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Syrien
"Die Weltgemeinschaft ist durchaus in der Lage, zu agieren"

Der syrische Nationalrat hat klipp und klar die Teilnahme an der kommenden Syrien-Konferenz abgesagt, erklärt Sadiqu Al-Mousllie vom syrischen Nationalrat im DLF. Der Grund: Vieles von Genf I sei noch immer nicht umgesetzt , wie die Errichtung humanitärer Korridore.

11.01.2014
    Im Hintergrund sind Trümmer eines zerstörten Hauses zu sehen, durch die ein Mann mit dem Rücken zur Kamera klettert. Im Vordergrund schaut ein etwa zehnjähriger Junge mit einem Kopfverband Richtung Kamera.
    Der Bürgerkrieg bringt großes Leid über die syrische Bevölkerung (dpa / picture-alliance / Bruno Gallardo)
    Martin Zagatta: In der übernächsten Woche soll die Friedenskonferenz für Syrien stattfinden am Genfer See, doch an deren Erfolg glaubt eigentlich niemand mehr so recht. Und in Syrien selbst tobt nach wie vor ein blutiger Krieg mit vermutlich weit mehr als 100.000 Toten schon. Die Truppen von Präsident Assad sollen zuletzt immer wieder sogenannte Fassbomben, mit Sprengstoff gefüllte Fässer, auf die Rebellenhochburg Aleppo abgeworfen haben. Und die Aufständischen selbst liefern sich mittlerweile auch untereinander Kämpfe, bei denen es darum geht, islamistische, dem Terrornetzwerk Al Kaida nahestehende Gruppen wieder zurückzudrängen. Sadiqu Al-Mousllie gehört dem oppositionellen syrischen Nationalrat an, eine Art Exilregierung. Guten Morgen, Herr Al-Mousllie!
    Sadiqu Al-Mousllie: Tag!
    Zagatta: Herr Al-Mousllie, wie geschwächt ist denn oder wie sehr schwächt das denn die syrische Opposition, der Kampf gegen Al Kaida nahestehende Gruppen? Das spielt doch dem Regime von Präsident Assad in die Hände?
    Al-Mousllie: Das ist in der Tat ein Schritt, den die syrische Opposition eher ein bisschen verschieben wollte zu der Zeit, nachdem Assad komplett weg ist. Aber die Lage, wie es jetzt war, hat gezeigt, dass es notwendig ist, dass die syrische Opposition jetzt diesen Schritt macht, denn man hat gesehen, dass der sogenannte islamische Staat in Syrien und Irak, kurz gesagt in ISIS, hat man gesehen, dass die sehr viel gemacht haben, was die syrische Opposition auch ohnehin geschwächt hat: Die haben oppositionelle Kämpfer angegriffen, sie haben Gebiete für sich eingenommen und haben sehr viel gemacht im Sinne des Regimes. Man vermutet tatsächlich, dass diese Gruppe auch indirekt mit dem Regime zu tun hat, beziehungsweise direkt mit dem Geheimdienst des Regimes zu tun hat.
    Die syrische Bevölkerung ist in der Lage extremistische Elemente aus der syrischen Gesellschaft abzusondern
    Zagatta: Wie ordnen Sie das ein, besteht denn die Gefahr, dass radikale Islamisten in Syrien die Macht an sich reißen könnten? Das ist ja die große Befürchtung im Westen.
    Al-Mousllie: Ich hab das Problem, dass es in der Tat ein Problem der Wahrnehmung des Westens gibt, wie es in Syrien abläuft. Egal, wie viel die Anzahl der sogenannten Extremisten in Syrien – und die gibt es zurzeit leider –, gibt es immer noch viele, viele Syrer, die auf die Straße gegangen sind, um gegen Diktatur zu gehen, und die sind mit Sicherheit nicht aus dieser Assad-Diktatur rausgekommen, um in eine andere Diktatur reinzukommen. Also wir sprechen von 23 Millionen Syrern, und die sind mit Sicherheit nicht welche, die akzeptieren werden, dass sie regiert werden von irgendwelchen extremistischen Elementen. Man hat jetzt gesehen, dass die syrische Bevölkerung auch in dieser Lage, die jetzt ja sehr schwer ist, trotzdem in der Lage sind, diese extremistischen Elemente abzusondern von der syrischen Gesellschaft.
    "Die syrische Gesellschaft ist eine Bevölkerung, die sehr geduldig ist"
    Zagatta: Diese Menschen, die Sie da jetzt ansprechen, haben die Regimegegner, haben die militärisch gesehen jetzt überhaupt noch die Möglichkeit, siegreich aus diesem Krieg hervorzugehen, das heißt also, Präsident Assad zu stürzen?
