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Symbolische Wende in Südafrikas Aidspolitik

Aus einem südafrikanischen Labor kommt ein Vaginal-Gel, das Frauen erstmals die Möglichkeit zur eigenständigen HIV-Prävention geben soll. Auch wenn das Infektionsrisiko mit Hilfe des Mikrobiozid-Gels nur um 40 Prozent sinkt, ist auch das schon ein großer Erfolg.

Von Dagmar Wittek | 24.07.2010
    Weltweiter Beifall. Südafrika hat ein Scheidengel entwickelt, dass das Aidsrisiko halbiert. Dr. Janet Fröhlich von Südafrikas Aidsforschungsprogramm CAPRISA ist voller Stolz.

    "Frauen, die das Gel über zweieinhalb Jahre hinweg regelmäßig benutzen, haben ein 40 Prozent geringeres Risiko sich mit dem HI-Virus zu infizieren. Und wenn sie sich strikt an die Anwendungsregeln halten, nämlich das Gel vor und nach dem Geschlechtsverkehr zu benutzen, dann sind sie sogar in 54 Prozent aller Fälle vor einer Infektion geschützt."

    Es ist das erste Mal, dass ein sogenanntes Mikrobizid-Geld überhaupt Wirkung zeigt, jubelten Experten bei der Weltaidskonferenz in Wien. Es ist auch das erste Mal, dass ein Anti-Aidsmedikament in einem Vaginal-Gel getestet wurde, erklärt Dr. Kobeka Melesana von CAPRISA.

    "Wir wussten ja, dass antiretrovirale Medikamente wirksam funktionieren, wenn es darum geht, eine Übertragung des Virus bei der Geburt von der Mutter auf das Kind zu verhindern. Wir haben daraufhin gesagt, wenn das antiretrovirale Medikament Nevirapin in 41 Prozent aller Fälle eine Infektion des Säuglings verhindert, wenn man es 12 Stunden vor der Geburt der Mutter und innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt dem Säugling verabreicht, dann könnte ein örtlich ähnlich angewendetes Gel mit dem Medikament Tenofovir vielleicht auch funktionieren. Das heißt die Frauen mussten es 12 Stunden vor dem Sex und innerhalb von 12 Stunden nach dem Sex anwenden. Und: In der Tat es funktioniert."

    Das Vaginal-Gel, sollte es in einigen Jahren, nachdem es noch weitere Tests hinter sich gebracht hat, auf den Markt kommen, könnte in den nächsten 20 Jahren allein in Südafrika 1,3 Millionen HIV-Infektionen und rund 826 000 Aidstote verhindern, rechnen die südafrikanischen Aidsforscher hoffnungsfroh vor. Was die Wissenschaftler besonders optimistisch stimmt ist, dass Frauen eine wirksame Chance bekommen könnten sich zu schützen, auch wenn ihre Partner - wie so häufig in Afrika - keine Kondome benutzen wollen.

    "Die Jungs und Männer wollen keine Kondome benutzen. Und die sind Schuld daran, dass die Aidsrate so hoch ist. Ich habe mich mit 16 testen lassen, da war ich negativ. Aber jetzt, hm, bin ich nicht so sicher ..."

    Die 18-jährige Alice gehört zu Südafrikas neuer Generation, die sich nicht mehr scheut offen über HIV und Aids zu sprechen. In Südafrika ist, seit Jacob Zuma vor gut einem Jahr Präsident wurde, eine Trendwende zu verzeichnen. Erstens spricht der Präsident offen über Aids und zweitens gibt die Regierung zu, mit landesweit rund 7 Millionen HIV-Infizierten, täglich 1500 Neuinfektionen und rund 600 Aidstoten am Tag in einer Krise zu stecken.

    "Wir müssen viel mehr tun, denn wir wissen, dass die Lage ernst ist. Daher müssen wir jetzt entschieden handeln. Unsere Botschaft ist einfach: Wir müssen die Ausbreitung von Aids stoppen."

    Die beim letzten Weltaidstag von Zuma vorgestellte neue nationale Aidsstrategie wurde freudig empfangen. Der Direktor von UNAIDS, Michel Sidibe:

    "Ich bin so froh, Präsident Zuma, dass sie Aids den Kampf ansagen. Der politische Wille ist da. Es hätte früher geschehen sollen, aber es ist nie zu spät. Sie haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt, indem sie bis 2011 achtzig Prozent aller HIV-Infizierten die antiretrovirale Medikamente benötigen, auch zukommen lassen wollen und die Zahl der Neuinfektionen bis 2011 halbieren wollen. Damit werden sie der Architekt des Endes dieser Epidemie in Südafrika und des Kontinents sein."

