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Ukraine-Konferenz in Lugano
Schulze: "Wir müssen jetzt den Wiederaufbau planen“

Der Wiederaufbau der Ukraine sei schon zum jetzigen Zeitpunkt möglich, müsse aber nachhaltig gestaltet werden, sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im Dlf. Strom- und Wasserleitungen, sowie Häuser müssten repariert werden. Deutschland hat 426 Millionen Euro an Hilfsgeldern zugesagt.

Svenja Schulze im Gespräch mit Silvia Engels |
    Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
    Es gebe durchaus Regionen in der Ukraine, wo man bereits mit dem Wiederaufbau beginnen könne, betonte Svenja Schulze im Interview (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Ein Wiederaufbau in der Ukraine sollte jetzt geplant werden, auch wenn der russische Angriffskrieg andauere, sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze im Deutschlandfunk. Es gebe durchaus Regionen im Land, wo man beginnen könne. Laut der SPD-Politikerin ginge es zum Beispiel darum, Stromnetze zu reparieren – und dabei gleich einzuplanen, dass diese Netze europäischen Standards entsprächen. Ziel sei bei allen Hilfen, den Wiederaufbau nachhaltig zu gestalten.

    Deutschland hilft beim Wiederaufbau mit 426 Millionen Euro

    Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner täglichen Videoansprache betont, man dürfe nicht warten, bis der Krieg zu Ende sei. Allein in den Gebieten, aus denen russische Truppen vertrieben worden seien, gebe es zehntausende zerstörte Häuser.
    In Lugano in der Schweiz läuft am 4. und 5. Juli 2022 eine Hilfskonferenz für die Ukraine, auf der Deutschland von Ministerin Schulze vertreten wird. Der ukrainische Regierungschef Schmyhal bezifferte auf dem Treffen die notwendigen Mittel für den Wiederaufbau auf rund 720 Milliarden Euro. Die ukrainische Regierung will diesen zu einem großen Teil mit russischem Geld finanzieren. Herangezogen werden sollten die rund 300 bis 500 Milliarden Dollar Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen, die weltweit eingefroren seien. Deutschland hat, so Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, für die weitere Unterstützung des Wiederaufbaus 426 Millionen Euro zugesagt.

