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Syrien
"Die Regierung setzt weiterhin auf Sieg"

Die Evakuierungen aus Homs sieht der Nahostexperte Michael Lüders als Zeichen der Hoffnung. Sie seien der erste erfolgreiche Vermittlungsversuch zwischen Regierung und Rebellen in Syrien, sagte Lüders im Deutschlandfunk. Der Konflikt sei aber "nicht einmal ansatzweise gelöst". Der Krieg werde wohl noch viele Jahre weitergehen.

Michael Lüders im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Seit eineinhalb Jahren wird die Stadt Homs in Syrien von den Truppen Baschar al-Assads belagert. Seine Soldaten haben einige Tausend Menschen in der Altstadt eingeschlossen, sie hungern dort, haben kaum eine medizinische Versorgung. Nun haben sich die Konfliktparteien auf einen vorübergehenden Waffenstillstand geeinigt, gestern wurden die ersten Zivilisten aus Homs evakuiert und heute wollen die Vereinten Nationen Hilfsgüter liefern.
    Mitgehört hat der Nahostexperte Michael Lüders, guten Tag!
    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Kapern!
    Kapern: Herr Lüders, Hilfslieferungen in die Stadt Homs, das ist ja eine der Hochburgen der Opposition gegen das Regime von Baschar al-Assad. Könnte es sein, dass wir diese Entwicklung später einmal als Wendepunkt im syrischen Bürgerkrieg bezeichnen?
    Lüders: Ich fürchte, dafür ist es noch zu früh. Aber auf jeden Fall ist genau das die Hoffnung des UN-Sonderbeauftragten Lakhdar Brahimi, der ursprünglich eigentlich 2.500 Zivilisten aus Homs evakuieren wollte. Bislang sind nur einige wenige Dutzend Zivilisten wirklich evakuiert worden, aber nichtsdestotrotz: Diese erste Evakuierung ist zum ersten Mal der erfolgreiche Versuch, zwischen Regierung und Rebellen zu vermitteln, eine Waffenpause einzuhalten. Und wenn dieses Beispiel Schule machen sollte, dann kann es auch auf andere Konfliktgebiete im Land, vor allem auf Aleppo im Norden übertragen werden. Und das wäre dann ein erster wichtiger, richtiger Schritt in Richtung Befriedung.
    Kapern: Gleichzeitig hören wir aber, dass es in Aleppo wieder neue Bombardements durch die Luftwaffe Baschar al-Assads gegeben hat.
    Lüders: In der Tat. Das Regime ist alles andere als gewillt, die Macht zu teilen mit den Rebellen. Dieser Konflikt ist noch nicht einmal ansatzweise gelöst. Es sind erste Hoffnungsschimmer, die wir beobachten können, aber die Fronten sind nach wie vor ineinander verhakt. Die Regierung glaubt nach wie vor, die oppositionellen Kräfte militärisch schlagen zu können, und tut dies mit ungewohnter Brutalität, vor allem mit dem Abwurf von Fässern, die gefüllt sind mit Erdöl und Sprengstoff, die verheerende Zerstörungen anrichten in den zivilen Gebieten. Also, die Regierung setzt weiterhin auf Sieg, die Opposition ebenfalls und die Islamisten warten ab, wie sich dieser Konflikt weiter entwickelt.
    Kapern: Bleiben wir noch mal bei der Situation in Homs. Offensichtlich hat Baschar al-Assad diesen Hilfslieferungen nur auf Druck Moskaus zugestimmt, so ist zu hören, und dass sich Russland jetzt in diesem Sinne engagiert, gehört das gewissermaßen zum Schmusekurs wegen der Olympischen Spiele in Sotschi oder erkennen Sie darin einen Kurswechsel Wladimir Putins?
