Wir üben uns in sozialer Distanz, weil Nähe gefährlich ist. Kontaktsperre, Homeoffice, Homeschooling, Homelearning – wir sind zurückgeworfen auf uns selbst. Aber nicht, weil wir ein anderes, vielleicht sogar besseres Leben erproben wollen, sondern weil es uns verordnet wurde. Und viele erleben im Shutdown einen Stress, der sie rastlos macht. Wie gehen wir mit dem Regiment der Ruhe um? Halten wir den Stillstand aus?
Svenja Flaßpöhler ist Chefredakteurin des "Philosophie Magazins" und Autorin zahlreicher Sachbücher. Sie sagt:
"Ich kann der Ruhe schon etwas abgewinnen. Ich finde, dass diese Krise tatsächlich Momente der Ruhe zeitigt, die wir so vorher nicht hatten. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass sich die Terminkalender leeren, dass die Optionenvielfalt radikal begrenzt wird. Aber man sollte sich auch sehr davor hüten, diese Situation, die wir im Moment erleben, zu romantisieren, zu idealisieren. Sie zeitigt auch ein hohes Maß an sehr zerstörerischer Unruhe, wenn man so will, oder auch an tödlichem Stillstand."
Ralf Konersmann ist Professor für Philosophie an der Universität Kiel. Er ist Autor der Bücher "Die Unruhe der Welt" und "Wörterbuch der Unruhe". Er sagt:
"Was wir bisher produziert haben, wenn ich auf die akute Krise schaue, dann habe ich eher den Eindruck einer krassen Asymmetrie. Die analoge Welt steht still und schweigt, während sich im Netz – Stichwort Homeoffice – eine hochtourige Aktivität aufbaut. Offenbar haben wir es mit einer Verlagerung der Unruhe zu tun, die einen bestimmten Teil der sozialen Wirklichkeit freigibt – also den öffentlichen Raum so, wie wir ihn bisher kannten, um einen anderen Teil nun um so hemmungsloser mit der Unruhe zu konfrontieren. Für alle, die nicht schon in den letzten Jahren ein Leben als Nerd geführt haben, geht der Stress doch jetzt erst richtig los."