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Syrien
"Die Menschen konnten zum ersten Mal wieder durchschlafen"

Trotz einzelner Schusswechsel halte die Waffenruhe in Syrien, berichtet CARE-Mitarbeiterin Sonja Meier im Deutschlandfunk. Sie ist Mitorganisatorin humanitärer Hilfe und fordert von den Konfliktparteien, diese Arbeit auch zuzulassen. Derzeit könnten die UN-Hilfstransporte nicht in die besetzten Gebiete fahren. Meier setzt darauf, dass aus der Waffenruhe eine dauerhafte Feuerpause wird.

Sonja Meier im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Junge mit Schubkarre
    Partner von CARE verteilen aktuell dringend benötigte Hilfsgüter an nahezu 3.000 Familien im ländlichen Umland von Aleppo. (Care)
    Sonja Meier ist nicht der richtige Name der CARE-Mitarbeiterin, die wir heute früh interviewt haben. Da es aber "sehr, sehr risikoreich" sei für Leute, Hilfe zu leisten, besonders wenn sie die Frontlinie überquerten, sei es besser, ihren richtigen Namen zu verschweigen, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie selbst sei momentan zwar nicht in Syrien, sagte sie. Mitarbeiter von CARE und den lokalen Partnerorganisationen vor Ort könnten jedoch verhaftet oder gekidnappt werden oder sonstwie verschwinden. Deswegen sei es grundsätzlich ratsam, nicht den genauen Aufenthaltsort zu verraten, wo man sich befinde und wie man sich bewege.
    Im Land gebe es große Erleichterung, erzählt Meier. Die Menschen könnten nicht nur durchschlafen, sondern auch aufatmen und auf die Straße gehen, Kinder könnten wieder spielen. Auch die humanitäre Hilfe sei viel einfacher, wenn es keine Bombardierung aus der Luft gebe.
    Uneingeschränkt funktionierend findet Meier die Waffenruhe allerdings nicht. Die Hilfslieferungen seien weiterhin von der syrischen Regierung abhängig, die die meisten Gebiete unter ihrer Kontrolle hat. Noch seien Zugangsstraßen geschlossen und die UN-Hilfstransporte vor Aleppo gelangten nicht in die Stadt, weil die Regierung dies nicht genehmigt habe.
    CARE erwartet, so Meier, dass weiter Druck auf die Kriegsparteien ausgeübt werde, damit aus der ersten und jetzt zweiten 48-stündigen Waffenruhe eine dauerhafte werde. Die Organisation hofft, dass die Waffenruhe als Grundlage für eine politische Lösung gesehen werde.
    Meier sagte im Deutschlandfunk, wichtig sei auch, dass Spendengelder für Syrien bereitgestellt werden könnten, vor allem auch für die Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen. Für diese sei es auch wichtig, dass ihnen ihre Konten nicht im Zuge von internationalen Sanktionen blockiert würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon begrüße ich Sonja Meier. Sie arbeitet seit mehreren Jahren für die Hilfsorganisation CARE in den Nachbarländern Syriens und ist Teil des Notfallteams, des Nothilfeteams dort, das zusammen mit Partnerorganisationen Hilfe in Syrien leistet. Guten Morgen, Frau Meier.
    Sonja Meier: Guten Morgen!
    Dobovisek: Seit Montag hält also die Waffenruhe in Syrien, weitestgehend zumindest, wie wir hören. Von einzelnen Schusswechseln wird berichtet. Können Sie den Menschen jetzt besser helfen?
    Meier: Ja, natürlich: Wir haben jetzt erst mal große Erleichterung bei uns und auch bei unseren Partnern vor Ort, denn die Hilfe wird natürlich viel einfacher, wenn es keine Bombardierungen aus der Luft gibt. Die Menschen können sich viel freier bewegen. Das heißt, die Verteilung von Hilfe wird einfacher. Und die Zentren, die wir betreiben, zum Beispiel zur Unterstützung von Frauen, zum Training und für soziale Hilfe, die können auch wieder geöffnet werden. Das heißt, das ist sehr positiv erst mal für uns.
