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Synagoge und Tempel

Die meisten der zwölf in der Berliner Ausstellung in detailreichen Holzmodellen gezeigten Synagogen wurden in der Pogromnacht 1938 zerstört. Der Bestand jüdischer Architektur auch über Synagogen hinaus soll jetzt weiter erfasst werden.

Von Carsten Dippel |
    "Man sieht ebenfalls sehr schön auf der Empore des Modells diese Orgel, wohl die erste in einer derartigen Synagoge, diese Orgel hat aufgrund eines Fotos, das erst jüngst wiederentdeckt wurde, rekonstruiert werden können."

    Harmen Thies steht an einem Holzmodell des Seesener Jacobstempels von 1810, das derzeit im Berliner Centrum Judaicum ausgestellt wird. Thies leitet die Bet Tfila-Forschungsstelle für jüdische Architektur in Braunschweig. Sie hat die Ausstellung in der Hauptstadt wesentlich mitkonzipiert. Gezeigt wird die Entwicklung der Reformsynagogen vom Endes des 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund der allgemeinen jüdischen Reformbewegung. Der Reichtum dieser Architektur, das kulturelle Erbe, das sich mit den Lehr- und Bethäusern verbindet, ist heute weitgehend verloren.

    Der Seesener Jacobstempel hat es Thies besonders angetan.

    "Das ortsübliche und traditionelle des Äußeren ist hier wirklich nur dadurch sensationell geworden, dass es als Synagoge im Inneren dieses neuen Schulkomplexes von Israel Jacobson kombiniert wurde mit vollkommen neuen Vorstellungen zur Organisation und Durchführung eines jüdischen Gottesdienstes."

    In den Tagen, als die erste Reformsynagoge in Seesen entstand, war Deutschland das Zentrum der jüdischen Aufklärung, der Haskala. Die Synagogen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind ein bauliches Sinnbild für die Sehnsucht der jüdischen Reformbewegung, die Grenzen des Ghettos zu überwinden und von der christlichen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Lag die vom Braunschweiger Hofbankier Israel Jacobson gestiftete Schulsynagoge in Seesen noch verborgen im Hinterhof, so fügte sich Gottfried Sempers 1840 errichtete Synagoge in Dresden schon sichtbar ins Stadtbild. In Augsburg schließlich weihte die jüdische Gemeinde 1917 einen opulenten Kuppelbau mit gewaltigen Ausmaßen ein.

    "Man stellte sich dar und stellte sich auch bewusst und stolz mit seinen neuen großartigen Gebäuden dar. Auch da ist diese Synagoge hier in Berlin, also an der Oranienburger Straße ein sehr schönes Beispiel. Die Gemeinde hatte mehrere Grundstücke angeboten bekommen und hatte dann am Ende dieses schwierige Grundstück gewählt, obwohl an anderer Stelle, aber weniger repräsentativ es möglich gewesen wäre, sehr viel geschlossenere Komplexe zu errichten."

    Die goldene Kuppel mit dem Davidstern zählt heute zu den Wahrzeichen Berlins. Mit ihren maurischen Fassadenelementen ist die 1866 eingeweihte Synagoge in der Oranienburger Straße ein typisches Beispiel für jenen orientalisierenden Stil, der eine Zeit lang in bewusster Abgrenzung zu christlichen Kirchenbauten gepflegt wurde. Zum Kennzeichen jeder Reformsynagoge gehörte damals wie heute die Orgel. Die sorgte freilich für teils wüste Reaktionen, galt die Orgel doch als christlich-protestantisches Element par excellence. Am Bau von Reformsynagogen wirkten von Beginn an jüdische wie nichtjüdische Architekten mit. Harmen Thies:

    "Also auf jeden Fall sind die in Deutschland entstandenen Synagogen ohne Zweifel die führenden Bauaufgaben und auch Baulösungen gewesen. Außerhalb dieser zentraleuropäischen Gebiete gab es keine vergleichbare Entwicklung. Sodass man bis ins 20. Jahrhundert hinein mit einigem Recht behaupten könnte, die Entwicklung der Synagogenarchitektur ist eine deutsch-jüdische Entwicklung. Und erst mit der Zerstörung der jüdischen Gemeinschaft und der Emigration vor allem nach Amerika hat sich das Gewicht entsprechend nach Amerika verlagert."

    Die meisten der zwölf in der Berliner Ausstellung in detailreichen Holzmodellen gezeigten Synagogen wurden in der Pogromnacht 1938 zerstört. Manche erfuhren eine Umnutzung. Etwa die vom deutschen Architekten Peter Behrens im slowakischen Zilina 1929 entworfene Synagoge im Bauhausstil. In ihr befindet sich heute ein Kino. Die Modellrekonstruktion glich oft einem mühsamen Puzzlespiel. Von vielen Synagogen sind kaum mehr als Fotos geblieben. Mit viel Glück finden sich noch alte Bauzeichnungen. Entstanden sind die aufwendig gearbeiteten Modelle in Braunschweig im Rahmen eines Forschungsprojekts. Für Harmen Thies ist dieses Projekt jedoch nur ein Anfang:

    "Den Bestand jüdischer Architektur auch über Synagogen hinaus, Bauten die von der jüdischen Gemeinschaft errichtet wurden überhaupt nur zu erfassen, dann zu sichten, zu dokumentieren und am Ende in eine Datenbank einzuspeisen, diese Riesenaufgabe ist erst mehr gedacht, als tatsächlich auch nur in Ansätzen realisiert. Wir haben Listen aufgestellt und festgestellt, dass wir zwischen 20.000 bis 30.000 Synagogen in ganz Europa erfassen müssten, nur um zu wissen, ob sie denn noch existieren oder wie sie ausgesehen haben."