Während Syrerinnen und Syrer in Deutschland jubeln, melden sich bereits erste Stimmen aus den Reihen der CDU und AfD, die von möglichen Abschiebungen syrischer Geflüchteter sprechen. Für die fast eine Million Syrerinnen und Syrer, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, stellt sich nun die Frage: Was bedeutet dieser Umbruch für ihre Zukunft? Bleiben sie unter Schutz – oder droht die Rückkehr in ein Land, dessen Stabilität noch ungewiss ist?
Inhalt
- Wie viele Syrer leben in Deutschland, und wie hat sich ihre Zahl entwickelt?
- Welche Arten von Schutzstatus erhalten Syrer in Deutschland?
- Könnte sich der Schutzstatus für Syrer jetzt ändern?
- Unter welchen Voraussetzungen wären Rückführungen möglich?
- Welche politischen Forderungen gibt es zu Abschiebungen?
Wie viele Syrer leben in Deutschland, und wie hat sich ihre Zahl entwickelt?
Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 ist die Zahl der Syrer in Deutschland stark angestiegen. Für viele wurde Deutschland in den vergangenen Jahren zu einem sicheren Zufluchtsort. Besonders 2015 und 2016, während der sogenannten „Flüchtlingskrise“, erreichte die Zahl der Geflüchteten aus Syrien einen Höhepunkt.
Nach aktuellen Zahlen des Ausländerzentralregisters lebten Ende Oktober 2024 rund 974.136 syrische Staatsgehörige in Deutschland – also fast eine Million. Diese Zahl schließt sowohl Menschen ein, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, als auch diejenigen, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben.
Seit 2014 stellen Syrer regelmäßig die meisten Asylanträge in Deutschland. Von den Geflüchteten, die 2015 und 2016 nach Deutschland kamen, sind inzwischen etliche deutsche Staatsbürger geworden: Vergangenes Jahr erhielten 75.500 Syrer die deutsche Staatsangehörigkeit – ein Anstieg von 56 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die meisten sind im Durchschnitt 24,5 Jahre alt und hatten vor ihrer Einbürgerung schon rund 6,8 Jahre in Deutschland gelebt.
Welche Arten von Schutzstatus erhalten Syrer in Deutschland?
Unter den in Deutschland lebenden Syrern waren Ende Oktober 2024 laut Bundesinnenministerium rund 5000 Asylberechtigte – also Personen, die in ihrem Herkunftsland individuell politisch verfolgt werden und deshalb Schutz erhalten. 321.444 Syrern wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Sie erhalten Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, weil sie aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt werden.
Rund 329.242 Syrerinnen und Syrer haben den sogenannten subsidiären Schutz inne. Dieser Schutz greift, wenn weder Asyl noch Flüchtlingsschutz infrage kommen, die betroffenen Personen aber dennoch ernsthaften Gefahren ausgesetzt sind. Zu diesen Gefahren zählen zum Beispiel ein drohendes Todesurteil, Folter, unmenschliche Behandlung oder eine schwere Bedrohung für Leib und Leben durch willkürliche Gewalt im Zusammenhang mit einem Konflikt.
Nur 15,4 Prozent der Asylanträge werden abgelehnt
Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellten zwischen Januar und November 2024 insgesamt rund 72.000 Syrerinnen und Syrer einen Erstantrag auf Asyl. 91.160 Asylentscheidungen wurden in diesem Zeitraum für syrische Staatsangehörige getroffen – die meisten erfolgreich: 83,6 Prozent der Antragsteller erhielten Schutz. Am häufigsten wurde dabei subsidiärer Schutz gewährt (68.945 Fälle). Ein kleinerer Teil, 6.924 Personen, erhielt ein Abschiebungsverbot, weil eine Rückkehr für sie unzumutbar wäre – zum Beispiel wegen einer schweren Erkrankung oder besonderer humanitärer Umstände.
Nur 15,4 Prozent der Anträge wurden abgelehnt. Das zeigt deutlich, wie gefährlich die Lage in Syrien bislang eingeschätzt wurde.
Könnte sich der Schutzstatus für Syrer jetzt ändern?
Es ist möglich, dass sich der Schutzstatus für Syrer in Deutschland in Zukunft ändern könnte, je nachdem, wie sich die Lage in Syrien entwickeln wird. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat bereits beschlossen, Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen auszusetzen. Der sofortige Entscheidungsstopp betrifft sowohl neue als auch laufende Verfahren. Momentan sind mehr als 47.000 Asylanträge von Syrern noch offen, davon 46.081 Erstanträge. Ende November waren laut BAMF rund 10.000 Personen ausreisepflichtig, von denen 8.960 eine Duldung hatten.
Der Großteil der in Deutschland lebenden Syrer hat entweder Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz. Beide Statusarten basieren auf der Einschätzung, dass Syrien weiterhin von Verfolgung, Krieg oder Gewalt geprägt ist, was eine Rückkehr unmöglich macht. Sollte sich die Lage in Syrien aber stabilisieren, könnten die Behörden prüfen, ob die bestehenden Schutzstatus noch gerechtfertigt sind. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Entscheidungen anpassen werde, sobald die Situation in Syrien klarer wird.
