Gerd Breker: Der gute Wille war aufseiten des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier ja vorhanden. Doch guter Wille allein verändert nichts. Die Enttäuschung wurde spürbar, sowohl nach dem Besuch im Iran als auch nach dem Besuch in Riad. Die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien wollen nicht ablassen von ihrer Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg. Die Bereitschaft für eine politische Lösung ist gering, nicht nur bei diesen beiden. Eine Sicherheitsarchitektur, wie sie Steinmeier vorschwebt, ist offenbar in der Region fremd. Der gute Wille ist da, nur er bewirkt wenig, zumal auch die Supermächte, die USA und Russland, in der Region ihr Süppchen kochen.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Roderich Kiesewetter, Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
Roderich Kiesewetter: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: Wir müssen es ganz klar sagen, Herr Kiesewetter: Der Bürgerkrieg in Syrien ist ein Stellvertreterkrieg.
Kiesewetter: Herr Breker, das ist natürlich nicht nur eine gewagte Aussage, sondern man kann es auch belegen. Iran mischt in Syrien intensiv mit und stützt Assad. Russland hat eingegriffen und stützt Assad. Die internationale Gemeinschaft in der Koalition, von den USA geführt, bekämpft IS. Erdogan bekämpft die Kurden und nur in Teilen IS. Die syrische Bevölkerung ist auf der Flucht, heute wieder 35.000 Menschen, die das Land durch die Bombardierungen verlassen haben. Deswegen war es gut, dass Steinmeier versucht hat, einen Gesprächsfaden zu knüpfen. Wir haben gesehen, dass dieser Faden noch nicht aufgegriffen wurde.
"Libanon und Jordanien stabilisieren - der Türkei helfen"
Breker: Steinmeier hat sich sowohl im Iran eine blutige Nase geholt als auch in Saudi-Arabien.
Kiesewetter: Ja und Saudi-Arabien finanziert die Aufstandsbewegungen mit und hält sich damit den Terror aus dem eigenen Land fern. Was wir brauchen ist eine Kontaktgruppe, aber dazu gehört eben Iran und gehört auch Saudi-Arabien und diese beiden Länder müssen sich bewegen. Wir wissen aber, dass hier Machtpolitik im Spiel ist. Leidtragende sind nicht nur die Flüchtlinge, sondern es gibt einen Exodus und Länder wie Libanon und Jordanien sind zu stabilisieren. Das heißt, wir Europäer müssen uns in der Region engagieren, um Libanon und Jordanien zu stabilisieren, der Türkei zu helfen. Aber die Schutzzonen für Flüchtlinge bedürfen eines UN-Mandats und hierbei insbesondere Bodentruppen, die diese Schutzzonen schützen, und die müssen aus dem sunnitischen Arabien kommen.
Breker: Sie haben es angedeutet: Seit Ende September ist Russland im Spiel. Russland unterstützt Assad. Das heißt, das Assad-Regime ist militärisch nicht mehr in die Knie zu zwingen?
Kiesewetter: Das Assad-Regime wird langsam ermatten. Assad ist eine Figur des Übergangs. Er wird vielleicht noch einige Jahre in Verantwortung bleiben, je länger Russland ihn stützt, aber das ist genau der Hebel. Wir müssen Russland dazu bewegen, dass es ein Mandat der Vereinten Nationen gibt. Und auf der anderen Seite müssen wir sichere Zonen für Flüchtlinge schaffen, humanitäre Korridore in der Region, weil wir Europäer es auch auf Dauer nicht verkraften würden, wenn die elf Millionen Syrer, die auf der Flucht sind, die acht Millionen Iraker, die auf der Flucht sind, den Weg nach Europa suchen würden. Das heißt, es braucht eine internationale Anstrengung, insbesondere durch Europa initiiert, um in der Region die Flüchtlinge zu halten, zu betreuen, ihnen Tagesstruktur zu geben und auch eine Perspektive für Rückkehr in einigen Jahren.
"Wir werden uns auf Jahre des Krieges einstellen müssen"
Breker: Stattdessen haben wir eine neue Offensive des Assad-Regimes mit russischer Luftunterstützung. Neue Flüchtlinge werden produziert. Das heißt, ein Ende, eine Lösung ist nicht in Sicht?
Kiesewetter: Das ist genau der Punkt. Wir werden uns auf Jahre des Krieges einstellen müssen und deshalb unsere Anstrengungen verstärken. Die Fluchtursachen sind bekannt, aber wir können sie nicht alle bekämpfen. Wir können die Folgen mildern und das bedeutet, die Türkei einzubinden, sie zu unterstützen. Sie haben zweieinhalb Millionen Flüchtlinge bereits aufgenommen, es werden mehr Flüchtlinge werden. Wir werden aus der Europäischen Union spätestens ab Sommer nächsten Jahres Flüchtlinge in die Türkei zurückführen. Dort wird es sehr große Anstrengungen bedürfen, um die Flüchtlinge nicht nur in Lagern, sondern auch bei ihren Familien zu unterstützen und unterzubringen. Das ist ja ein Kulturkreis, wo auch viele Verwandte in der Türkei haben. Das ist eine Kraftanstrengung, die nicht mit Schließen von Grenzen in Deutschland zu lösen ist - das wären Symptome -, sondern wir müssen uns bewusst sein, auch unsere Bevölkerung, dass wir hier auf Jahre engagiert sein müssen.
