Jörg Münchenberg: Herr Ziemiak, wie passt das zusammen? Auf der einen Seite mahnt die Kanzlerin auch zur Geschlossenheit des Westens in der Syrien-Politik. Andererseits schließt sie eine deutsche Beteiligung an einem möglichen Militärschlag kategorisch aus.
Paul Ziemiak: … weil wir momentan eine Lage haben, in der wir überhaupt nicht wissen, was soll denn ein Militärschlag bringen. Natürlich wäre das eine militärische Vergeltungsmaßnahme für einen Giftgas-Angriff auf die Zivilbevölkerung, aber dahinter steht ja keine Strategie. Mir ist bis heute unklar, was die USA denn strategisch erreichen wollen mit einem Angriff, um Frieden nach Syrien zu bringen, und dort, wo Frieden schon herrscht, die Sicherheitslage weiterhin zu verbessern. Insofern ist das mit Sicherheit zum jetzigen Zeitpunkt der falsche Weg. Was wir brauchen ist eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Strategie der Europäischen Union - das ist unsere Nachbarregion -, wie wir Frieden nach Syrien bringen. Aber ich will Ihnen eines vorweg sagen, Herr Münchenberg: Dieser Krieg dauert jetzt sieben Jahre. Hunderttausende Menschen sind gestorben. Das wird nicht durch eine Entscheidung, durch eine Maßnahme möglich sein, Frieden zu bringen. Das ist eher ein Marathon als ein Sprint.
"Russland ist in diesem Konflikt ein Game Changer"
Münchenberg: Davon ist auszugehen. Wir kommen auch gleich noch mal auf die europäische Position und Rolle zu sprechen. Trotzdem noch mal die Frage: War der Zeitpunkt, den die Kanzlerin gewählt hat, klug? Denn es ist ja noch gar nicht klar, ob es überhaupt einen Militäreinsatz geben wird. War das nicht einfach ein bisschen sehr vorschnell?
Ziemiak: Der US-Präsident hat das in seiner Art und Weise über Twitter angekündigt. Ich finde es richtig, dass die Kanzlerin gesagt hat, dass Deutschland sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht an einem Militärschlag beteiligen wird. Noch mal: Was soll dieser Militärschlag bringen, um den Menschen zu helfen? Mir ist das bisher unklar und deswegen sage ich auch: Es ist richtig zu sagen, nein, eine Bombardierung jetzt in Syrien ist der falsche Weg, um Frieden und Stabilität zu bringen.
Münchenberg: Das Argument ist ja immer, dass da vielleicht bestimmte rote Linien überschritten worden sind.
Ziemiak: Deswegen brauchen wir als Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern eine gemeinsame Sprachregelung. Die heißt auch gegenüber Russland, die Assad unterstützen, dass das teuer wird, auch politisch teuer wird, wenn man sich an so was beteiligt. Russland ist in diesem Konflikt ein Game Changer. Assad wäre lange nicht mehr in dieser Position, in der er heute ist, wenn Putin ihn nicht so unterstützen würde.
"Wir brauchen dazu eine Konferenz mit allen Beteiligten"
Münchenberg: Aber, Herr Ziemiak, ich verstehe Sie richtig? Selbst wenn sich jetzt tatsächlich herausstellen sollte, da ist Giftgas eingesetzt worden vom Assad-Regime, ist das keine Rechtfertigung für Vergeltungsmaßnahmen?
Ziemiak: Es ist ein Grund, natürlich dagegen vorzugehen. Aber mir geht es doch um folgendes: Unser Ziel muss doch sein …
Münchenberg: Aber wie soll man dann vorgehen, wenn Sie es gleichzeitig ausschließen, eine Bombardierung sei wenig zielführend?
Ziemiak: Nein. Ich habe gesagt, wenn wir über militärische Lösungen nachdenken, dann muss dahinter eine politische und eine diplomatische Strategie stecken, wie wir Frieden nach Syrien bringen. Eine Bombardierung an sich löst doch keine Probleme. Das muss doch jedem bewusst sein, wenn wir uns die Situation anschauen, wie ist es in Irak gelaufen, wie ist es in Libyen gelaufen. Deswegen fordere ich, dass wir eine gemeinsame Sprachregelung haben der Europäischen Union, und wir brauchen dazu eine Konferenz mit allen Beteiligten, natürlich auch unter Einbindung Russlands und all denjenigen, die Interessen in Syrien verfolgen, um Herrgott noch mal nach so vielen Jahren des Mordens und des Krieges Frieden zu schaffen in Syrien.
"Wer Giftgas einsetzt, wird auch politisch dafür bezahlen müssen"
Münchenberg: Aber wie soll diese gemeinsame Antwort ausfallen, wenn Großbritannien und Frankreich sich hier klar positioniert haben und gesagt haben, wir sind bereit auch zu militärischen Maßnahmen?
Ziemiak: Die Lösung muss so aussehen, dass wir auf europäischer Ebene uns mit diesem Thema beschäftigen müssen. Ich finde, das Thema Syrien darf jetzt auch nicht von der Tagesordnung der deutschen Politik verschwinden. Und dann müssen alle Optionen auf den Tisch. Natürlich ist uns klar, dass, wenn Giftgas eingesetzt wird, es auch eine militärische Antwort geben kann. Aber dahinter muss eine Gesamtstrategie stecken, die wir bisher nicht haben. Herr Münchenberg, das ist doch das Problem an dieser ganzen Diskussion der letzten Jahre, dass wir keine Lösung für diesen Konflikt haben, weil so viele beteiligt sind. Alle müssen an einen Tisch und natürlich muss die Europäische Union sagen, wer das Völkerrecht bricht, wer Giftgas einsetzt, der wird das zu spüren bekommen, der wird auch politisch dafür bezahlen müssen. Aber bitte nicht jetzt vorschnell etwas machen, ohne zu wissen, was dann die Konsequenz sein soll.
