Sturz Assads in Syrien
Alles auf Neuanfang?!

Der syrische Diktator Baschar al-Assad ist gestürzt. Das Land steht vor einem Neuanfang. Wohin es sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab. Kann es eine wirkliche Befriedung Syriens geben? Und was braucht es dafür?

    An einem Haus ein Bild von Assad, man sieht deutlich Kampfspuren und Einschusslöcher.
    Diktator Assad ist gestürzt und aus dem Land nach Moskau geflohen. Doch wie sieht die Zukunft nun in Syrien aus? (picture alliance / NurPhoto / Rami Alsayed)
    Nach dem Sturz von Baschar al-Assad und seiner Flucht nach Moskau geht es aktuell relativ geordnet in Syrien zu. Die Kämpfer der Rebellengruppen bemühen sich darum, eine öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Den Syrern ist es gelungen, das System zu stürzen. „Sie haben ihre Revolution von 2011 vollendet“, sagt Nahost-Expertin Kristin Helberg. „Wir stehen an einem verheißungsvollen Anfang“, meint auch Politikwissenschaftlerin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung. Und doch sind viele Fragen derzeit offen und Zukunftsszenarien unsicher.

    Inhalt

    Wie könnte die Zukunft in Syrien aussehen?

    54 Jahre hat die Assad-Familie in Syrien geherrscht. Ein System, das für „die Ewigkeit gebaut“ sein sollte, so der Slogan der Assad-Anhänger. Eine Opposition gab es nicht, auch weil diese mit aller Brutalität verfolgt und unterdrückt wurde.
    Entsprechend schwierig sei es deswegen nun, Syrien eine Demokratie zu führen, sagt die Politologin Kristin Helberg. Es könne nicht nur darum gehen, nun schnell freie Wahlen auszurufen, sondern für Beständigkeit brauche es einen längeren Prozess: Politische Parteien müssen gegründet werden, die Zivilgesellschaft müsse sich formieren. „Entscheiden wird sein, welche Rolle die Diaspora spielt“, so Helberg.
    Viele Syrerinnen und Syrer sind während der Herrschaft Assads ins Ausland geflohen, sind dort teilweise ausgebildet worden und haben unter anderem gelernt, wie demokratische Prozesse und Rechtsstaatlichkeit funktionieren. Diese Menschen könnten nun eine entscheidende Rolle spielen, sofern man sich einig werde und mit den bewaffneten Kräften im Land verständige, so Helberg.

    Ängste vor einem islamistischen Syrien

    Die größte Frage und Gefahr sei: Wie islamistisch wird Syrien jetzt? Entsteht womöglich eine Art Taliban-Regime? Kristin Helberg hält das für unwahrscheinlich: „In Syrien leben zu viele unterschiedliche Gruppen zusammen und al-Dschaulani hat sich dahingehend geäußert, dass er das respektieren möchte.“ Allerdings müsse die Zukunft zeigen, wie viel Macht er tatsächlich intern hat und ob seine Kämpfer einen gemäßigten, toleranten Weg tatsächlich mitgehen.
    Auch Nahost-Experte André Bank vom Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg sieht es derzeit als gutes Zeichen, dass es noch nicht zu Gewaltausbrüchen gekommen ist. Doch für langfristigen Frieden und den Übergang in eine geordnete Zukunft sieht er auch einige Fallstricke: Man wisse derzeit nicht, ob es Rachegelüste bei den Rebellen gebe, die zu Selbstjustiz führen könnten. Auch sei derzeit unklar, ob wirklich alle Anhänger Assads aufgegeben hätten oder doch noch mit Störfeuern und Kämpfen zu rechnen sei. „Wir sind noch nicht komplett durch, dass die Lage in Syrien befriedet ist“, warnt er.

