Seit Montag tagen in Moskau hinter verschlossenen Türen syrische Oppositionelle, um über die Zukunft des Landes zu sprechen. Heute sollen Vertreter des Assad-Regimes hinzustoßen.
Moskau wolle mit der Einladung der syrischen Opposition und des Assad-Regimes seinen Einfluss unter Beweis stellen, sagte Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Deutschlandfunk. Vor einigen Monaten sei Russland allerdings noch optimistischer gewesen und habe erwartet, die "allgemeine Ermüdung auf dem Kampffeld" würde dazu führen, dass ein großer Teil der Opposition die Einladung annehme und die Regierung in Damaskus positiver darauf reagiere. Dies sei nicht geschehen. "Bestenfalls sind das hier Sondierungen zwischen einem Teil der Opposition und einem nicht sehr hochrangigen Vertreter der Regierung in Damaskus", so Perthes.
Die angereisten Teile der Opposition hätten keinerlei militärische Kraft. Der bewaffnete Teil der Opposition hingegen wolle sich nicht einreihen lassen in eine internationale Allianz gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" und darüber den Kampf gegen das Assad-Regime vergessen, erklärte Perthes.
Dass die Gespräche in Moskau die syrische Opposition und die Regierung dazu bringen könnten, gemeinsam gegen die Dschihadisten vorzugehen, sei ein Aspekt gewesen, weshalb die westlichen Staaten den Vorstoß Russlands begrüßt hätten.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Raketen aus Syrien treffen jüngst ein Skigebiet in Israel, kurdische Kämpfer vertreiben die Milizen des Islamischen Staates aus der seit Monaten umkämpften Stadt Kobane im Norden des Landes - seit fast vier Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien, die größte humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, sagt der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura.
O-Ton Staffan de Mistura: "Zwölf Millionen Menschen hilfsbedürftig, 7,6 Millionen auf der Flucht, 220.000 tot, eine Million verletzt. Polio, Typhus und die Masern sind nach Syrien zurückgekehrt, 4.000 Schulen nicht benutzbar, drei Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, 290 kulturelle Einrichtungen zerstört oder beschädigt. Syrien ist um 40 Jahre zurückgeworfen worden.“
Dobovisek: Viele Zahlen, die die Schrecken des Bürgerkrieges nur umreißen können. Für den Westen war Syriens Machthaber Baschar al-Assad immer der Bösewicht, im Grunde, bis die Terrormilizen des Islamischen Staates sich mit ihren Angriffen in Syrien und im Irak im vergangenen Sommer auf die westlichen Fernsehschirme bombten und schossen. Um Assad ist es seitdem ruhiger geworden, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande. Am Telefon begrüße ich Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, welche die Bundesregierung in außenpolitischen Fragen berät. Guten Morgen, Herr Perthes!
Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Seit Montag tagen in Moskau hinter verschlossenen Türen syrische Oppositionelle, um über die Zukunft des Landes zu sprechen. Heute sollen Vertreter des Assad-Regimes dazustoßen. Assad selbst sagt, das sei die Vorbereitung einer Friedenskonferenz. Kommt damit endlich wieder Bewegung in den Konflikt?
Perthes: Ganz wenig vielleicht. Bestenfalls sind das hier Sondierungen zwischen einem Teil der Opposition, überwiegend der Teil der Opposition, der in Damaskus selbst geduldet wird vom Assad-Regime, und einem nicht sehr hochrangigen Vertreter der Regierung in Damaskus, nämlich des UN-Botschafters von Assad unter, ich will mal sagen, freundlicher Anleitung der russischen Regierung, die diesen Teil der Opposition eingeladen hat unter der Vorbedingung, dass die Opposition ihrerseits nicht zuerst sagt, Assad muss gehen, sondern letztlich akzeptiert, eine Form der Koalition oder Allianz mit Assad zu bilden.
