Syrien
Hoffnung auf friedlichen Übergang nach Sturz des Assad-Regimes

Nach dem Sturz des Diktators Assad hat eine Rebellenallianz die Macht in Syrien übernommen. Während sich westliche und arabische Politiker für einen friedlichen Übergang einsetzen, nutzen regionale Mächte die fragile Lage aus.

    Die Türkei hat am 14.12.2024 ihre Botschaft in Damakus, Syrien, wiedereröffnet. Die Freude darüber ist bei zwei Frauen groß.
    Die Türkei unterstützt Teile der syrischen Rebellen, die Machthaber Baschar al-Assad gestürzt haben. Das Land hat seine Botschaft in Damaskus am 14.12.2024 wiedereröffnet. (picture alliance / abaca / DIA Images )
    Nach 13 Jahren Bürgerkrieg hatten Kämpfer unter der Führung der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) am 8. Dezember Syriens Hauptstadt Damaskus erobert und den jahrzehntelang herrschenden Machthaber Assad gestürzt. Die HTS hat eine Übergangsregierung eingesetzt, die versprochen hat, die Rechte aller Syrer zu schützen. Der bislang wenig bekannte Mohammed al-Baschir soll diese bis zum 1. März 2025 führen.
    Noch ist die Freude der Menschen in Syrien über das Ende des Assad-Regimes groß. Doch es herrscht Sorge, ob die neuen islamistischen Machthaber ihr Versprechen für den Aufbau eines gerechten, freien Syriens halten werden. Die HTS, einst als Al-Nusra-Front bekannt, bleibt für viele in Syrien umstritten.

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    Hinzu kommt der Einfluss ausländischer Akteure: Während pro-türkische Milizen im Norden Syriens gegen die Kurden vorgehen, bombardiert Israel massiv militärische Einrichtungen in Syrien und ist in die Pufferzone zwischen den Golanhöhen und Syrien eingerückt. Unklar ist auch, welche Rolle der Iran künftig spielen wird. Die Außenminister mehrerer arabischer Staaten riefen zu einem friedlichen Übergang in Syrien auf.

    Inhalt

    Wie kann ein friedlicher Übergang in Syrien gelingen?

    Aus Sicht des syrischen Journalisten Raja Khadour komme es nun auf drei Dinge an: Erstens müsse die Zivilgesellschaft in Syrien wachsam bleiben, etwa wenn im syrischen Staatssender plötzlich islamistische Lieder gespielt würden oder bei der Rede des neuen Übergangsregierungschefs im Hintergrund die Taliban-Flagge weht. Jetzt wurden die Beschwerden der Zuschauerinnen noch berücksichtigt, doch wird es so bleiben?
    Zweitens müsse aus Sicht des syrischen Journalisten Khadour die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen weiter vorangetrieben werden, wie es bereits an deutschen Gerichten etwa im Prozess gegen Kriegsverbrecher des Assad-Regimes in Koblenz passiert ist.
    Drittens dürfe Syrien kein Spielball bewaffneter Gruppierungen und Nachbarländer bleiben. Internationale Partner könnten dabei einen Rahmen geben, auch Deutschland sei gefragt, betont Raja Khadour.

    Wer ist die Rebellenallianz unter Führung von Hajat Tahrir Al-Scham (HTS)?