    Natürlich, wie Sie schon gesagt haben, gibt es noch einzelne Schusswechsel und Gefechte, und die Waffenruhe wird auch immer wieder gebrochen. Aber erst mal herrscht natürlich viel mehr Ruhe als in den letzten Tagen noch vor dem Opferfest, und das hat natürlich zur großen Erleichterung geführt, und die Menschen konnten zum ersten Mal wieder durchschlafen, ein bisschen aufatmen, auf die Straße gehen, die Kinder konnten draußen spielen. Und das ist natürlich auch erst mal ein Hauch von Normalität, der den Leuten gefehlt hat in den letzten Monaten.
    Dobovisek: Was auch fehlt im Moment, das kritisieren die Vereinten Nationen, allen voran UN-Sondervermittler Staffan de Mistura, es fehlt die Genehmigung für offizielle Hilfstransporte, nämlich die der Vereinten Nationen zum Beispiel in die besetzten Gebiete hinein. Die stehen noch, kommen nicht durch, können nicht losfahren. Wie gehen Sie damit um?
    "Hilfstransporte der UN stehen an den Toren von Aleppo und kommen nicht in die Stadt"
    Meier: Ja, das stimmt natürlich, und wir kritisieren es auch, dass die Hilfslieferungen immer noch von der syrischen Regierung abhängig sind, die ja für die Belagerung der meisten Gebiete in Syrien verantwortlich ist. Das heißt erst mal: In dem Abkommen wurde ja gesagt, dass die belagerten Gebiete geöffnet werden sollten, und das heißt für uns natürlich, dass der normale Handel wieder geöffnet wird, und dass die Zugangsstraßen geöffnet werden. Das hat bisher noch nicht stattgefunden und die Hilfstransporte der UN stehen nun an den Toren von Aleppo und kommen nicht in die Stadt rein, weil das von der Regierung nicht genehmigt wurde.
    Aber grundsätzlich können wir auch sagen, dass es wichtig ist, sich nicht nur auf diese Hilfslieferungen, die von Damaskus und von Nachbarländern aus gesendet werden, zu beschränken, sondern auch mit Partnerorganisationen in diesen Gebieten zusammenzuarbeiten. Denn es gibt ja ganz viele lokale syrische Organisationen, die dort seit Jahren tätig sind und Hilfe liefern, und es ist auch ganz wichtig, diese Organisationen zu unterstützen, so wie wir das bei CARE eben tun.

    Dobovisek: Sie haben ja regelmäßig mit Regierungsvertretern zu tun. Ansonsten könnten Sie in diesem Land überhaupt nicht tätig sein. Können Sie sich einen Reim darauf machen, warum die Genehmigung für die UN-Hilfskonvois fehlt?
    Zwei Männer mit Kopftuch
    Seit dem Waffenstillstand gebe es einen "Hauch von Normalität", der den Menschen in Syrien in den letzten Monaten gefehlt habe, berichtet CARE-Mitarbeiterin Sonja Meier (CARE)
    Meier: Ja es wird dann immer auf Sicherheitsprobleme verwiesen, dass es so sei, dass diese Hilfskonvois sehr politisiert sind, weil die Gebiete ja unter Belagerung sind aus einer militärischen Strategie heraus. Das heißt, es ist natürlich schwer für die belagernde Seite, diese Belagerung aufzugeben und Hilfsgüter hinein zu lassen. Dieses Problem wird auch weiterhin anhalten. Was wir bei CARE natürlich verurteilen, ist, dass da Zivilisten als Spielbälle verwendet werden und denen die Hilfe verweigert wird aus einer militärischen Strategie heraus. Zivilisten grundsätzlich sollten Zugang zu Hilfe haben, uneingeschränkt und in allen Gebieten. Das ist leider im Moment noch nicht der Fall.
