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Syrien-Einsatz
"Wir müssen IS-Finanzströme austrocknen"

Die Grünen werden mit "übergroßer Mehrheit" gegen das Mandat für einen Syrieneinsatz der Bundeswehr stimmen, sagte Tobias Lindner, Verteidigungsexperte der Grünen, im DLF. Er kritisierte, dass es kein Gesamtkonzept gebe, mit dem auch die Finanzströme des IS blockiert würden. Außerdem sei nicht geklärt, was mit den vom IS befreiten Gebieten passieren werde.

Tobias Lindner im Gespräch mit Bettina Klein |
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. (Imago / Metodi Popow)
    "Es ist ein Irrglauben, wenn der IS weg ist, dass sich die Probleme lösen", sagte Lindner. Seiner Ansicht nach ist der Bundeswehr-Einsatz derzeit nicht völkerrechtlich legitimiert. Gebraucht werde eine große internationale Koalition gegen die Terrormiliz unter dem Dach der UNO. Diese müsse über die westliche Allianz hinausgehen. Der Grünen-Politiker nannte in diesem Zusammenhang auch Russland als Akteur.
    Lindner betonte, man müsse gegen den IS vorgehen. Zugleich sagte er: "Wir brauchen eine Skizze, was passiert, wenn der IS weg ist." Es müsse geklärt werden, wer die Gebiete anschließend kontrollieren solle - beispielsweise der syrische Präsident Assad, die syrische Opposition oder aber andere Kräfte.
    Erdölabnehmer des IS ausfindig machen
    Auch die Finanzströme des IS müssten unterbunden werden. "Man kann in westlichen Ländern Konten von Unterstützern des IS blockieren." Es solle in Ländern wie Katar und Saudi-Arabien Stiftungen geben, die den IS unterstützten, erklärte Lindner. "Das muss unterbunden werden." Eine entscheidende Frage sei auch: "An wen verkauft der IS sein Erdöl?"
    Am Freitag wird im Bundestag über das von der Großen Koalition eingebrachte Mandat für einen Bundeswehr-Einsatz gegen die Terrormiliz IS abgestimmt. Die Linke hat bereits angekündigt, geschlossen mit Nein zu stimmen. Auch in der Fraktion der Grünen gibt es starke Vorbehalte. Das Mandat ist zunächst für ein Jahr begrenzt.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Die öffentliche Diskussion über den Bundeswehreinsatz in Syrien ist in vollem Gange. Morgen soll der Bundestag den Beschluss verabschieden. Schon nächste Woche könnten Tornados und anderes Gerät ihren Einsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat beginnen.
    Zunächst aber noch der Blick, was in London passiert ist, denn auch in Großbritannien hat gestern das Parlament für eine Beteiligung gestimmt. Bisher sind britische Flugzeuge lediglich über dem Irak im Einsatz gewesen. Nun aber schon die ersten Angriffe über Syrien.
    Britische Kampfjets bombardieren jetzt bereits IS-Stellungen in Syrien, und das nur ganz kurz nach dem Parlamentsbeschluss gestern in London. - Wir sind jetzt am Telefon verbunden mit Tobias Lindner. Er gehört der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag an und ist Mitglied im Verteidigungsausschuss. Guten Morgen!
    Tobias Lindner: Guten Morgen!
    Klein: Herr Lindner, von der Linkspartei konnte man gestern schon ein sehr, sehr klares und eindeutiges Nein hören. Bei den Grünen klang das noch etwas differenzierter. Ist Ihnen denn schon bereits bekannt, wie Ihre Fraktion morgen abstimmen wird?
    Lindner: Wir werden morgen mit übergroßer Mehrheit bis auf ganz wenige Ausnahmen das Mandat ablehnen. Wir haben es uns damit nicht einfach gemacht. In der letzten Woche gab es ja nur Medienberichte und über das Wochenende. Wir haben uns immer gesagt, wir gucken dann, wenn das Mandat da ist, uns den Mandatstext genau an, stellen Fragen, beurteilen das. Aber man muss jetzt zum Ergebnis kommen, dass die Grundlage für dieses Mandat einfach nicht ausreicht. Da gibt es zu viele offene Fragen, zu viele kritische Punkte. So sehr wie ich persönlich der Auffassung bin, dass man gegen den IS militärisch vorgehen muss und dass da auch Deutschland, wenn es kann und wenn es sinnvoll ist, einen Beitrag leisten sollte, so sehr muss ich sagen, das Mandat und die Rahmenbedingungen, die reichen nicht aus.
    "Man muss Probleme in der Region lösen"
    Klein: Aber wie überzeugend ist das, wenn auch Sie sagen, Sie können das persönlich nachvollziehen, dass man gegen den IS vorgehen muss, aber wenn es darum dann geht, Verantwortung zu übernehmen und wirklich dann auch dazu zu stehen und den Finger zu heben, ja zu sagen, dann ducken sich die Grünen weg?