    Die Allianz Aufständischer, die gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad gekämpft hat, setzt sich aus verschiedenen Gruppen zusammen. Es würden mindestens vier Assad-feindliche Armeen existieren, sagt Konfliktforscherin Sophia Hoffmann. Damaskus sei beispielsweise mindestens von zwei Seiten von verschiedenen Gruppen eingenommen worden.
    Angeführt wurde die Offensive der Assad-Gegner von der Gruppe Hajat Tahrir Al-Scham (HTS) unter der Führung des Kämpfers Abu Mohammed al-Dschulani: eine Gruppe, die schon seit mehreren Jahren in einem Teil Nordsyriens regiere, so Hoffmann. Dort habe sie „relativ erfolgreich“ eine Art Mini-Staat aufgebaut.
    Die HTS, gilt als Nachfolger der früheren Al-Nusra-Front, eines Ablegers der Terrororganisation Al-Kaida in Syrien. Nach Angaben von Behörden in den USA und Australien distanziert sich die HTS seit 2016 von Al-Kaida. Dennoch verfolge die Gruppe noch immer eine salafistisch-dschihadistische Ideologie, schreibt die US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS). Von den Vereinten Nationen, den USA, der EU und der Türkei wird die HTS als Terrororganisation eingestuft.
    „Natürlich sind die Religiöse, aber man muss sie jetzt erst einmal an ihren Taten messen – und es hat bisher keine Massaker oder Überfälle auf nicht-sunnitische Gruppen gegeben“, sagt Konfliktforscherin Hoffmann. In einem Interview habe HTS-Führer Dschulani außerdem betont, dass er auf ein vielfältiges Syrien setze, in dem sich unterschiedliche religiöse Gruppen wohlfühlen können. „Das sind alles sehr gute Zeichen. Aber die Zukunft ist natürlich sehr offen.“
    Die neue Führung in Damaskus will sich nach eigenem Bekunden dem Wiederaufbau Syriens widmen.

    Warum gelang ausgerechnet jetzt der Umsturz?

    Das syrische Regime hatte zwei mächtige Verbündete: Russland und Iran. Beide halfen Assad dabei, Dschihadisten und andere Aufständische zurückzudrängen – mithilfe der russischen Luftwaffe und schiitischen Milizionären.
    Beide Länder sind aber derzeit geschwächt: Russland kämpft in der Ukraine, der Iran ist durch den Konflikt der libanesischen Hisbollah mit Israel militärisch eingespannt. Der Zeitpunkt der Offensive dürfte von den dschihadistischen Milizen bewusst gewählt worden sein.

    Wie verändert sich das geopolitische Machtgefüge?

    Mit dem Sturz Assads verschiebt sich das Machtgefüge in der Region, in der Länder wie Russland, Iran und die Türkei eigene Interessen verfolgen und auch Israel indirekt involviert ist.
    „Syrien ist geostrategisch unglaublich wichtig für die Region“, sagt Konfliktforscherin Sophia Hoffmann. Zwar hat das Land keine eigenen Ressourcen. Aber es dient als Transitstrecke. „Für Iran war Syrien eine wichtige Nachschublinie für die Hisbollah in den Libanon.“
    Russland war bisher mit einem Luftwaffenstützpunkt im Landesinneren und einer Marinebasis in Tartus in Syrien vertreten. Truppenbewegungen deuten drauf hin, dass sich die Kräfte auf einen Abzug vorbereiten. Ob das das Ende der russischen Präsenz in Syrien bedeutet, ist allerdings noch nicht klar. Obeida Arnaut, ein Sprecher der neuen Übergangsregierung, rief Russland dazu auf, seine Präsenz in Syrien zu überdenken, schloss aber zugleich nicht aus, dass die russischen Truppen bleiben können. Für Moskau wäre der Verlust der Militärbasen ein geopolitischer Rückschlag.  

    Welche Rolle spielt die Türkei?