Unter welchen Voraussetzungen wären Abschiebungen möglich?
Rückführungen, beziehungsweise Abschiebungen, von syrischen Geflüchteten nach Deutschland sind an strenge rechtliche und humanitäre Voraussetzungen gebunden. Nach dem Non-Refoulement-Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention dürfen Menschen nicht in Länder abgeschoben werden, wo ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Wie sich die neue Lage auf die Flüchtlingssituation auswirken wird, hängt also davon ab, ob es nach dem Sturz von Assad einen weitgehend friedlichen Übergang geben wird oder ob Selbstjustiz und Machtkämpfe für neue Instabilität sorgen. Aktuell bewertet die Bundesregierung die Sicherheitslage in Syrien als unsicher. Erst wenn sich die Situation nach dem Umsturz deutlich verbessert und unabhängige Organisationen das auch bestätigen, könnten Rückführungen überhaupt in Betracht gezogen werden. Bis dahin bleibt der Schutzstatus syrischer Geflüchteter in Deutschland bestehen.
Freiwillige Rückkehr in die Heimat
„Sollte sich die Situation positiv entwickeln, würden etliche Syrer zurückkehren wolle“, sagt der fluchtpolitische Sprecher von Pro Asyl, Tareq Alaows. Andere, die in Deutschland Arbeit gefunden und eine Familie gegründet hätten, wollten dagegen bleiben und würden die alte Heimat wohl nur noch besuchen wollen. Der Aktivist sagt: „Über 600.000 Menschen aus Syrien leben in Deutschland mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis. Sie brauchen Sicherheit.“
Jeder, der in Syrien nicht mehr in Lebensgefahr schwebt, sollte zurückkehren, „mindestens für eine bestimmte Zeit zu helfen“, sagt der aus Syrien stammende Historiker Kamal Sido. Menschen, die in Deutschland leben und Demokratie, Pluralismus und Toleranz erfahren haben, sollten „Einfluss nehmen auf die Geschehnisse“ in Syrien und für diese Werte eintreten. Gleichzeitig warnt er davor, die Rückkehr von Flüchtlingen zu forcieren, solange die Lage in Syrien unklar ist, etwa durch anhaltende Kämpfe und Luftanschläge, und fordert die Aufhebung der Sanktionen, um die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren.
Welche politischen Forderungen gibt es zu Abschiebungen?
Im Kern der Debatte gibt es zwei Hauptstandpunkte: Die einen argumentieren, dass die Lage in Syrien zunächst analysiert und abgewartet werden muss, um zu sehen, wie sich die politische und Sicherheitslage entwickelt. Die anderen hingegen sind der Meinung, dass viele Menschen vor allem wegen Assad aus Syrien geflüchtet sind und daher der Asyl- oder Schutzgrund nun entfallen sollte.
So fordern unter anderem Politiker der CDU und AfD eine Überprüfung des Schutzstatus syrischer Geflüchteter. CDU-Politiker Alexander Throm betonte, dass Flüchtlingsschutz zeitlich befristet sei, und forderte die Förderung freiwilliger Rückkehr sowie eine Vorbereitung auf Abschiebungen. Ähnlich argumentierte AfD-Chefin Alice Weidel, die erklärte, dass der Fluchtgrund für viele Syrer entfallen sei.
Andrea Lindholz (CSU) ist der Meinung, dass Rückführungen, beziehungsweise Abschiebungen, nach Syrien erst einmal nur für diejenigen infrage kommen, die sich in Deutschland nicht gut integriert haben, während gut integrierte Personen mit Aufenthaltstitel oder deutscher Staatsbürgerschaft davon nicht betroffen wären.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält es hingegen für unseriös, dass manche Politiker in Deutschland wenige Stunden nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad schon über eine womöglich anstehende Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland in ihre Heimat spekulieren. „Aktuell ist die Lage in Syrien aber sehr unübersichtlich. Deshalb sind konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar, und es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren“, sagte Faeser.
Vorerst keine weiteren Abschiebungen
Die EU-Kommission warnt vor allzu großen Hoffnungen auf schnelle und unproblematische Rückkehrmöglichkeiten für Flüchtlinge nach Syrien. Die Bedingungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr nach Syrien seien nach derzeitiger Einschätzung momentan nicht gegeben, sagte ein Sprecher in Brüssel. Mit dieser Linie sei man sich einig mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR).
Die aktuelle Lage sei von großer Hoffnung, aber auch von großer Unsicherheit geprägt. Es werde an jedem Einzelnen und an jeder Familie sein, zu entscheiden, was sie tun möchte. Der Sprecher machte damit auch deutlich, dass es aus Sicht der Kommission bis auf weiteres keine Abschiebungen geben sollte.
ema