    Lindner: Ja. Ich meine, man muss sich klar machen: Wir reden hier über den größten Bundeswehr-Auslandseinsatz, der es dann sein soll, und die Ministerin selbst hat schon eingeräumt, dass dieser Einsatz wohl über Jahre gehen kann. Ich verstehe zum einen nicht, warum das im Hauruck-Verfahren binnen einer Woche durchs Parlament muss. Man muss sich vor allem eins klarmachen: Wenn man gegen den IS militärisch vorgeht, dann hat man damit noch nicht das Gesamtproblem in der Region gelöst, und das muss man politisch lösen. Deswegen braucht es aus meiner Sicht zwei Dinge. Es braucht eine internationale Koalition gegen den IS. Es kann nicht sein, dass eine westliche Koalition getrennt von der Türkei, getrennt von Russland vorgeht. Da braucht man unter dem Dach der UN ein gemeinsames Vorgehen. Und es braucht zumindest ja mal die Skizze einer Antwort, was mit der Region Syrien/Irak passiert, wenn der IS weg ist, und diese Antwort kann ich nicht erkennen.
    Klein: Aber, Herr Lindner, auch Ihre Fraktion will erst mal die Gesamtlösung haben, bevor sie überhaupt mal einem ersten Schritt wie zum Beispiel dieser militärischen Strategie jetzt zustimmt. Das ist doch in Wahrheit der zweite Schritt vor dem ersten.
    Lindner: Nein. Ich kann da nur für mich persönlich sprechen. Natürlich wäre es vermessen, sich jetzt hinzustellen und zu behaupten, man bräuchte ein Gesamtkonzept, das in allen Details durchdekliniert, wie es weitergeht und wie jedes Detailproblem gelöst wird. Das wäre komplett vermessen. Aber man braucht doch zumindest eine Antwort auf die Frage: Wenn Gebiete vom IS befreit sind, was passiert mit denen? Ist dann da die syrische Opposition? Nimmt sich das Assad wieder? Man braucht zumindest irgendwie eine Grundkonzeption, wie verhält sich Assad zur syrischen Opposition. Es ist ja eben auch im Beitrag ganz gut deutlich geworden, dass Assad ganz andere Truppen als Gegner sieht wie diejenigen, die jetzt gegen den IS kämpfen wollen, und darauf braucht es zumindest, ich nenne es mal, Skizzen von Antworten oder Ideen, wie es weitergehen kann, bevor man einfach drauflos bombt.
    "Irrglaube, dass Probleme sich mit dem Ende des IS lösen"
    Klein: Herr Lindner, gibt es eventuell angesichts einer Terrorgefahr, siehe Paris mit 130 Toten, gibt es eventuell angesichts dieser Gefahr die Notwendigkeit, zuerst mal den IS wirklich anzugreifen und zu versuchen, ihn zu besiegen, bevor man eine Gesamtstrategie, wie Sie sie fordern, formulieren kann? Ist da jetzt vielleicht wirklich Handlung geboten?
    Lindner: Noch mal: Es muss zumindest eine Antwort darauf geben, was passiert mit den Gebieten, die vom IS befreit sind. Darauf muss es zumindest mal eine Antwort geben. Es ist klar, dass man gegen den IS vorgehen muss, aber man soll doch jetzt nicht dem Irrglauben erliegen, dass die ganzen Probleme in der Region sich von alleine lösen, wenn der IS weg ist. Ich habe da die Sorge, dass wir jetzt in den Einsatz reingehen, ohne irgendwie eine Konzeption zu haben, wann beendet man diesen Einsatz mit welchem Ziel. Ich meine, IS zu bekämpfen ist klar, das will jeder. Aber was ist tatsächlich das Ziel, wie soll es in dieser Region weitergehen? Darauf sind bisher noch nicht mal Ideen von Antworten im Parlament gefallen.
    "Konten von IS-Unterstützern sperren"
    Klein: Aber solange es diese Antworten nicht gibt, sagen Sie, machen wir gar nichts? Denn eine politische Konstellation herzustellen, wie Sie sie fordern, das ist ja in weiter Ferne.
    Lindner: Nein. Erstens gibt es ja in Wien einen Verhandlungsprozess, wo ich schon sage, da muss man abwarten. Das könnte die Idee für solche Antworten liefern, um jetzt die Finanzströme des IS zum Beispiel auszutrocknen, dafür zu sorgen, dass es im Nordirak politisch eine Entwicklung gibt, die die Sunniten eben nicht in die Hände des IS treibt. Das ist alles nicht nichts. Nur weil man jetzt sagt, der Militäreinsatz, so wie er aufgebaut ist und so wie er mandatiert ist, der funktioniert von den Rahmenbedingungen nicht, heißt das nicht, dass man nichts tut. Da kann man eine ganze Menge noch machen.
