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Syrien
Die verschiedenen Fronten im Krieg

Im kasachischen Astana sollte die brüchige Waffenruhe für Syrien gefestigt werden, in Genf will man nun auch politische Wege aus der Sackgasse finden. Aber an Kompromissbereitschaft fehlt es, zu unterschiedlich sind die verschiedenen Interessen. Unter den blutigen Machtkämpfen leiden vor allem die Zivilisten.

Von Jürgen Stryjak |
    Rebellen stehen auf der Ladefläche eines Pick-ups und fahren am 10.03.2014 durch die ost-syrische Stadt Deir al-Sor. PHOTO / AHMAD ABOUD
    Die syrische Stadt Deir al-Sor. Im Vordergrund Rebellen auf der Ladefläche eines Pick-ups. (Archivbild) (AFP / AHMAD ABOUD)
    Knapp zwei Monate ist es her, dass es dem Regime von Bashar al-Assad und seinen Verbündeten gelang, den Widerstand in Ost-Aleppo zu brechen. Der Stadtteil befindet sich seitdem wieder komplett unter Regierungskontrolle. Inmitten von Trümmern räumt Haitham Ghanam im alten Basarviertel Aleppos den Schutt aus seinem Geschäft.
    "Wir hoffen jetzt, dass auch andere Händler ihre Läden wieder eröffnen. Wenn der erste zurückkommt, dann kommt auch der zweite. Wir warten einfach."
    Maamoun Abdulkarim, der Chef der syrischen Altertümerbehörde, ist bei einem Besuch in Ost-Aleppo erschüttert:
    "30 Prozent der Altstadt sind zerstört, es ist eine Katastrophe, ein dramatischer Verlust für alle Syrer."
    Die brutale Rückeroberung Ost-Aleppos mit Fassbomben und bunkerbrechenden Raketen wurde vom Assad-Regime und seinen Sympathisanten als Triumph gefeiert. Mehrere Tausend Aufständische waren vertrieben worden, unter ihnen viele Extremisten. Aber genauso auch zehntausende Zivilisten, für die ein Leben unter Assad nicht mehr infrage kam oder die aus Angst vor dem Regime geblieben waren.
    Die Vertreibung ist Assads wichtigster Sieg im gesamten Kriegsverlauf. Jetzt kontrolliert er wieder alle größeren Städte im Land und die meisten fruchtbaren Gebiete Syriens. Russlands Raketen und die schiitischen Milizen aus Irak, Iran und Libanon haben ihn und seine strauchelnde Armee praktisch gerettet.
    Neue Interessengemeinschaften in Syrien
    Und es haben sich neue Interessengemeinschaften gebildet. Die Türkei wollte vor gar nicht so langer Zeit noch den Sturz Assads. Jetzt ist es ihr wichtiger, wenigstens den Norden Syriens zu kontrollieren, um ein Erstarken kurdischer Kräfte zu verhindern. Der Iran erhofft sich eine sichere Landverbindung zwischen Teheran und Beirut, also zur Hisbollah. Und Russland behält mit Assads Syrien einen geostrategischen Fuß in der Region.
    Die Türkei und Russland sowie der Iran und die syrische Regierung seien jetzt vielleicht nicht unbedingt wirklich Alliierte, sagt Anas Dschudah von der von Assad geduldeten Opposition in Damaskus, aber sie hätten sich darauf geeinigt, ihre Operationen zu koordinieren.
    Es geht – zynisch formuliert – zu wie bei einem Schachspiel, einem sehr blutigen allerdings. Immer noch greifen die syrische wie die russische Luftwaffe Ziele in der Provinz Idlib und Rebellengebiete in anderen Landesteilen an – mit Hinweis darauf, dass die Waffenruhe nicht für Terroristen gelte, also zum Beispiel nicht für die Fatah-al-Sham-Miliz, die einst Nusra-Front hieß, jetzt zur Gruppierung Tahrir al-Sham gehört und Al-Qaida nahesteht.
    Aber die Aufständischen operieren in räumlicher Nähe. Und angesichts der Brutalität ihrer Gegner kooperieren sie immer öfter auf lokaler Ebene, nicht-dschihadistische Rebellen zum Beispiel mit Extremisten. Damit hat Assad ein weiteres seiner Ziele erreicht. Er kann alle seine bewaffneten Gegner als Terroristen bezeichnen – und militärisch bekämpfen.
    Hunderttausende in belagerten Gebieten
    Außerdem werden immer noch hunderttausende Syrer in belagerten Gebieten vom Regime und seinen Verbündeten ausgehungert. Dies ist ein schleichender Krieg, der im Ausland nur wenig Beachtung findet. Auch im Norden des Landes wird heftig gekämpft, zum Beispiel um die Stadt Al-Bab, wo die Türkei mit verbündeten Rebellen die Terrormiliz Islamischer Staat vertreiben will, um später die Kurden in Nordsyrien zu kontrollieren. Bei Angriffen der türkischen Armee sollen in Al-Bab jüngst drei Dutzend Zivilisten getötet worden sein, unter ihnen 17 Kinder.
    Nach seiner Flucht aus Al-Bab beschreibt Yasser Qamber das Leid der Zivilisten in der Stadt:
    "Die Lage ist furchtbar. Die Menschen haben nicht mehr genügend Brot, und sie werden mit Kampfjets und Panzern angegriffen. In den zerstörten Häusern suchen sie verzweifelt nach etwas Essbarem."
    Am vergangenen Donnerstag wurde im kasachischen Astana die zweite Runde der von Russland initiierten Syrien-Verhandlungen erfolglos abgebrochen. Noch vor zwei Monaten sah es so aus, als wollte Moskau mit Astana auch die Syrien-Diplomatie an sich reißen. Später hieß es dann, die Astana-Gespräche seien nur eine Ergänzung zu Genf.
    Ab Donnerstag neue Verhandlungen
    Dort wird ab Donnerstag wieder unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen verhandelt. Und man wird sich in derselben Sackgasse befinden wie vor gut einem Jahr, als der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2254 einstimmig beschloss.
    Grundlage der Genf-Gespräche sei diese Resolution, betonte Staffan de Mistura jüngst, der UN-Gesandte für Syrien. Sie enthalte drei Forderungen: eine neue Regierung in Syrien, eine neue Verfassung und Wahlen unter UN-Beobachtung. Davon werde man nicht abweichen.
    Vertreter der Aufständischen werden in Genf dabei sein, aber sie erwarten Zugeständnisse, vor allem was die Zukunft Assads betrifft.
    "Wie können wir seinem Verbleib noch zustimmen, nachdem jeder zweite Syrer vertrieben wurde und Hunderttausende ums Leben kamen", sagte Salem al-Muslat dieser Tage, der Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees der Opposition.
    Assad hingegen findet offenbar nicht, dass es viel zu verhandeln gibt. Gegenüber französischen Medien erklärte er:
    "Die Terroristen konnten bislang nicht siegen. Sie waren erfolglos, aber ich kann auch nicht sagen, dass ich gewonnen habe. Unser Krieg ist noch nicht beendet."