Archiv

Syrien
Assad erklärt Aleppo für "befreit"

Die ersten Menschen sind aus den verbliebenen Rebellengebieten Aleppos gebracht worden, Syriens Präsident Baschar al-Assad erklärte die Stadt für "befreit". Doch bei Hilfsorganisationen wächst die Sorge um die, die die Stadt verlassen haben.

    Ein verwundeter Syrer wird aus Ost-Aleppo evakuiert.
    Ein verwundeter Syrer wird aus Ost-Aleppo evakuiert. (AFP/Omar haj kadour)
    Die Menschen verließen die Rebellengebiete in Ost-Aleppo, sie wurden mit Bussen und Krankenwagen in das Umland der umkämpften Stadt transportiert. Beobachter und syrische Militärkreise berichteten, dass ein erster Konvoi mit etwa 1.000 Menschen Ost-Aleppo verlassen habe. Bei einem Drittel davon habe es sich um Kämpfer gehandelt. Angesichts der Lage in der Stadt könnte sich die Evakuierungsmission aber noch länger hinziehen. Syriens Präsident Baschar al-Assad erklärte die Stadt für "befreit". Er gratulierte dem syrischen Volk: "Was heute in Aleppo passiert, wird Geschichte schreiben."
    Evakuierung soll mehrere Tage dauern
    Zweigeteilte Karte: Aleppo und Syrien mit Darstellung der von den Kriegsparteien besetzten Gebiete
    Der staatliche TV-Sender Al-Mayadeen zeigte ab dem Mittag Bilder einer Kolonne mit grünen Bussen und Krankenwagen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und des Syrischen Arabischen Roten Halbmondes, die die Rebellengebiete verließen. Der Transport von mehreren 10.000 Menschen solle zwei bis drei Tage dauern, melden amtliche türkische Stellen.
    Die Vereinten Nationen bereiten sich nach eigenen Aussagen darauf vor, dass bis zu 100.000 Menschen in die Provinz Idlib fliehen könnten. Die UNO stehe in Kontakt mit der Türkei, um weitere Flüchtlingslager zu errichten, weil die Menschen möglicherweise auch in der nordwestlichen Provinz Idlib nicht in Sicherheit seien, sagte UNO-Nothilfekoordinator Jan Egeland. Heute sollen insgesamt rund 5.000 Kämpfer und 10.000 Zivilisten mit Bussen aus der Stadt gebracht werden.
    "Ich habe noch nie dieses Ausmaß menschlichen Leids gesehen"
    In Ost-Aleppo halten sich noch Zehntausende Menschen auf, von denen viele in zerbombten Häusern untergekommen sind. Wegen einer monatelangen Blockade wird die humanitäre Lage dort immer katastrophaler. Es fehlt akut an Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung. Weil es kaum Strom und Treibstoff gibt, können die Menschen trotz der Wintertemperaturen nicht heizen. "Ich habe noch nie zuvor dieses Ausmaß menschlichen Leids gesehen", wird die Leiterin der IKRK-Mission, Marianne Gasser, in einer Nachricht der Organisation auf Twitter zitiert. "Es ist schwer zu fassen, wie die Menschen überlebt haben", fügte der Regionaldirektor des IKRK, Robert Mardini, hinzu. Mehrere medizinische Hilfsorganisationen riefen zu dringender Hilfe für die Zivilisten auf. "Die Menschen verlassen Aleppo mit nichts", warnte Mohammed Katub von Syrian American Medical Society (SAMS). "Der Winter ist sehr kalt und wir rechnen damit, dass Menschen durch das kalte Wetter sterben."
    Der Iran, ein Verbündeter von Syrien, setzte offenbar zudem durch, dass zwei von Rebellen belagerte Dörfer evakuiert werden. 29 Busse und Krankenwagen seien auf dem Weg in die von Schiiten bewohnten Orte Fua und Kfraja, um dort Kranke und Notleidende herauszuholen, berichtete das syrische Staatsfernsehen unter Berufung auf den Gouverneur der Provinz Hama, Mohammed al-Hasuri. Der Iran habe dies in letzter Minute als Bedingung für die neu ausgehandelte Feuerpause gemacht, der die Rebellen am Mittwochabend zustimmten, sagte ein Sprecher der Aufständischen.
    Russland wirft Rebellen Gräueltaten vor
    Dem russischen Verteidigungsministerium zufolge sind die Rebellen aus ganz Aleppo verdrängt worden. Seit Beginn der Operation der syrischen Regierungstruppen hätten mehr als 3000 Kämpfer die Stadt verlassen, sagte Viktor Posnichir vom Generalstab in Moskau. "1524 von ihnen wurden amnestiert und entlassen, die anderen werden erst geprüft", sagte er der Agentur Interfax zufolge.
    Posnichir warf den Rebellen Gräueltaten in Aleppo vor. In Gefängnissen seien Zivilisten gefoltert worden, und kurz vor dem Eintreffen der syrischen Regierungstruppen sei der Großteil der Gefangenen getötet worden. "Das Dokumentieren der Gräueltaten hat begonnen. Es gibt viele Foto- und Videobeweise", sagte er. "Als eine der Maßnahmen zur Abschreckung wurden die Eltern im Beisein ihrer Kinder erschossen", teilte Posnichir mit. Zuvor waren der syrischen Armee Massaker an der Zivilbevölkerung vorgeworfen worden.
    Bürgermeister appelliert an die EU
    Der Bürgermeister des zerstörten Ostteils Aleppos der syrischen Stadt appellierte an die EU-Staats- und Regierungschefs, Beobachter in das Krisengebiet zu schicken. Mehr als 50.000 Zivilisten seien in Gefahr, es müsse sichergestellt werden, dass sie die Stadt verlassen könnten, sagte der Kommunalpolitiker Brita Hagi Hasan am Donnerstag am Rande des Treffens der EU-Chefs in Brüssel. "Sie sind kurz davor, massakriert zu werden". Er verlange nicht, dass Länder in den Krieg zögen, er wolle nur den Schutz der Zivilisten, sagte Hasan weiter.
    Der EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel wollte die Kämpfe in Syrien und die Rolle Russlands dabei scharf verurteilen, wie aus dem Entwurf der Abschlusserklärung hervorging. Neue Sanktionen zeichneten sich allerdings nicht ab. Hasan sollte später auch direkt in der Runde der 28 EU-Chefs sprechen - in der Geschichte der Gipfelrunden ein beispielloses Ereignis. "Die Menschen in Aleppo brauchen nicht weitere warme Worte, sondern echten Schutz", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach einem Treffen mit Hasan. Niemand in der EU stehe dem Leiden gleichgültig gegenüber.
    Hilfskonvoi offenbar unter Beschuss
    Der Konvoi, der Verletzte aus Aleppo bringen soll, wurde offenbar bereits beschossen, wobei mindestens drei Menschen verletzt wurden, darunter ein Mitglied der Hilfsorganisation Weißhelme. Das berichtet ein oppositionsnahes Fernsehprogramm unter Berufung auf den Leiter des Krankentransports, die Weißhelme bestätigten den Vorfall auf Twitter.
    (nch/vic/am/fwa)