    Das Interview in voller Länge

    Silvia Engels: Wir haben die Zahlen gerade noch mal gehört: 720 Milliarden Euro veranschlagt der ukrainische Ministerpräsident für den Wiederaufbau der Ukraine. Zum Vergleich: Die EU hat bislang 6,2 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine mobilisiert. Ist diese Aufgabe, irgendwann die Ukraine wieder aufzubauen, zu groß?
    Svenja Schulze: Das ist eine riesige Aufgabe, die uns über viele, viele Jahre beschäftigen wird, und deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt hier in Lugano Prinzipien diskutieren, wie das passieren soll. Der Wiederaufbau soll nachhaltig sein. Alles, was wir jetzt schon tun – wir helfen, Stromleitungen zu reparieren, Wasser zu reparieren, Häuser wieder aufzubauen -, all das muss so sein, dass es auch zu diesen Prinzipien passt, nachhaltig ist, dass die Kommunen beteiligt werden. Diese Diskussionen sind wirklich wichtig, weil das ist etwas, was uns über eine sehr lange Zeit beschäftigen wird.
    Engels: Da geht es ums Prinzip, aber bleiben wir bei diesen Summen. Kann es denn rechtlich gelingen, die Hälfte dieser Mittel dieses hohen dreistelligen Milliarden-Betrages über eingefrorene Vermögen des russischen Staates oder russischer Oligarchen bereitzustellen?
    Schulze: Das werden wir auf der Strecke sehen müssen. Wichtig ist jetzt erst mal, dass es überhaupt einen Plan gibt, dass man vereinbart, wie wiederaufgebaut werden soll, weil es wird sehr viele Geber geben. Es gibt sehr, sehr viel Bedarf und in der Ukraine beginnt der Wiederaufbau ja jetzt schon. Ich war Ende Mai ja in der Ukraine und mich hat wirklich beeindruckt, dass der Bürgermeister zum Beispiel von Borodjanka, mit dem ich dort gesprochen habe, mit mir darüber reden wollte, wie machen wir den Wiederaufbau ganz konkret, wo fangen wir an, was sind die wichtigsten Dinge, und das beschäftigt jetzt gerade sehr, sehr viele und deswegen müssen wir auch planvoll da herangehen, damit das Geld, was da ist, auch sinnvoll eingesetzt wird.
    Engels: Klingt alles nach Hand und Fuß, Strom wiederherstellen, Wasser wiederaufbauen. Aber übersieht man da nicht den Elefanten im Raum, denn dieses Land wird permanent nach wie vor angegriffen, auch der Westen der Ukraine, wo jetzt schon Wiederaufbaumaßnahmen laufen. Kann man überhaupt einem Land mit so konkreten Projekten helfen, wo ein Frieden noch nicht mal in Sicht ist?
    Schulze: Ja, das ist sehr schwierig. Das ist nicht einfach. Aber es gibt Regionen, in denen das schon wieder geht. Ich war zum Beispiel in Lwiw, die sehr viel mit Menschen aus der Ukraine jetzt klarkommen müssen, die dorthin geflohen sind, und auch dort müssen Wohnungen errichtet werden, muss man Häuser wieder sanieren, damit dort Menschen erst mal unterkommen können, und das geht auch jetzt schon. Aber klar, das Beste ist, der Krieg hört jetzt endlich auf, und deswegen tun wir auch alles dafür, dass Putin jetzt endlich diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg stoppt.
    Die Brücke von Lyssychansk nach Severodonetsk ist nahezu komplett zerstört
    Die Brücke von Lyssychansk nach Severodonetsk ist nahezu komplett zerstört (IMAGO/ZUMA Wire, Madeleine Kelly)
    Engels: Sie planen den Wiederaufbau für dieses Land. Dafür nehmen Sie dann auch in Kauf, dass man Infrastruktur möglicherweise errichtet, die später wieder zerstört wird?
    Schulze: Wir versuchen, das möglichst zu vermeiden und jetzt erst mal provisorisch Dinge zu machen, die dann aber nachhaltig auch eingesetzt werden können, Stromnetze jetzt so zu reparieren, dass sie dem europäischen Standard entsprechen und man damit schon den nächsten Schritt wieder Richtung EU macht. Solche Prinzipien, das ist es, was wir heute hier in Lugano diskutieren, und auch Maßnahmen, damit man effektiv Korruption bekämpfen kann, damit eine Verwaltung modern wird und digital wird. Um diese Prinzipien geht es jetzt erst mal hier.