"Wir brauchen ein Mandat der Vereinten Nationen"
Breker: Die Einheit des Landes Syrien ist zerfallen. Ein Syrien, so wie wir es vorm Bürgerkrieg kannten, wird es nicht geben. Wie kann man den Druck auf die, die da Krieg führen, die da mit Krieg führen, ausüben, dass es zu einer politischen Lösung kommt?
Kiesewetter: Die politische Lösung hat ja auch Steinmeier versucht und wir werden Jahre brauchen, um eine politische Lösung zu erreichen und das Sterben zu stoppen. Was aber entscheidend ist bei dieser politischen Lösung ist: Wir brauchen ein Mandat der Vereinten Nationen, das wir dort legitim eingreifen können. Zweitens müssen sich die USA und Russland verständigen. Es kann nicht sein, dass hier völlig unkoordiniert die internationale Gemeinschaft, zu der sich auch Russland zählen will, vorgeht. Das verunsichert die Bevölkerung und erhöht die Flüchtlingszahlen. Das Eingreifen Russlands hat den Druck auf die Menschen in Syrien erhöht, das Land zu verlassen, weil sie überhaupt kein Vertrauen in die internationale Gemeinschaft haben, weil völlig unklar ist, wie das weitere Vorgehen ist.
Deswegen fordern wir auch aus der Union heraus einen Stopp des unkoordinierten Vorgehens, sondern Russland, die USA, die Koalition der Willigen müssen alles tun, dass sich die arabischen Staaten aus dem Golf-Kooperationsrat und der Arabischen Liga dort engagieren. Wir brauchen Bodentruppen von dort, die die Kräfte, die sich gegenseitig bekämpfen, trennen. Es geht um rund 1200 Milizen, rund 150 unterschiedliche Gruppen. Das lässt sich nicht mit Angriffen aus der Luft lösen. Was wir aus dem Westen leisten können, ist Luftraumüberwachung, sind auch begrenzte Luftschläge. Entscheidend ist, dass wir ein UN-Mandat bekommen mit arabischen Kräften. Dass die Araber es können, zeigen sie doch im Jemen. Dass 150.000 Soldaten von Marokko bis Pakistan, geführt von Arabien im Jemen kämpfen, mit 100 Luftfahrzeugen, zeigt, dass die sunnitischen Araber in der Lage sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, wenn es gegen die Schiiten geht. Aber das ist ja gerade das Abstruse, dass Sunniten und Schiiten nicht an einen Tisch kommen. Deswegen war das Bemühen von Steinmeier richtig, dass Iraner und Saudi-Araber an einen Tisch kommen. Das wollen sie nicht. Aber wir müssen den Arabern deutlich machen, dass es nicht hilft, Schiiten im Jemen zu bekämpfen, wenn sie ihre eigenen extremistischen Glaubensbrüder wirken lassen. Wir müssen gemeinsam gegen IS vorgehen, sonst werden diese arabischen Staaten vom IS überrannt. Das kann doch nicht in deren Interesse sein.
"Da helfen sicherlich kluge Sanktionen"
Breker: Und um sie zu überzeugen, brauchen wir da Sanktionen?
Kiesewetter: Ich denke, dass es sehr schwierig ist, in dieser Region mit Sanktionen zu arbeiten, weil dort sowieso unterschiedlichste Kräfte am Werk sind, und Sanktionen insofern nicht wirken würden, weil sie durch IS unterlaufen werden, weil die Türkei jahrelang mit dem IS auch kooperiert hat, zumindest Kämpfer des IS hat durchgeschleust aus Europa in Richtung Syrien und Irak. Das bedeutet, Sanktionen allein helfen nicht. Aber in jedem Fall müssen wir die Sanktionen gegenüber Russland aufrecht erhalten, solange das Minsker Abkommen nicht umgesetzt ist, und wir müssen überlegen, wie wir Iran und Saudi-Arabien an einen Tisch bringen. Ich halte jetzt gar nichts davon, die Sanktionen gegen den Iran ohne Weiteres aufzuheben, wenn der Iran nicht kooperativ ist.
Wir müssen auch überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, solange Saudi-Arabien und Iran sich verweigern, dass wir Saudi-Arabien auch mit Sanktionen belegen. Ich weiß, dass das sehr schwierig ist, aber wir können nicht tatenlos zusehen. Die Millionen von Flüchtlingen fliehen ja nicht zu ihren arabischen Glaubensbrüdern, sondern zu den sogenannten Ungläubigen. Sie finden ihre Perspektive im christlichen Europa. Aber wir müssen uns selber helfen, indem wir die Flüchtlingsursachen dort eindämmen, und da helfen sicherlich kluge Sanktionen, in jedem Fall aber der Druck, Verhandlungen durchzuführen.
Breker: Sanktionen auch gegenüber Russland?
Kiesewetter: Wir haben ja Sanktionen gegenüber Russland wegen des Verhaltens Russlands in der Krim. Ich warne davor, jetzt eine neue Sanktionsdiskussion gegen Russland aufzuwerfen, weil ja die Sanktionen bereits wirken gegen Russland im Hinblick auf die Ukraine. Aber wir müssen jeden Gesprächsfaden nutzen. Diese Woche Donnerstag beginnt wieder die Petersburger Konferenz in Potsdam. Auch hier müssen wir auf Russland einwirken. Russland muss kooperativer werden und darf sich eines UN-Mandats nicht mehr entziehen. Wir müssen gemeinsam die Vereinten Nationen in die Verantwortung bringen und ihre Unterorganisation Arabische Liga.
Breker: Roderich Kiesewetter war das im Deutschlandfunk. Er ist Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss. Herr Kiesewetter, ich danke für dieses Gespräch.
Kiesewetter: Danke, Herr Breker. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.