Antje Allroggen: Erst zehn Jahre nach dem deutschen Neuanfang wurde die Bundeswehr gegründet. Bei der Einstellung der Soldaten und auch von diensthöherem Personal sollte nichts an das dunkle deutsche Kapitel erinnern. Die Bildung eines Staates im Staat sollte mit allen Mitteln vermieden werden. Viel ist seither geschehen bis hin zur Frage, ob Deutschland das darf, wie "Spiegel Online" vor einigen Tagen fragte. Gemeint ist der deutsche Einsatz in Syrien, der bereits am kommenden Freitag per Gesetz verabschiedet werden könnte. Doch die rechtliche Grundlage steht noch auf mehreren Füßen, wie es schön kryptisch heißt. Ich habe den Militärhistoriker Klaus Naumann gefragt, was genau eigentlich unter dem anfänglichen Leitbild des Staatsbürgers in Uniform gemeint gewesen ist, wenn vor allem in den ersten Jahrzehnten der Bundeswehr von der Haltung eines deutschen Soldaten die Rede war.
Klaus Naumann: Na ja. Jetzt vom Konzept her würde man sagen, dass der Staatsbürger in Uniform der Versuch war, erstmals in der deutschen Geschichte, muss man sogar sagen, den Bürger zum Soldaten und den Soldaten zum Bürger zu machen. Das heißt, dass, wenn der Bürger den Uniformrock anzieht, er Bürger im Vollbesitz seiner Rechte bleibt. Das hat den Hintersinn, der dann verfassungsrechtlich wichtig ist: Wo ihm Rechte abgesprochen wurden, ist das ausdrücklich gesetzespflichtig. Und in diesem Sinne ist das der Rückgriff auf die klassische bürgerliche Tradition, dass dieser Bürger, so die Annahme, der beste Verteidiger seines Landes ist, weil er am besten motiviert ist, das zu schützen, wo er lebt.
Allroggen: Wenn wir vielleicht historisch jetzt den Bogen einfach weiter spannen?
Naumann: Ja.
Allroggen: Es kam irgendwann die Wiedervereinigung. Damit war der Kalte Krieg vorbei. Die Konfrontationslage hatte sich sehr schnell verändert. 1990 wurde die Bundeswehr zu friedenserhaltenden und friedenssichernden Maßnahmen eingesetzt. Daraufhin begann eine heftige Debatte über den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Vertragsgebiets. Wie gestaltete sich denn dieser Wandel? War das ein schwerer, harter Prozess?
Naumann: Ja, das war es auf jeden Fall, und zwar in der Gesellschaft nicht weniger als auch in der Bundeswehr. Das fiel nicht so sehr auf. Ich weiß von verschiedensten Fällen von mehr oder weniger altgedienten Offizieren, die nach 1990 sagten, ich erkenne in diesem Zweck weltweiter Einsätze meinen ursprünglichen Eid, Verteidigung des Lebens der Bevölkerung und so weiter, nicht mehr wieder und ich stehe dem mit großer Skepsis gegenüber und oder ich quittiere sogar den Dienst. Diese Fälle hat es in der Tat gegeben.
Die gesellschaftliche Debatte war sehr heftig. Wenn man sich erinnert: Der damalige Irak-Krieg, also die Kuwait-Krise mit gewaltigen Demonstrationen und der Befürchtung, Deutschland könnte dort hineingezogen werden, was aber von vornherein auch seitens der damaligen Bundesregierung unter Kohl nicht intendiert war. Aber diese Debatte hat Deutschland ja immer wieder eingeholt; nach dem Zerfall Jugoslawiens Mitte der 90er-Jahre, die Tornado-Einsätze schon damals über Bosnien-Herzegowina und schließlich am Ende des Jahrzehnts 1998 und dann 1999 im Kosovo.
Allroggen: Jetzt sind wir schon fast im Jahr 2001, wo dann natürlich eklatant wird, dass sich die Art der Konfrontation, die Kriegsformen stark verändert haben. Man hat es mehr und mehr mit asymmetrischen Konflikten, hybriden Kriegen und Terrorismus zu tun. 2011, muss man noch erwähnen, ist die Wehrpflicht ausgesetzt worden. Seitdem gibt es nur noch eine Berufsarmee. Wie kann sich diese Berufsarmee in dieser Art von Kriegen überhaupt noch zur Wehr setzen?
Naumann: Die Formel, die jetzt in den letzten Jahren auch aufgrund der Erfahrungen von Afghanistan 2001 bis 2014/15, also bis heute entwickelt worden ist, besagt: Das Militär kann im Grunde nicht mehr als politische Zeit kaufen. Das ist eigentlich eine ganz schöne Formulierung, weil sie ein gewisses Potenzial aufzeigt. Man kann unterbrechen, bestimmte Gewaltprozesse unterbrechen, aber der konstruktive Anteil militärischer Gewalt ist verhältnismäßig begrenzt. Es kann sozusagen - ich vereinfache - die Gegenseite in Schach halten, aber was dann passiert ist eigentlich eine nichtmilitärische Angelegenheit. Und Afghanistan ist wiederum der Lehrmeister: Die Entwicklung hat gezeigt, dass diese nichtmilitärischen Komponenten relativ schwach entwickelt waren. Das heißt, die Zeit, die militärisch gewonnen wurde, um im Bilde zu bleiben, ist von ziviler, diplomatischer und so weiter Seite nicht ausreichend genutzt worden.
Allroggen: Was bedeuten denn diese ganzen Veränderungen für das Selbstverständnis des Soldaten?
Naumann: Im Grunde heißt die erste Antwort: Alles bleibt beim alten, weil der normative Rahmen sich ja nicht verändert habe. Staatsbürger in Uniform bleibt Staatsbürger in Uniform, Soldatengesetz bleibt Soldatengesetz. Tatsächlich ist es aber so, dass sich der Inhalt dieser Tätigkeit im strengen Sinne, der Übergang von der Verteidigung zur Sicherheit, grundsätzlich oder sehr stark verändert hat. Denn die Aufträge, mit denen der Soldat zu tun hat, haben mit der unmittelbaren Gefährdung Deutschlands nur mittelbar zu tun. Also ist der Soldat gewissermaßen als militärpolitischer Akteur gefordert, in einem viel höheren Maße, als es das klassische professionelle Selbstbild des Militärs bisher aussagt.
Allroggen: Eine Aufgabenerweiterung also hinein in ein neues Kompetenzfeld. Klaus Naumann war das über das gewandelte Selbstbild der Bundeswehr.
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