    Deutsche Hilfsgelder für Infrastruktur und Lebensmittel

    Engels: Auf das Stichwort Korruptionsbekämpfung kommen wir gleich noch zu sprechen. Erst noch mal speziell Deutschlands Rolle. Sie haben gesagt, neben der Milliarde Euro Budget-Hilfe für die Ukraine, die es gibt, damit das Land überhaupt weiterlaufen kann, seien auch 426 Millionen Euro derzeit speziell für den Wiederaufbau in der Ukraine genehmigt. Wird die Bundesregierung hier aufstocken?
    Schulze: Wir stocken ja immer wieder auf. Wir haben ein sehr schnelles Sofortprogramm gemacht. Das waren 185 Millionen, mit denen wir erst mal unmittelbar geholfen haben, mit den Flüchtlingen in der Ukraine klarzukommen, Stromnetze wieder zu reparieren. Jetzt kommen diese 426 Millionen Euro dazu für den Wiederaufbau und das wird ein Thema sein, das uns lange beschäftigt, und wir haben zugesagt, der Kanzler Olaf Scholz hat das getan, dass wir so lange helfen, wie es notwendig ist, und wir werben natürlich auch darum, dass das viele mit uns tun.
    SWITZERLAND UKRAINE RECOVERY CONFERENCE
    Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze sieht in der großen Wiederaufbau-Konferenz auch „riesige Chancen für die deutsche Wirtschaft“. (picture alliance/KEYSTONE )
    Engels: Dieses Geld, diese 426 Millionen Euro, das geht jetzt in Stromleitungen, Wasserleitungen. Wie muss man sich das konkret vorstellen? Oder ist es vor allen Dingen humanitäre Hilfe?
    Schulze: Nein, wir machen beides. Es ist humanitäre Hilfe, dass man unmittelbar vor Ort hilft, zum Beispiel Lebensmittel zur Verfügung zu stellen in den Regionen, wo das jetzt sehr knapp ist, aber wir bauen auch schon wieder Infrastrukturen auf, helfen, Wasserleitungen zu reparieren, helfen, provisorische Stromnetze aufzubauen. Mich hat in Borodjanka sehr berührt, wir liefern Lichtmasten und diese Lichtmasten werden zum Beispiel gebraucht, um verschüttete Menschen aus den Häusern zu retten. Das ist unmittelbare praktische Hilfe. Wir liefern kleine Bagger, mit denen man räumen kann und Menschen wieder unter dem Schutt hervorheben kann, ganz praktische Dinge, die jetzt unmittelbar gebraucht werden.
    Engels: Schauen wir auf ein Stichwort, das Sie auch schon genannt haben: Stichwort Korruptionsbekämpfung. Diese Konferenzplanung für die Ukraine gab es ja schon vor diesem großen russischen Überfall auf das Land und eigentlich sollte es um Fortschritte bei Reformen, bei Korruptionsbekämpfung gehen. Das sollten die Themen dieser Konferenz sein. Ist es nicht etwas realitätsfern, in diesem Moment nun in einem zermürbenden Krieg über Korruptionsbekämpfung zu diskutieren?
    Schulze: Nein, das muss sein. Wir müssen auch über Korruptionsbekämpfung diskutieren, weil das Geld, was Deutschland und andere Geber dort einsetzen, das ist Steuergeld und da muss man darauf achten, dass es wirklich dort ankommt, wofür es auch gedacht ist. Deswegen arbeiten wir zum Beispiel so stark mit Kommunen zusammen. Wir haben geholfen, die kommunale Struktur in der Ukraine aufzubauen, und da entstehen jetzt gerade Partnerschaften zwischen deutschen Kommunen und ukrainischen Kommunen. Wir haben jetzt schon 77 etablierte Partnerschaften. 35 deutsche Kommunen haben noch Interesse angemeldet. Wir werden Mittwoch noch mal eine große Konferenz machen, um da auch besser zu koordinieren. Diese unmittelbare Hilfe, das ist etwas, was auch hilft, Korruption zurückzudrängen.

    Korruptionbekämpfung muss mitgedacht werden

    Engels: Sie haben recht, Korruptionsbekämpfung, weil Steuermittel aus Deutschland fließen, ist ein wichtiges Thema. Auf der anderen Seite ist es doch Realität, dass in Kriegstagen oder auch in Nachkriegstagen, wenn die Kämpfe unmittelbar eingestellt sind, eine Phase in allen Ländern immer ausbricht, die mit Anarchie zu tun hat. Wie kann man da so hohe Maßstäbe an die Ukraine anlegen, dann Korruption zu bekämpfen? Muss man sich nicht vielmehr darauf einstellen, dass eine Zeit lang das gerade nicht möglich ist?
    Schulze: Das hat hier die Ukraine selber, das hat der Premierminister Shmyhal gesagt, dass ihm das wichtig ist, und ich finde, da müssen wir auch wirklich auf das achten, was der Ukraine selber wichtig ist. Sie wollen Korruption bekämpfen. Sie wollen das nachhaltig machen. Deswegen müssen wir, die wir unterstützen und helfen, alles dafür tun, dass diese Wünsche auch umgesetzt werden können. Und ja, das ist nicht einfach in einem Kriegsgebiet. Deswegen tun wir auch alles dafür, dass dieser Krieg möglichst aufhört, dass Putin endlich diese Angriffe stoppt. Aber diese Grundprinzipien müssen trotzdem eingehalten werden. Das ist wichtig.
    Engels: Werden Sie auch in irgendeiner Form darüber beraten, über welches Territorium wir am Ende überhaupt sprechen, wo es Infrastruktur-Maßnahmen geben kann? Denn noch ist ja völlig unklar, wie viele Teile der Ukraine tatsächlich die Ukraine mittelfristig kontrollieren wird.
    Schulze: Das ist hier auf dieser Konferenz erst mal nicht Thema. Hier geht es wirklich um die Grundprinzipien, den Plan für den Wiederaufbau, weil alles, was man in der nächsten Zeit tut, muss so sein, dass es nachhaltig ist, dass es weiter genutzt werden kann. Das steht hier gerade im Fokus, nicht die Details, die am Ende auch nur die Ukraine entscheiden kann, nämlich was sie in Friedensverhandlungen bereit sind zu tun und was nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen