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Symbiose von Geist und Macht

Bundespräsident Theodor Heuss war ein Mann mit vielen Talenten. Peter Merseburger erzählt die Geschichte seines Lebens mit der Ruhe des erfahrenen Biografen und der Recherchefreude des neugierigen Journalisten.

Von Jürgen König |
    Als "Papa Heuss" blieb sein Name im kollektiven Gedächtnis haften, dabei gehörte Theodor Heuss - wie auch Konrad Adenauer – eigentlich der Generation der Großväter an, was Peter Merseburger als "Glücksfall" für die zweite deutsche Demokratie ansieht. Mit seiner im Kaiserreich ausgebildeten Persönlichkeit sei er ebenso ein "bekennender Demokrat" gewesen wie ein "überzeugter Nationaler" – und damit für die Spitze der neuen Republik die "Idealbesetzung".

    Erstmals stand mit ihm an der Spitze eines deutschen Staates ein klassischer Bildungsbürger mit unerhört großem Fundus, der eine Symbiose von Geist und Macht zu repräsentieren schien, auch wenn von der Machtfülle eines Präsidenten der Weimarer Republik fast nichts geblieben war.

    "Im Bewusstsein meiner Verantwortung vor Gott trete ich dieses Amt an. Indem ich es übernehme, stelle ich dieses Amt und stelle unsere gemeinsame Arbeit unter das Wort des Psalmisten: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk."

    Mit seinem "orphischen Bass", wie Rudolf Augstein das nannte, der schwäbischen Klangfärbung, gut aussehend und mit einem "Bürgerbauch unter der Weste" wurde Theodor Heuss schnell populär. Allem Zeremoniellen abgeneigt: der "Papa Heuss", der selbstironisch Trinksprüche fallen ließ wie:

    Von München, Kiel bis Neuss,
    ... keine Feier ohne Heuss!


    Peter Merseburger erzählt die Geschichte seines Lebens mit der Ruhe des erfahrenen Biografen und der Recherchefreude des neugierigen Journalisten - und schafft es, die vielen Quellen – allein etwa 80.000 Briefe hat Theodor Heuss geschrieben - in einen eleganten Text zu verwandeln. Ausführlich und mit spürbarer Leidenschaft widmet er sich dem jungen, dem "unbekannten" Theodor Heuss. 1884 wird er im schwäbischen Brackenheim in kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren; der Vater stirbt früh, so wird Friedrich Naumann, der Theologe und liberale Politiker im Kaiserreich, zum "Ersatzvater" des Theodor Heuss. Der Nationalökonomie und Kunstgeschichte studiert und Journalist wird; militäruntauglich geschrieben erlebt Heuss den Ersten Weltkrieg als Chefredakteur der "Neckar-Zeitung" in Heilbronn und als Redakteur der Kunst- und Kulturzeitschrift "März".

    "Er war ein Mann der Moderne um die Jahrhundertwende und ist es eigentlich immer geblieben, er hat Liebermann gemocht, er hat die Berliner Sezession in Kritiken gelobt, er war dann Geschäftsführer des Werkbunds, also für modernes Bauen – aber wenn es zu intellektuell wurde, wie bei Gropius zum Teil, da hat er dann manchmal seine Bedenken gehabt. Heuss war bei aller Modernität und bei manchem Avantgardistischen war er doch immer ein Bürger. Er blieb ein Bürger und, wenn Sie wollen, ist das seine provinzielle Verhaftung, die ihn auch so glaubwürdig macht."

    Ein echter Bürger, durch und durch zivil, ein Mann des Maßes, allen Ausschweifungen abgeneigt und mit einfachen Vorlieben ausgestattet: eine gute Brasil und zwei, auch mal drei Viertele Lemberger mussten es schon sein.

    Ein Bürger, der ein "unermüdlicher Bücherfresser" ist, ein Bildungsbürger, dabei alles andere als ein Biedermann: mit seiner Frau, der Sozialpolitikerin Elly Knapp, die aus einer Juristen- und Gelehrtenfamilie stammte, führt Heuss "eine moderne, aufgeklärte Intellektuellen-Ehe".

    "Sie hat ihr eigenes Verdienst gehabt als Lehrerin und hat auf Vortragsreisen viel Geld verdient, vor allen Dingen im Sinne der Frauenemanzipation. Und sie waren auch intellektuelle Partner. Sie war eine Art Über-Redakteurin, die alles von ihm sehr kritisch betrachtete, schon als Verlobte hat sie gesagt: 'Du, was du da geschrieben hast, dieses Wort streich, das ist altfränkisch! Und deine Kunstkritiken sind unverständlich!'"