    Klein: Stichwort Finanzströme zu stoppen. Da gab es gestern ein Gespräch des deutschen Finanzministers Schäuble mit seinem französischen Kollegen. Es gab dort Appelle. Wo sehen Sie denn Möglichkeiten, die, was dieses Problem angeht, noch nicht ausreichend wahrgenommen werden?
    Lindner: Ich denke, man kann wirklich noch ein bisschen mehr Mühe investieren, wenn es darum geht - ich will das jetzt erst mal trennen -, in den westlichen Ländern zu schauen, gibt es irgendwelche Konten von Unterstützern des IS, die man sperren kann, wodurch man die Finanzströme blockieren kann. Dann geht es natürlich um die ganze Frage von Ländern wie Katar, wie Saudi-Arabien, wo es Stiftungen geben soll, die den IS finanzieren. Das muss unterbunden werden. Und natürlich muss man der Frage nachgehen, an wen verkauft der IS überhaupt sein Öl und erzielt seine Einnahmen. Auch da, an dieser Stelle kann man was tun.
    Damit das nicht falsch verstanden wird: Natürlich unterliege ich nicht dem Irrglauben, dass sich einzig und allein dadurch der IS besiegen lässt. Mir ist nur wichtig, dass man am Ende nicht glaubt, dass es nur einzig und allein eine militärische Komponente gegen den IS geben muss.
    "Resolution nach Kapitel sieben der UNO-Charta notwendig"
    Klein: Aber wie Sie schon angedeutet haben, es gibt ja die Versuche, politisch eine Konstellation herzustellen, wie bei den Gesprächen in Wien etwa.
    Lindner: Ja. Und ich meine, da kann man nur hoffen, dass man vorankommt. Da kann man nur hoffen, dass man vorankommt. Ich hätte mir persönlich gewünscht, wenn die Bundesregierung auch im Rahmen der Vereinten Nationen wirklich mehr Mühe reingelegt hätte. Der Sicherheitsrat hat ja sehr allgemeine Resolutionen verabschiedet. Ich fände es wichtig, wenn wirklich alle Akteure sich im Sicherheitsrat auf eine Resolution nach Kapitel sieben der Charta einigen könnten. Das wäre ein echter Fortschritt und vor allem würde das sicherstellen, dass klar ist, gegen wen wird überhaupt gekämpft. Solange Russland in dieser Region aktiv ist, die eher gegen die syrische Opposition als gegen den IS vorzugehen scheinen, solange sehe ich auch nicht, dass man militärisch erfolgreich dann gegen den IS vorgehen kann.
    Klein: Aber solange das nicht der Fall ist - und das ist Zukunftsmusik, was Sie sich da wünschen -, regiert Prinzip Hoffnung und solange tun wir da nichts, oder?
    Lindner: Noch mal: Wenn wir dafür eintreten, dass Finanzströme blockiert werden, wenn wir uns engagieren, dass man in der UN da vorankommt - so was kann ja auch binnen Wochen sich komplett verändern -, dann ist das alles andere als nichts, was wir da machen.
    "Größere Probleme bei der Fregatte der Bundeswehr"
    Klein: Herr Lindner, ich würde gerne noch mal auf ein Argument kommen, das Sie gestern auch ins Gespräch gebracht haben. Das ist die Frage, wie die Bundeswehr im Augenblick eigentlich aufgestellt ist, auch materiell, was ihre Geräte angeht. Wo sind denn da in dieser Hinsicht für Sie die größten Bedenken? Denn wir haben gestern ja auch gehört, dass teilweise Tornados nicht in der Weise einsatzfähig sein sollen, wie es möglicherweise wünschenswert wäre. Inwiefern ist das ein Argument für Sie?
    Lindner: Das wäre für mich am Ende nicht das ausschlaggebende Argument, um das ganz klar zu sagen. Bei den Tornados selbst sind ja wohl 29, also etwa ein gutes Drittel flugfähig, und für diesen Einsatz werden sechs bis acht benötigt. Das scheint, leistbar zu sein. Kritischer wird es dann bei der Ersatzteilkette. Das kann dann schnell eng werden. Wo ich das größere Problem sehe ist bei der Fregatte, die den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle schützen soll. Insgesamt sind von 22 Bordhubschraubern, die für die Fregatten zur Verfügung stehen, wohl nur drei einsatzbereit. Das bedeutet, man ist wohl in der Lage, nur eine Fregatte wirklich voll einsatzfähig zu halten. Wenn da jetzt weitere Hubschrauber ausfallen sollten, dann käme es zumindest zu Einschränkungen bei der Einsatzfähigkeit. Zusammenfassend bedeutet das für mich: Es ist leistbar, aber es ist auf Kante genäht, und es stellt sich die Frage, wie lange es leistbar ist.
    Klein: ... und nicht das Hauptargument dafür, dass die Grünen wohl morgen im Bundestag auch den Bundeswehreinsatz ablehnen werden. - Das war aus der Fraktion der Verteidigungspolitiker Tobias Lindner heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Lindner: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.