    Es braucht Gerechtigkeit

    Ein eher dunkles Szenario könnte sein, dass Syrien als sehr vielschichtiges Land nun in untereinander verfeindete Gebiete zerfällt. Kristin Helberg hat die Hoffnung, dass das Konzept Nationalstaat erhalten bleibt. Die Menschen in Syrien hätte viele schlechte Beispiele in Nachbarstaaten beobachtet und wollte so nicht enden: „Ihnen ist klar, dass das ein langfristiger Prozess ist“. Damit der funktioniere und das Land langfristig Stabilität finde, sei es allerdings wichtig, dass Verbrechen aufgearbeitet werden. „Für die Versöhnung und die Befriedung Syriens braucht es das Gefühl von Gerechtigkeit“, betont Helberg. Das bedeute auch, dass zum Beispiel Dokumente, die über die Verbrechen des Assad-Regimes Auskunft geben, nun gesichert werden müssten.
    Zunächst soll eine Übergangsregierung gebildet werden. Nach einem Spitzentreffen am Montag in der Hauptstadt Damaskus wurde Mohammed al-Baschir, bislang Regierungschef in der Rebellenhochburg Idlib, mit der Bildung einer neuen syrischen Regierung beauftragt. An der Sitzung nahmen neben dem islamistischen Rebellenführer al-Dschaulani auch der bisher amtierende Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali teil. Vereinbart wurde eine reibungslose Übertragung der Verwaltungsgeschäfte sowie die Umstände der Machtübergabe.

    Wer sind HTS und Abu Muhammad al-Dschaulani?

    Angeführt wurde der Sturz Assads von Muhammad al-Dschaulani, einem ehemaligen al-Qaida Anführer. Er schwinge sich nun zu einem Helden auf, der die Syrer am Ende geeint habe, so Helberg
    Al-Dschaulani führt die Gruppe „Hajat Tahrir Al-Scham“ (HTS) an. Neben Kontakten zum türkischen Militär werden HTS auch Verbindungen zu Katar nachgesagt. HTS gilt als Nachfolger der früheren Al-Nusra-Front, eines Ablegers der Terrororganisation Al-Qaida in Syrien. Allerdings habe sich HTS immer gegen den Islamischen Staat (IS) gewandt, da sie eine syrische Lösung präferiert und kein Kalifat, so Bank vom GIGA-Institut. HTS habe maßgeblich dazu beigetragen, dass der IS aus Nordsyrien vertrieben wurde. Die Zeichen für einen Neuanfang stehen gut und dennoch könne es HTS nicht jedem recht machen, betont Politikwissenschaftlerin Scheller.

    al-Dschaulani gibt sich versöhnlich

    Schon seit 2017 sei al-Dschaulani damit aufgefallen, dass er versucht habe Signale der Mäßigung an religiöse Minderheiten zu senden. Auch habe HTS unter ihm schon seit längerem versucht auch mit nicht-dschihadistische Gruppen zusammenzuarbeiten. Dennoch sei HTS islamistisch und nationalistisch. „Doch sie können die Rebellion jetzt nur erfolgreich durchführen im Zusammenspiel mit anderen Rebellen-Gruppen“, meint Nahost-Experte Bank. Entscheidend würde sein, wie es nun weitergeht. Können die teilweise ideologisch sehr weit voneinander entfernt liegenden Gruppen zusammenarbeiten, auch wenn ihr gemeinsames Ziel, Assad zu stürzen, erreicht ist?
    Abu Muhammad al-Dschaulani gibt Interviews vor Kameras.
    Abu Muhammad al-Dschaulani gibt sich versöhnlich. Schafft er einen friedlichen Neuanfang für Syrien? (imago / ABACAPRESS / Balkis Press / ABACA)
    In einem CNN-Interview habe HTS-Führer Dschaulani betont, dass er auf ein vielfältiges Syrien setze, in dem sich unterschiedliche religiöse Gruppen wohlfühlen können. Doch nicht jeder hält ihn für glaubwürdig. Er habe in den vergangenen Jahren gezeigt, dass er es ernst meine, sagt dagegen Helberg. „Schauen wir nach Aleppo: Eine Woche unter HTS-Herrschaft und alle Christen können weiterhin zum Gottesdienst gehen, keine Frau wurde gezwungen ein Kopftuch anzuziehen.“ Natürlich müsse man abwarten, wie es weiter gehe. Aber man müsse beachten, wie er sich bisher verhalten habe, und schon in den vergangenen Jahren habe er klug gesellschaftliche Kontakte zu verschiedenen Gruppen geknüpft.
    Es müsse nun auch um die Frage gehen, wie man die Macht untereinander aufteile, so Bank vom GIGA-Institut. An dieser Frage würde sich beweisen, ob Dschaulanis derzeitiges Verhalten und seine Aussagen mehr als Symbolpolitik sind.

    Welche Akteure spielen in Syrien noch eine Rolle?