    Mit "Hitlers Weg" veröffentlichte er 1932 ein überaus kritisches Buch über Hitler, in dem er die radikale Ächtung der Juden voraussieht. Dass er trotzdem als Reichstagsabgeordneter der liberalen "Deutschen Demokratische Partei" dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" zustimmte, jenem Freibrief für Hitler, Gesetze nach Belieben zu erlassen, hat Heuss zeitlebens als "Sündenfall" angesehen. Ausführlich beschreibt Peter Merseburger die Umstände dieser Abstimmung und kommt zu einem relativ milden Urteil: Heuss habe sich in der NS-Zeit "nicht mit Ruhm bekleckert". Der Autor räumt zwar ein, dass man Heuss mit dem moralisch-rigorosen Blick von heute nicht mehr zum Bundespräsidenten wählen könnte. Zugleich wirbt er um Verständnis für einen Mann, der kein Widerständler war, sondern sich in widriger Zeit geistig zu behaupten suchte. Und der nach dem Krieg als Erster von der nötigen "Aufarbeitung" gesprochen habe und von der "Kollektivscham".

    "Er hat die 'Kollektivschuld' als Begriff abgelehnt, weil er sagt, dass sei die Umkehrung dessen, was die Nazis mit den Juden betrieben hätten. Ein Jude sei schuld, weil er Jude sei. Ein Deutscher sei nicht schuld, weil er Deutscher sei. Deshalb hat er gesagt: ich nehme den Begriff 'Kollektivscham' und hat gesagt, ich schäme mich, einem Volk anzugehören, das diese Verbrechen von diesen Spießgesellen Hitlers durchgeführt hat, und wir müssen uns alle dafür schämen, im Grunde leiden wir alle darunter und wir müssen uns davon lösen, indem wir uns damit auseinandersetzen."

    Gleich nach dem Krieg wurde Theodor Heuss wieder mit journalistischen und parlamentarischen Aufgaben betreut; aus den verschiedenen liberalen Gruppen Westdeutschlands formte er die FDP. Und er wurde einer der "Väter" des Grundgesetzes. Als solcher schrieb er die Regeln für sein späteres Amt selbst fest: In Erinnerung daran, dass Reichspräsident Hindenburg einst Hitler hatte berufen können, sprach er sich vehement dafür aus, die Macht des Bundespräsidenten stark einzuschränken.

    Im erheblich geschrumpften Arsenal der politischen Waffen blieb dem neuen Präsidenten vor allem die Rede, aber gerade sie wusste Heuss so überzeugend zu nutzen wie nach ihm bisher nur Richard von Weizsäcker. Heuss wurde zur moralischen Instanz, gab dem neuen Staat Konturen und ein geistiges Gesicht. Er trat ein Amt an, das über keinerlei Tradition verfügte, aber durch sein Amtsverständnis und seine präsidiale Praxis vermochte er eine Tradition zu schaffen, an die sich seine Nachfolger gebunden fühlen. Bis heute ist die politische Kultur der Bundesrepublik nicht zu denken ohne die Akzente, die Theodor Heuss am Anfang setzte.

    "Das Wort von Arnulf Baring: 'Am Anfang war Adenauer' das stimmt. Weil Adenauer der Mann war, der die Politik bestimmt hat und die Weichen gestellt hat. Aber Adenauer war auch ein Mann, der artikulationsschwach war. Und am Anfang war die Demokratie in der Bundesrepublik überhaupt nicht beliebt. Die Leute hatten in Erinnerung: Weimar, Parteienzerrissenheit, das Scheitern der Demokratie; natürlich war noch lebendig die Indoktrination der nationalsozialistischen Zeit, 'Demokratie ist schlecht'. Nicht Adenauer, Heuss war derjenige, der mit seinen Reden die Deutschen mit der Demokratie versöhnt und an sie herangeführt hat."

    "Ein Leben, in dem es keine Brüche gab, nur Entwicklungen", so beschrieb es Elly Heuss, und so sieht es auch Peter Merseburger. Sein Buch ist nicht nur die erste umfassende Heuss-Biografie überhaupt, sondern auch das Spiegelbild eines halben Jahrhunderts. Und es macht die schönste Lust, einen Autor zu entdecken: Theodor Heuss.

    Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident. DVA, 672 Seiten, 29,99 Euro.