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Syrer im Libanon
"Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll"

Mehr als eine Million Syrer sind vor dem Krieg in den Libanon geflohen. Sie leben in Lagern, notdürftig versorgt. Während man sie zunächst willkommen hieß, gibt es seit Wochen Streit in der libanesischen Regierung über die Grenzen der Hilfsbereitschaft. Besuch in einem Zelt-Dorf in der Bekaa-Ebene.

Von Horst Blümel |
    Frauen sitzen am 10.11.2015 im Libanon in der Bekaa-Ebene in einem Flüchtlingslager vor ihren Behausungen.
    Die Behausungen in den Lagern sind dürftig. (picture-alliance/ dpa / Thomas Rassloff)
    "Ich heiße Amyra und bin 39 Jahre alt. Ich, mein Mann und unsere vier Kinder sind seit 2014 im Libanon. Wir mussten fliehen, weil unser Dorf bombardiert worden ist. Wir sind über Damaskus hierher gekommen und wussten nicht, wo wir bleiben sollten."
    "In Syrien ging es uns gut. Meine Eltern hatten keine gesundheitlichen Probleme. Mein Bruder, der später im Bürgerkrieg umgekommen ist, hatte ein regelmäßiges Einkommen und er konnte unsere Eltern finanziell unterstützen. Aber seit wir hier sind, geht es bergab. Meine Eltern stürzten beide, verletzten sich und mussten ins Krankenhaus. Seitdem geht es meinem Vater von Tag zu Tag schlechter."
    Die Bekaa-Ebene im Libanon. Wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt - etwa 150 Zelte am Rand eines kleinen Dorfes. Hier leben Flüchtlinge aus Syrien. Schon seit dem frühen Morgen hat sich dort eine Menschenschlange gebildet. Die Leute warten auf den Bus des Malteser-Ordens, der gerade eintrifft. Der weiße Bus der Ordensgemeinschaft ist eine gut ausgestattete Klinik. Das Ärzteteam kommt zweimal im Monat hier her. Dann kümmern sich die Mediziner nicht nur um die Flüchtlinge, sondern sie behandeln auch arme Libanesen aus der näheren Umgebung. Dr. Jamal, einer der beiden Ärzte:
    "Die Patienten haben hier das Gefühl, als seien sie in einer privaten Klinik. Wir kümmern uns eingehend um ihre Beschwerden und behandeln sie respektvoll. Im Gegensatz zu einer Privatklinik ist die Behandlung bei uns kostenlos. Die Patienten sagen uns oft, wie froh sie sind, dass es diesen Klinikbus gibt."
    Es mangelt an Wasser und Hygiene
    Eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm betritt den Bus und schließt die Tür. Dr. Jamal begrüßt die Frau freundlich und holt einen Ordner mit ihrer Krankengeschichte aus dem Regal. Schon seit einiger Zeit ist die Frau in Behandlung.
    "Die Frauen haben sehr oft Infektionen im Genitalbereich. Dies hat wahrscheinlich mit mangelnder Hygiene zu tun. Aber weitaus schlimmer ist, dass die Frauen praktisch ständig schwanger sind, da Paare keine Verhütungsmittel benutzen. Die Schwangerschaften laugen ihren Körper aus. Sie leiden unter Vitaminmangel und Blutarmut. Deshalb kommen hier viele missgebildete Babys zur Welt."
    Abwasserkanal neben einer Zeltstadt in einem Fluechtlingscamp in der Bekaa-Ebene, Bar Elias, 06.10.2016.
    Die hygienischen Bedingungen in den Flüchtlingscamps sind unzureichend (imago stock&people / Thomas Trutschel)
    Infektionskrankheiten sind in der Zeltsiedlung weit verbreitet. Dies liegt zum Teil an defekten Abwasserleitungen und zu wenigen sanitären Einrichtungen. So müssen sich vier Familien ein Toilettenhäuschen teilen. Und immer wieder wird das Wasser knapp. Ein Bewohner sagt:
    "Ein großes Problem ist die Wasserversorgung. Wir bekommen immer nur Wasser für zwei Monate. Manchmal bleibt die Folgelieferung aus und dann sind wir ohne Wasser. Das ist eine ganz schwierige Situation."
    "Wir tragen unser Kreuz in allen Gebieten"
    "Unter meinen Patienten sind auch viele Kinder. Sie haben Harnwegsinfektionen und manche nässen in der Nacht ein. Dies ist ein mentales Problem. Sie sind durch die Kriegserlebnisse in ihrer Heimat traumatisiert und haben deshalb diese Beschwerden", sagt Dr. Jamal.
    Seit 2014 ist der Klinikbus der Malteser unterwegs. Einige Flüchtlinge wissen erst seit Kurzem, dass sie an Diabetes oder Bluthochdruck leiden, eine Untersuchung in einer privaten Klinik konnten sie sich vorher nicht leisten. Nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch der Bürgermeister des kleinen Dorfes begrüßt den Einsatz der christlichen Gemeinschaft.
    "Ich bin erleichtert, dass es jetzt diesen Bus gibt. Vorher war es um die Gesundheit der Flüchtlinge äußerst schlecht bestellt. Sie hatten kein Geld, um 15 km mit dem Bus zum nächsten Arzt fahren zu können. Der Klinikbus ist wirklich ein Segen für uns."