    Syrien ist nach Jahren des Bürgerkriegs zersplittert. Unter HTS haben sich schon verschiedene Milizen-Gruppen als Bündnis zusammengeschlossen. Daneben gibt es noch weitere Gruppen in Syrien, die teilweise großen Einfluss haben und a, Sturz Assads beteiligt waren. Die stärkste unter ihnen ist die Syrische Nationale Armee (SNA), eine Rebellengruppe die von der Türkei unterstützt wird. Experten zufolge koordiniert sich die SNA nicht nur mit dem militärischen Militär, sondern auch mit der islamistischen HTS.
    Großes militärisches Gewicht haben aktuell auch noch die von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die ebenfalls große Gebiete in Nordostsyrien kontrollieren. Noch halten die USA ihre schützende Hand über die YPG, da sie die Miliz für Washington ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien ist. Die Türkei sieht die Miliz jedoch als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und bekämpft sie daher. Auch das Verhältnis der YPG zur HTS gilt als problematisch.
    Darüber hinaus leben in dem multiethnischen und -konfessionell Land unter anderem noch Alawiten (*), Drusen und Christen. Die Minderheit der Alawiten war der wichtigste Unterstützer der nun gestürzten Assad-Regierung.

    Externe Akteure wollen ihren Einfluss wahren

    Militärisch hing die Assad-Regierung vor allem vom Iran und Russland ab, das unter anderem eine Luftwaffen- und eine Marinebasis an der syrischen Mittelmeerküste unterhält. Diese wolle Moskau auch vorerst behalten und mit der künftigen Führung deren Verbleib besprechen, sagte ein Kremlsprecher. Ein Abzug ist demnach derzeit nicht geplant. Zugleich hat Russland Assad und seiner Familie Asyl gewährt.
    Der scheidende US-Präsident Joe Biden kündigte an, dass auch amerikanische Soldaten bis auf Weiteres in Syrien bleiben werden. Im Land sind etwa 900 US-Soldaten stationiert. Israel marschierte derweil mit Truppen in die Pufferzone auf den besetzten Golanhöhen und in weitere syrische Gebiete ein. Die israelische Luftwaffe flog laut Medienberichten auch Angriffe im Raum der syrischen Hauptstadt Damaskus. Das Ziel von Israel sei es offenbar militärische Anlagen zu zerstören.
    Auch die Türkei hält noch Gebiete im Nordosten Syriens besetzt. Sie geht dort vor allem gegen die Kurden vor, um zu verhindern, dass diese stärker werden. „Kurdische Autonomie ist ein Stichwort, das die Türkei in der Tat in den letzten Jahren hat nervös werden lassen", sagt die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller, hebt jedoch auch hervor: "Andererseits sehen wir eine solche auch im Irak, ohne dass das für die Türkei größere Probleme bereitet.“ Scheller geht davon aus, dass der Türkei die Rückführung Syrischer Flüchtlingen am Ende wichtiger sein werde, als andere Ziele durchzusetzen.

    Was bedeutet der Umsturz in Syrien für die gesamte Region?

    Mit dem Sturz Assads verschiebt sich nun das Machtgefüge in der Region, in der Länder wie Russland, Iran und die Türkei eigene Interessen verfolgen. Darüber hinaus ist auch Israel involviert.
    „Syrien ist geostrategisch unglaublich wichtig für die Region“, sagt Konfliktforscherin Sophia Hoffmann. Zwar hat das Land keine eigenen Ressourcen. Aber es dient als Transitstrecke. „Für Iran war Syrien eine wichtige Nachschublinie für die Hisbollah in den Libanon.“ Russland besitzt eine wichtige Flottenstation in der syrischen Mittelmeer-Hafenstadt Tartus. Nun gilt es abzuwarten, wie sich die externen Akteure positionieren.
    Keines der Nachbarländer, weder Saudi-Arabien, Jordanien oder Libanon habe Interesse an einem „failed state“, einem totalen staatlichen Zusammenbruch in Syrien, sagt Politikwissenschaftlerin Helberg: „Alle wünschen sich ein stabiles Land, in das die Menschen zurückkehren können“. Das sei auch im Interesse des türkischen Präsidenten Recep Tyyip Erdogan. Dieser wollte bereits mit Assad über die Rückführung von mehr als drei Millionen syrischen Flüchtlingen verhandeln, was Syriens Machthaber jedoch stets abblockte. 
    (*) Anmerkung der Redaktion: Die falsche Bezeichnung der Religionsgemeinschaft wurde korrigiert.

    nba