    Al-Mousllie: Die syrische Bevölkerung ist eine Bevölkerung, die sehr geduldig ist, die sehr standhaft, die sehr in der Lage ist, auch in einem Kollektiv denken, im richtigen Zeitpunkt auch den Weg zu korrigieren. Das hat man gesehen in den letzten zweieinhalb bis drei Jahren, obwohl die Weltgemeinschaft die syrische Bevölkerung im Stich gelassen hat, seitdem diese Revolution angefangen hat. Trotzdem hat es die syrische Bevölkerung geschafft, auf dem Weg zu bleiben und weiterhin gegen Assads Truppen und Assads Diktatur zu kämpfen, obwohl auch sehr viele Assad helfen, sprich Russland, der Iran und viele von den Milizen, die in Syrien sind. Sie haben leider hier auch eine Lage – man möchte in Syrien darüber sehr ungern sprechen, aber das ist leider so –, der Iran versucht, Religion hier zu instrumentalisieren, schickt bewusst schiitische Milizen und Gruppierungen mithilfe Maliki vom Irak und [Anmerkung der Redaktion: unverständliches Wort] aus dem Iran. Und das ist natürlich eine Lage, die nicht den Syrern auch passt, aber sie versuchen damit umzugehen, und sie werden auf jeden Fall siegreich sein.
    Syrer haben Druck ausgeübt und damit die Lösungen herbeigeführt
    Zagatta: Herr Al-Mousllie, die Weltgemeinschaft hat zumindest eines erreicht oder durchgesetzt, dass das Regime von Präsident Assad nun eigentlich keine Chemiewaffen mehr einsetzen kann. Hilft ihnen das in irgendeiner Form schon?
    Al-Mousllie: Das ist, ich würde mal sagen, ein Verdienst der Syrer, dass die Weltgemeinschaft durchaus zwei große Probleme im Nahen Osten gelöst hat. Das eine war die Chemiewaffen von Assad und die anderen waren die Nuklearwaffen des Iran. Und beide sind so weit unter Druck gesetzt worden und so zu einem Abkommen gekommen, das vor zwei Tagen in Genf unterschrieben ist, vielleicht auch mit den Iranern. Das kam durch diesen Druck, den die Syrer wirklich in Syrien ausgeübt haben. Iran ist erschöpft, weil sie ununterbrochen Assad helfen. Das ist eine Lage, die aus unserer Sicht ein Verdienst der Syrer ist, und damit aber, muss man auch hier sagen, es gab noch nie in der Weltgeschichte, dass jemand Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat und man hat ihn schalten und walten lassen später, als er die Waffen abgegeben hat.
    Syrischer Nationalrat hat Teilnahme an der Syrien-Konferenz abgesagt
    Zagatta: Das ist ja die große Gefahr wahrscheinlich jetzt auch bei dieser Syrien-Konferenz, die da in der übernächsten Woche am Genfer See stattfinden soll. Glauben Sie, glaubt die syrische Opposition überhaupt noch, dass bei dieser Konferenz etwas herausgekommen kann? Das heißt, ist es auch schon sicher, dass Sie, also dass der syrische Nationalrat, dass Sie da auch teilnehmen?
    Al-Mousllie: Der syrische Nationalrat hat klipp und klar die Teilnahme abgesagt beziehungsweise gesagt, dass sie unter diesen Umständen nicht dabei sein werden – es gibt bestimmte Sachen, die erfüllt werden sollen –, aber die nationale Koalition, die auch durch den syrischen Nationalrat gebildet wird als Mitglied, hat noch nicht das endgültige Wort gesagt.
    Zagatta: Also das ist noch unklar, ob Sie da teilnehmen?
    Al-Mousllie: Das ist sehr unklar, ja. Es ist auch eine Frage der Voraussetzungen. Bis jetzt sind sehr viele Sachen nicht umgesetzt worden von Genf I, beispielsweise humanitäre Korridore, um belagerte Gebiete zu versorgen. Wir sprechen jetzt über Gebiete, die seit 13 Monaten abgeriegelt sind, Brot, Medikamente und Essen wird nicht zugelassen, in [Anmerkung der Redaktion: unverständlicher Ort] beispielsweise, in einem Vorort von Damaskus, oder in Homs und anderen Orten in Syrien, da ist die Weltgemeinschaft noch nicht in der Lage, Essen da reinbringen zu lassen. Aber die Weltgemeinschaft ist durchaus in der Lage, zu agieren, um die chemischen Waffen aus Syrien zu schaffen. Ist ja schön und gut, aber man sollte wirklich auch an die Menschen denken und hier wirklich agieren.
    Zagatta: Herr Al-Mousllie noch kurz, weil wir auf die Nachrichten zusteuern: Ich höre da deutlich heraus, Sie sind vom Westen enttäuscht – hoffen Sie denn, was Deutschland jetzt angeht, dass mit dem deutschen, mit dem neuen deutschen Bundesaußenminister Steinmeier sich irgendetwas ändert, oder ändert das überhaupt nichts?
    Al-Mousllie: Wir hoffen, dass die Politik Deutschlands auf jeden Fall auf humanitärem Wege auch sich weiter fortsetzt und auf jeden Fall verbessert und auch mehr tut. Deutschland ist ein wichtiges Land. Wir erwarten natürlich mehr, und so, wie es bis jetzt gelaufen ist, ist Deutschland weit unter den Möglichkeiten geblieben.
    Zagatta: Sadiqu Al-Mousllie vom syrischen Nationalrat, danke schön für das Gespräch, Herr Al-Mousllie, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit heute Morgen für uns genommen haben!
    Al-Mousllie: Bitte schön!
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