Münchenberg: Wenn ich Sie richtig verstehe, kritisieren Sie auch die vorherige Bundesregierung, sprich die vorherige Große Koalition, die ja auch keine Syrien-Strategie entwickelt hat?
Ziemiak: Ich finde, da müssen wir uns alle den Spiegel vorhalten. Wir haben uns zu lange zu wenig damit beschäftigt. Das gilt für uns alle, auch für mich persönlich. Und das brauchen wir auf der Agenda der deutschen Politik, aber vor allem natürlich auf europäischer Ebene.
"Deutschland sollte alle Optionen sich offen halten"
Münchenberg: Noch mal zur deutschen Position, Herr Ziemiak. Sollte Deutschland auch Nein sagen, wenn es jetzt zum Beispiel im Zuge einer Militäraktion Anfragen gäbe zu einer logistischen Unterstützung für einen Militäreinsatz?
Ziemiak: Deutschland sollte alle Optionen sich offen halten, sich an verschiedenen Dingen zu beteiligen. Aber das muss immer unter der Prämisse stehen, dass wir am Ende eine Strategie haben, wie wir Frieden nach Syrien bringen. Deutschland hat sich ja beteiligt, beispielsweise an verschiedenen Einsätzen durch unsere Tornados zur Aufklärung bei der Bekämpfung des IS. Es ist ja viel passiert. Wir haben sechs Milliarden in die Türkei gegeben, um den syrischen Flüchtlingen zu helfen. Der IS steht heute ja ganz anders da beispielsweise als 2014. Insofern haben wir etwas gemacht. Aber dahinter muss noch mal eine Strategie stecken und nicht zu sagen, wir machen eine Bombardierung des Assad-Regimes und das wird irgendwelche Probleme lösen.
"Beteiligung ist kein Blankoscheck"
Münchenberg: Aber noch mal zur Klarstellung, damit ich das jetzt auch richtig verstanden habe. Sie sagen, keine Unterstützung eines Militärschlages, aber zum Beispiel eine logistische Unterstützung, etwa durch Tankerflugzeuge, das wäre durchaus im Rahmen vorstellbar?
Ziemiak: Nein. Ich sage, als ersten Schritt brauchen wir eine gemeinsame europäische Strategie. Da müssen alle Optionen auf den Tisch. Deutschland sollte nicht ausschließen, etwas nicht zu tun oder auf jeden Fall etwas zu tun. Aber ich finde, zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, dass Deutschland sich in irgendeiner Form einen Blankoscheck ausstellt, um sich zu beteiligen an einem militärischen Einsatz in Syrien, das halte ich für falsch zum jetzigen Zeitpunkt. Wir brauchen erst eine Strategie.
Münchenberg: Herr Ziemiak, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat heute Morgen in unserem Programm vorgeschlagen ein Sondertreffen zum Beispiel auch der Staats- und Regierungschefs. Warum passiert so was nicht?
Ziemiak: Ich finde, weil wir dieses Thema ja zu wenig auf der Agenda haben und bisher hatten. Ich halte diesen Vorschlag von Herrn Ischinger für richtig. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Antwort. Insofern hat er damit recht. Und wir brauchen das – ich sage es noch mal, ich habe es gerade gesagt – auf der Agenda der deutschen Politik.
"Kann die Position Frankreichs und Großbritanniens nicht verstehen"
Münchenberg: Aber gehört zur Wahrheit vielleicht nicht doch auch, dass gerade was die Syrien-Politik angeht, Europa tief gespalten ist? Ich habe vorhin die Position Frankreichs und Großbritanniens erwähnt.
Ziemiak: Ja.
Münchenberg: Faktisch wird wohl Europa in dieser Frage nur Zuschauer bleiben.
Ziemiak: Das sollte es nicht. Ich kann die Position Frankreichs und Großbritanniens nicht verstehen, dass man das jetzt, ohne dahinter ein Konzept zu haben, schon ankündigt. Das ist doch die Schwäche der Europäischen Union in den vergangenen Jahren, dass wir in diesen großen Themen keine gemeinsame Richtung sofort verfolgen, sondern erst Einzelpositionen kundtun. Das ist das, was ich mir wünsche, dass wir ein starkes Europa haben, und wo sollte Europa stärker sein als in der Außenpolitik und in der Sicherheitspolitik.
Münchenberg: Noch ein letztes hinterhergeschoben. Aber auch die Bundeskanzlerin hat ja letztlich auch ihre nationale Position klargemacht und hat auch nicht gesagt, wir müssen erst mal in Europa miteinander reden, welche Position wir haben.
Ziemiak: Sie hat das ja nicht ausgeschlossen. Sie hat ja gesagt, zum jetzigen Zeitpunkt ist Deutschland nicht bereit, sich zu beteiligen. Das halte ich für richtig. Aber sie wird auch aus der CDU volle Unterstützung dafür bekommen, wenn wir das zu einem Thema der Europäischen Union machen und nach einer gemeinsamen Strategie suchen.
Münchenberg: … sagt Paul Ziemiak (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herr Ziemiak, besten Dank für das Gespräch.
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