    „Die Türkei ist derzeit einer der wichtigsten Player in Syrien“, betont Ellinor Zeino von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara. Die Regierung von Präsident Erdogan verfolge dabei zwei Hauptziele: Zum einen sollen Autonomiebestrebungen der Kurden im Norden Syriens bekämpft werden, zum anderen gehe es um die Rückführung von syrischen Migranten. Rund drei Millionen Menschen sind vor dem syrischen Bürgerkrieg ins Nachbarland Türkei geflohen. Die Bedeutung des NATO-Mitglieds für die weitere Entwicklung wird auch durch die Besuche von US-Außenminister Blinken und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen unterstrichen. Beide waren binnen weniger Tage nach Ankara gereist. Von der Leyen sagte weitere EU-Unterstützung in Milliardenhöhe für die syrischen Geflüchteten in der Türkei zu.
    Schon beim Umsturz spielte die Türkei wohl eine entscheidende Rolle. Die Islamisten der HTS haben, so sagen Beobachter, sehr gute Beziehungen dorthin. Außerdem legen Berichte nahe, dass Ankara möglicherweise grünes Licht für die Offensive gegeben hat. Offiziell erklärt die türkische Regierung, sie habe mit dem Handeln der Aufständischen in Syrien nichts zu tun.
    Die Türkei unterstützt Dschihadisten, die sie sonst bekämpft? Für Michael Lüders ist das kein Widerspruch. Die Türkei betrachte die Allianz der Rebellen als „nützliche Idioten“. Sie sollen dabei helfen, „die Kurden im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei in Schach zu halten“, so der Nahostexperte. Die türkische Armee hält in Nordsyrien Grenzgebiete zur Türkei besetzt – als Folge mehrerer Militäreinsätze gegen die von Kurden dominierten Volksverteidigungseinheiten (YPG).
    Hier liegt eine Konfliktlinie mit den USA, die ihrerseits die kurdischen Kräfte unterstützen, weil sie dabei helfen, eine weitere Gruppe, nämlich die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) in Schach zu halten. Bei seinem Besuch in Ankara versuchte US-Außenminister Blinken dementsprechend die Türkei zu bremsen. Es sei eine „Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die Koalition zur Bekämpfung des IS weiterhin ihre wichtige Aufgabe erfüllen kann“, sagte Blinken.
    Nach dem Sturz des Assad-Regimes gibt es in Ankara die Hoffnung, dass viele der drei Millionen Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren oder auch abgeschoben werden könnten, analysiert Konfliktforscherin Sophia Hoffmann. In der türkischen Politik gelten diese Geflüchteten als große Belastung.

    Wie ist die Lage der Kurden in Syrien?

    Vor allem die Kurden in Syrien haben nichts Gutes zu erwarten. Sie fürchten Gräueltaten von der dschihadistischen Allianz. Gleichzeitig fürchten sie um ihr Einflussgebiet im Norden des Landes.
    Ob die kurdische autonome Region durch den Umsturz allerdings geschwächt wird, ist noch offen. Erste Äußerungen der Aufständischen deuten eher darauf hin, dass autonome Gruppen sich weiterhin selbst verwalten können.

    Wie ist die Situation von Christen in Syrien?

    Kirchenvertreter berichten von Sorgen der Gläubigen, weil Islamisten die Kontrolle im ganzen Land übernommen haben - auch und gerade weil die christliche Bevölkerung in der Vergangenheit durch die Al-Nusra-Front terrorisiert worden war. Christen fürchten durch den jetzigen Umsturz den Verlust der relativen Freiheit, die sie unter der Assad-Diktatur genossen hatten. Aufnahmen von einem brennenden Weihnachtsbaum, die im Internet kursierten, schüren die Ängste.
    Christen hoffen nach Angaben von Geistlichen auf eine neue Verfassung. Zugleich gibt es Zweifel und Bedenken, welche Rolle die christliche Glaubensgemeinschaft dabei spielen wird. Nach Angaben von Matthias Vogt vom Deutschen Verein für das Heilige Land ist die Zahl der Christen in Syrien ohnehin gering. Habe ihre Zahl vor dem Bürgerkrieg etwa 1,5 Millionen betragen, seien es heute gerade einmal 250.000, sagte Vogt laut Tagesschau.de.

    Warum greift Israel in Syrien ein?

    Nach dem Sturz Assads ist Israel in die entmilitarisierte Pufferzone innerhalb Syriens eingedrungen, die nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1973 geschaffen wurde. Auch wurden Hunderte von Angriffen auf Waffenlager durchgeführt.
    Israel rechtfertigt sein Vorgehen mit der Gefahr, die nach der Machtübernahme durch islamistische Rebellen von Syrien ausgeht - „trotz des moderaten Images, das die Rebellenführer vorgeben zu präsentieren", wie Israels Verteidigungsminister Israel Katz sagt.
    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte Israel und die Türkei auf, mit ihrem militärischen Vorgehen in Syrien den Prozess für einen friedlichen Machtwechsel nicht zu gefährden.

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