    Der Koordinator von Malteser International, Clemens Mirbach. Er arbeitet seit 15 Jahren im Libanon.
    "Die Malteser sind seit dem Bürgerkrieg hier. Wir sind eine 'faith based'-Organisation. Und 'faith based' heißt, dass wir ein Bekenntnis haben. Wir tragen unser Kreuz in allen Gebieten, ob das sunnitische oder schiitische Gebiete sind. Wir haben Kooperationen in Hisbollah-Gebieten, wo wir genau wissen, wir werden niemals in deren Credo einstimmen. Aber sie schätzen uns. Bei uns wissen sie, wofür wir stehen. Sie können es genau nachlesen, in der Bibel oder im Evangelium."
    Da die Malteser nicht missionieren, kommt es nicht zu Konflikten mit der überwiegend muslimischen Bevölkerung.
    Die Konkurrenz um Arbeit und Wohnraum spaltet den Libanon
    Die Flüchtlingskinder sind aufgeregt. Gleich werden sie von einem Bus abgeholt und zur Schule gebracht. Der Unterricht findet in einer sogenannten Doppelschule statt. Am Morgen lernen hier libanesische Kinder und nachmittags unterrichten die Lehrer syrische Flüchtlingskinder. Laut UNICEF gibt es 360 solcher Schulen im Land. Deutschland finanziert zum Großteil diese Schulen.
    In Syrien herrscht seit sieben Jahren Bürgerkrieg. Seitdem sind mehr als eine Million Menschen aus dem Nachbarstaat in den Libanon geflohen. Jeder fünfte Bewohner des Landes ist nun ein Flüchtling. Kein Land hat im Verhältnis zu seinen Einwohnern mehr Flüchtlinge aufgenommen.
    "Ich bin seit 2013 im Libanon. In Syrien hatten wir keinen Stuhl mehr zum Sitzen und keinen schattigen Ort - alles war zerstört. Wir fürchteten um unser Leben und hatten keine andere Wahl: wir mussten unsere Heimat verlassen."
    Während man zu Beginn des Krieges die Flüchtlinge im Libanon willkommen hieß, gibt es seit Wochen Streit in der Regierung, wie man das Flüchtlingsproblem lösen könne. Die große Anzahl der Geflohenen belastet das hochverschuldete Land. Und die Wirtschaftslage im Libanon ist schlecht: Es gibt viel zu wenig Arbeitsplätze und die vorhandenen freien Plätze besetzen Arbeitgeber oft mit Flüchtlingen, da diese für einen geringeren Lohn arbeiten als Einheimische. Arbeitgeber nutzen den Umstand aus, dass Flüchtlinge eigentlich nicht arbeiten dürfen.
    Der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri am 3. November vor Journalisten in Beirut.
    Der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri (AFP / Anwar Amro)
    Aufgrund der vielen Flüchtlinge herrscht Wohnungsnot und dadurch sind die Mieten gestiegen. Und durch die syrischen Flüchtlinge, die überwiegend sunnitische Muslime sind, hat sich der Prozentsatz der Religionen im Libanon drastisch verschoben. Gemäß Schätzungen sind jetzt 54 Prozent der Einwohner Muslime, 40 Prozent Christen, 5,6 Prozent Drusen und der Rest bekennt sich zu anderen Religionen. Der Politikwissenschaftler Prof. Hilal Khashan von der American University in Beirut:
    "Die libanesischen Christen, vor allem die Maroniten, fordern seit Langem, dass die syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat abgeschoben werden sollen. Aber unser Premierminister Saad Hariri sagt, dass wir sie nicht zwingen sollten, nach Syrien zurückzugehen. Dort herrscht immer noch Krieg. Und damit handelt er im Sinne der Amerikaner. Die Forderung, die Menschen außer Landes zu bringen, drückt Furcht und Hass gegenüber den Flüchtlingen aus.
    "Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll"
    Einige hundert syrische Flüchtlinge sind vor kurzem freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie mussten aber dazu vorher die Erlaubnis von der libanesischen und syrischen Regierung einholen. Zur Sicherheitslage in Syrien gibt es unterschiedliche Meinungen: Die libanesische Regierung behauptet, in vielen Gebieten Syriens sei die Lage für eine Rückkehr stabil genug, das Flüchtlingshilfswerk der UN bezweifelt dies jedoch. Die libanesischen Behörden werfen dem UNHCR vor, es würde die Heimkehr der Geflohenen behindern.
    Es werden sich wohl bald weitere Flüchtlinge auf den Weg in ihre Heimat machen, da die Lebensbedingungen für sie im Libanon immer schwieriger werden. Nur noch etwa 60 Prozent der beim UNHCR registrierten Flüchtlinge erhalten umgerechnet etwa 20 Euro pro Monat, da dem Flüchtlingshilfswerk Geld fehlt. Vielen geht es so wie Amyra und ihrer Familie.
    "Mein Mann sucht seit Monaten einen Job, aber er findet keine Arbeit. Wir müssen auch aus unserem Zimmer raus, das wir gemietet haben. Eine neue Bleibe ist nicht in Sicht, keiner will uns etwas vermieten. Ich weiß wirklich nicht, wie es mit uns weitergehen soll. Aus Sorge kann ich nachts nicht mehr schlafen und ich weine viel."