    Die Fronten sind inzwischen sehr unübersichtlich
    Lüders: Putin und die russische Regierung halten nach wie vor fest am Regime von Baschar al-Assad, es werden sie auf keinen Fall dieses Regime aufgeben wollen. Aber sie sind bereit, sich eine Lösung vorzustellen, derzufolge das Regime an der Macht bleibt, aber Baschar al-Assad und seine Familie von der Macht entfernt werden. Nicht sofort, sondern nach den Wahlen, die für dieses Jahr in Syrien geplant sind. Diese Wahlen würden mit Sicherheit wieder von Baschar al-Assad gewonnen werden, aber nach einer Übergangszeit - die Rede ist von ein bis zwei Jahren -, so könnte Russland bereit sein, dieses Regime fallenzulassen, zumindest Baschar al-Assad gehen zu lassen und so den Weg zu ebnen hin zu einer Lösung für Syrien. Der Konflikt in Syrien greift immer mehr auf die Nachbarländer aus und das hat die russische Führung verstanden, auch der Iran hat das verstanden. Es gibt erheblichen Druck auf Baschar al-Assad, seine Zukunft zu bedenken. Aber es wird nicht einen Regimewechsel geben aufgrund der Vermittlungsbemühung von Lakhdar Brahimi, es soll auch nicht eine Lösung geben, die den Eindruck erweckt, Russland oder der Iran hätten dem Druck des Westens nachgegeben.
    Kapern: Sie haben den Namen Lakhdar Brahimi, den Namen des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Syrien genannt. In der kommenden Woche sollen die Friedensgespräche in Genf ja fortgesetzt werden. Nach der ersten Runde, da hat Lakhdar Brahimi ein völlig ernüchterndes Fazit gezogen, er hat wörtlich gesagt: Wir haben nichts erreicht. Wird das auch das Ergebnis der zweiten Gesprächsrunde sein?
    Lüders: Das bleibt abzuwarten. Es gibt wenig Anlass zu Optimismus, abgesehen von der tatsache, dass in Homs jetzt einige wenige Dutzend Zivilisten evakuiert werden konnten. Aber immerhin, es ist ein wichtiges Symbol. Der Krieg selber aber wird weiter gehen, noch über Jahre hinweg. Die Fronten sind sehr unübersichtlich und es gibt mittlerweile so viele Akteure, die in Syrien mitmischen, nicht nur vonseiten der Syrer selbst, sondern auch vonseiten der Mächte, die von außen sich einmischen, allen voran Saudi-Arabien und der Iran, dass es nicht absehbar erscheint, wann dieser Konflikt gelöst werden könnte. Es wird wahrscheinlich erst geschehen, wenn die regionalen Akteure begreifen, dass die Gefahr eines Übergreifens dieses Bürgerkriegs, vor allem auf den Libanon, aber auch auf die Türkei, so groß wird, dass etwas geschehen muss. Solange die Akteure glauben, sie könnten weiterhin pokern auf Kosten der syrischen Zivilbevölkerung, wird dieses Spiel weiter gehen und die Syrer werden weiter sterben.
    Der Westen muss sich mir Russland und Saudi-Arabien zusammensetzen
    Kapern: Haben Sie den Eindruck, dass die Opposition bereit wäre, sich mit einem zumindest vorübergehenden Verbleiben Baschar al-Assads im Amt abzufinden?
    Lüders: Danach sieht es im Augenblick nicht aus. Die syrische Exilopposition ist, das muss man deutlich sagen, sehr schwach. Es gibt sie eigentlich nur, weil die sogenannten Freunde Syriens, die westlichen Staaten, die Türkei und Saudi-Arabien Ansprechpartner von syrischer Seite brauchten, mit denen man Politik gestalten kann für den erhofften Wechsel in Damaskus. Diesen Wechsel wird es aber auf absehbare Zeit nicht geben. Insofern hat diese Opposition nicht viel anzubieten, aus Sicht von Baschar al-Assad sind das Leute, mit denen er keinen Anlass habe zu verhandeln. Aber der Westen hält natürlich an diesen Oppositionellen fest. Es wird eine Lösung erst geben, wenn auch die westlichen Staaten sich mit Russland und dem Iran und Saudi-Arabien und der Türkei ins Benehmen setzen, wie sie ihre eigenen Interessen wahren und wie vor allem die Zukunft Syriens gestaltet werden kann. Geschieht das nicht, wird dieser Bürgerkrieg weiter gehen und mehr und mehr die Nachbarländer in Mitleidenschaft ziehen. Dieser krieg in Syrien ist ausgesprochen gefährlich, weil er droht, ein regionaler Krieg zu werden, der den Irak und den Libanon schon unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen hat, aber zunehmend auch die Türkei.
    Kapern: Der Nahostexperte und Publizist Michael Lüders heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Lüders, danke für das Gespräch, einen schönen Tag noch!
    Lüders: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.