    Die Kernpunkte der neuen südafrikanischen Aidsstrategie sind:
    - das Einführen von kostenloser, freiwilliger Beschneidung von Männern, da das das Übertragungsrisiko des HI-Virus um 50 – 60 Prozent reduziert

    - kostenlose Medikamente der 2.Generation, wenn die erste zu starke Nebenwirkungen verursacht

    - Beschleunigung der Patientenaufnahme dadurch, dass auch Krankenschwestern und ausgebildetes Personal eine Behandlung initiieren können.

    Und ein erheblich früherer Beginn mit der kostenlosen Vergabe von antiretroviralen Medikamenten – nämlich wenn der T4-Zellen-Wert, der die Widerstandsfähigkeit des Immunsystems misst noch bei 350 statt bei 200 wie bislang ist.
    Der Sprecher der Aidsaktivistengruppe Treatment Action Campaign, oder kurz TAC, Lefa Thlame bezeichnet die Pläne als äußerst ambitioniert und sagt, dass Südafrikas neue Aidsstrategie unter gravierenden Engpässen leidet.

    "Wir haben erstens zu wenig Kondome, zweitens nicht ausreichend ausgebildetes Personal, drittens gibt es die Medikamente der zweiten Generation noch lange nicht an allen Kliniken und Krankenhäusern und viertens gibt es zu wenig Ärzte, das sind große Herausforderungen."

    Und entscheidend ist schlussendlich noch die Finanzierung. Südafrika – wie die meisten anderen afrikanischen Länder - kann sich die Aidskrise allein nicht leisten. Heißt: ohne internationale Hilfe geht es nicht. Im Schnitt kostet die Behandlung pro Patient: rund ein Euro am Tag, plus Labor- und Arztkosten.

    Um das Virus in Schach zu halten, müssen die Medikamente ein Leben lang eingenommen werden. Sechs Millionen Afrikaner warten derzeit noch dringend auf Anti-Aidsmedikamente. Fazit: Afrika steht vor einer Kostenexplosion. Und gleichzeitig versiegen die Gelder, warnt ein Bericht von Medecin sans frontieres.

    Die Geber der großen Aidsprogramme wie die Europäische Union, die USA, die Weltbank und der globale Aids-Fonds kürzen ihre Gelder, oder ziehen sich ganz aus den Programmen zurück. Der 50-jährige HIV-Positive Kenianer Jimmy Gideyi sieht seine eben durch die Medikamente neu gewonnene Lebensperspektive in Frage gestellt.

    "Als Aidspatient mache ich mir natürlich große Sorgen. Ich habe auf einmal das Gefühl, dem Virus womöglich wieder schutzlos ausgeliefert zu sein. Wenn die Gebergemeinschaft tatsächlich die Gelder einfriert, dann werden die Aidsprogramme nicht mehr weiterlaufen können. Und das bedeutet das Ende von vielen Menschenleben in Kenia und dem Rest von Afrika. In Kenia werden 95 Prozent der Programme aus internationalen Mitteln finanziert. Wir HIV-Positiven werden nicht mehr produktiv sein können und letztlich sterben."

    Die ersten Länder bekommen die Kürzungen bereits deutlich zu spüren, so Dr. Gilles van Cutsem, Arzt bei Medecin Sans Frontieres.

    "In Teilen von Uganda musst Du um Anti-Aidsmedikamente zu bekommen, so lange warten bis ein anderer der sie nimmt, stirbt. Dann bekommst du seinen Platz. Die Wartelisten werden immer länger und Medikamente werden rationiert. Es ist eine Katastrophe."

    Die Gründe für die sich anbahnende humanitäre Katastrophe: Spendermüdigkeit und die weltweite Rezession. Nachvollziehbar, aber für die 33-jährige Aidspatientin Nyarai Mombera aus Simbabwe, die seit 2 Jahren die lebensverlängernden antiretroviralen Medikamente nimmt, ist dies lebensbedrohlich

    "Es ist als ob man uns auf eine Busreise geschickt hat und plötzlich auf halber Strecke bekommt man mitgeteilt bekommt, dass der Bus nicht weiterfährt. Das ist doch furchtbar. Für uns HIV-Positive heißt das, totaler Stress. Wenn wir keine Medikamente mehr bekommen, sterben wir."