchen wir nicht zu diskutieren.
Schwarz: Als Verbreitungsweg halten Sie das für nicht notwendig?
Regener: Nein.
"Ich bin gegen diesen Mitmach-Faschismus"
Schwarz: Radio ist ja heute sozusagen nur noch für die älteren Herrschaften.
Regener: Das stimmt nicht. Das ist auch nicht wahr. Und es ist auch nicht wahr, dass die Leute da wirklich was entdecken. Sondern man entdeckt das, indem aus der Peer Group jemand sagt: Hier, das ist ein toller Künstler, und der ist toll. Die Kids kennen viele Dinge auch aus dem Fernsehen und natürlich auch aus dem Internet. Und wir sind ja überall auch unterwegs. Es gibt kein Problem, das Video von Element of Crime zu gucken irgendwo im Internet. Das ist nicht das Problem. Ich glaube, entweder entdeckt man was - meistens tatsächlich, und das ist nach wie vor so, das Meiste wird immer noch entdeckt, indem sich Leute davon erzählen. Auch und gerade Teenager. Denn die reden auch gerne miteinander oder schicken sich das. Und ich glaube, das ist auch in Ordnung. Man sollte aufhören damit, immer gleich die Panik zu kriegen: Hach, wenn ich da nicht auch dabei bin, dann bin ich abgehängt oder so. Das ist alles total uncool. Muss ich ganz ehrlich mal sagen. Man kann doch einfach sagen: Nö, bei uns geht das nicht. Ich finde das auch in Ordnung, wenn das andere machen. Ich will das auch niemandem ausreden, aber ich bin gegen diesen Mitmach-Faschismus von diesen ganzen Freaks, die immer sagen, ach, wenn du das nicht machst, dann bist du ein total alter Sack. Na gut, dann ist es halt so, ist mir doch wurscht.
Schwarz: Sven Regener und Jakob Ilja von Element of Crime über ihr neues Album "Lieblingsfarben und Tiere". Und ich danke Ihnen beiden fürs Kommen!
Ilja: Gern geschehen!
Regener: Ja, wir danken Ihnen, dass wir kommen durften.
Schwarz: Immer gerne wieder!
Regener: Ja, stark.
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