    Und oft in den Verhandlungen werden dann einige belagerte Gebiete gegen andere aufgewogen, was wir zum Beispiel in Madaya gesehen haben, wo Hilfe nur geliefert wird in von der Regierung belagerte Gebiete, wenn gleichzeitig Hilfe in von der Opposition belagerte Gebiete im Norden geliefert werden. Das heißt, das geht dann immer Stück für Stück, was aus politischen Verhandlungen heraus nicht der Fall sein sollte. Denn humanitäre Hilfe soll ja unpolitisch sein und einfach nur auf der Basis von den Bedürfnissen der Menschen vor Ort.
    "Es ist sehr, sehr risikoreich für die Leute, Hilfe zu leisten"
    Dobovisek: Zivilisten - das höre ich da heraus - als Spielball der Politik, als Spielball der Strategen. Das können wir an dieser Stelle auch verraten: Sonja Meier ist nicht Ihr richtiger Name. Aus Sicherheitsgründen haben wir ihn verändert. Wovor haben Sie Angst?
    Meier: Ja wie schon gesagt: Humanitäre Hilfe in Syrien ist sehr stark politisiert. Sie ist auch kriminalisiert. Viele Leute, die vor Ort Hilfe leisten, werden verfolgt, sowohl von der syrischen Regierung als auch von Oppositionsgruppen. Das heißt, es ist sehr, sehr risikoreich für die Leute, Hilfe zu leisten, besonders wenn sie die Frontlinie überqueren. Ich bin jetzt zwar selber nicht in Syrien, aber ich möchte nicht verraten, mit wem und wo wir arbeiten, weil die Partner vor Ort leider jeden Tag Angst haben müssen.
    Dobovisek: Wie drückt sich dieser Druck aus, wenn ich da mal nachfragen darf, Frau Meier?
    Meier: Die Leute, die vor Ort sind und die Front überqueren, können verhaftet werden, können einfach gekidnappt werden, verschwinden, und können natürlich auch ganz normal von den Bombardements betroffen sein. Deswegen ist es grundsätzlich ratsam, nicht den genauen Aufenthaltsort dieser Leute zu verraten und nicht genau zu sagen, wo sie sich befinden und wie sie sich bewegen. Weil ja auch immer wieder zivile Einrichtungen gezielt bombardiert werden, inklusive Krankenhäuser, Schulen und so weiter.
    Dobovisek: Was erwarten Sie diesbezüglich von der Politik in Deutschland, in Europa?
    Meier: Wir erwarten natürlich, dass weiterhin Druck aufgebaut wird auf die Kriegsparteien, dass sie diese Waffenruhe einhalten, dass sie sich auch weiterhin dazu bekennen, die Waffenruhe zu verlängern. Die wurde ja jetzt zum Glück weitere 48 Stunden verlängert. Grundsätzlich soll sie sieben Tage anhalten. Wir hoffen natürlich, dass das in Kraft tritt, und dann hoffen wir auch, dass diese Waffenruhe als Grundlage für eine politische Lösung gesehen wird und dass weiterhin auf politische Verhandlungen gebaut wird und nicht auf eine militärische Lösung des Konflikts.
    Wir hoffen natürlich, dass die Hilfslieferungen uneingeschränkt zugelassen werden und auch realisiert werden, und dass weiterhin Spendengelder für Syrien bereitgestellt werden, vor allem auch für die Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen wie zum Beispiel die, mit denen CARE vor Ort arbeitet. Und dass es auch einfacher für diese örtlichen Organisationen gemacht wird, zum Beispiel Gelder zu erhalten, Spendengelder zu erhalten, dass die Sanktionen nicht diesen Organisationen zum Nachteil gereichen, zum Beispiel die Blockierung von Bankverbindungen und so weiter.
    Dobovisek: Verstehe. - Sonja Meier von der Hilfsorganisation CARE über die Hilfe in Syrien, die sie mitorganisiert. Ich danke Ihnen für diese Eindrücke an diesem Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.