"Moskau will seinen Einfluss zeigen"
Dobovisek: Sie nennen es freundliche Anleitung. Man könnte vielleicht auch Druck sagen. "Diejenigen, die sich dazu entschließen, den Verhandlungen fern zu bleiben, werden während des gesamten Verhandlungsprozesses keinerlei Bedeutung mehr haben", die Worte des russischen UN-Botschafters. Warum plötzlich diese scharfen Töne aus Moskau?
Perthes: Ich sehe es ein wenig anders. Ich glaube, Moskau will zeigen, dass es überhaupt Einfluss hat, dass es in der Lage ist, Teile der Opposition und der Regierung zusammenzubringen, und sie waren da optimistischer vor einigen Monaten und haben gedacht, dass die allgemeine Ermüdung auf dem Kampffeld dazu führt, dass ein größerer Teil der Opposition ihre Einladung annimmt und dass die Regierung positiver darauf reagiert. Aber das ist beides nicht geschehen. Die, ich will mal sagen, eher moderate, aber nicht in Damaskus beheimatete Opposition, die Freie Syrische Armee und andere, haben die Einladung Russlands abgelehnt, haben gesagt, für uns ist nach wie vor Assad der Hauptgegner, und Assad hat sich selbst in einem Interview in den letzten Tagen sehr despektierlich über eine Verständigung mit dieser Opposition geäußert und gesagt, die repräsentierten ja gar nichts, allenfalls seien sie die Vertreter ausländischer Mächte, und was jetzt in Moskau geschehe, könnte nur die Vorbereitung von Gesprächen sein, und zwar mit Leuten, die er sich letztlich selbst aussucht.
Dobovisek: Bleiben wir noch einen Moment bei der Rolle Russlands. Welche Rolle kann Moskau überhaupt spielen mit der Ukraine-Krise im Handgepäck?
Perthes: Na ja, Moskau hat schon Einfluss, vor allem auf die Regierung in Damaskus - nicht den größten Einfluss, den dürfte wohl Iran haben, aber zusammen mit Iran einigen Einfluss. Das hat man auch gesehen im Jahre 2013, als es Russland durchaus gelungen ist, mit einigem Druck Assad zu bewegen, zuzustimmen, sein Chemiewaffen-Potenzial abzugeben, und das erklärt auch, warum trotz Ukraine-Krise die westlichen Staaten, allen voran die USA, den Russen gewissermaßen viel Glück gewünscht haben für dieses Moskauer Treffen und gesagt haben, wenn ihr da irgendeinen Fortschritt bringt, wenn es so etwas wie eine Sondierung von Möglichkeiten gibt, den Konflikt zu deeskalieren, oder vielleicht sogar Opposition und Regierung dazu zu bringen, gemeinsam gegen den Islamischen Staat vorzugehen, dann unterstützen wir das letztlich im Ergebnis.
"Deeskalation nicht sehr aussichtsreich"
Dobovisek: Wie aussichtsreich ist das?
Perthes: Nicht sehr aussichtsreich, denn die Kräfte, die jetzt als Stimmen der Opposition aus Damaskus angereist sind - und das sind schon echte Oppositionelle -, die haben keinerlei militärische Kraft, sondern leben letztlich unter dem Schutz des Assad-Regimes. Die bewaffnete Opposition, die schwächer geworden ist, trotz des Sieges der kurdischen Truppen in Kobane in den letzten Tagen, diese bewaffnete Opposition will sich nicht in eine internationale Allianz gegen den Islamischen Staat einreihen lassen und darüber den Kampf gegen Assad vergessen. Sie sagt mehr oder weniger deutlich, die Amerikaner haben ihre Prioritäten verschoben, jetzt plötzlich ist der Islamische Staat da, jetzt plötzlich werden die Amerikaner wach, aber vier Jahre lang haben sie uns in unserem Kampf gegen das Assad-Regime allein gelassen. Da ist noch keinerlei Annäherung da. Ich glaube, der einzige Faktor, der dazu führen könnte, dass lokale Friedensinitiativen und vielleicht auch wieder eine Form der diplomatischen Konferenz - wo auch immer - Erfolg haben könnte, ist tatsächlich die Ermüdung aller Kriegsparteien und ihrer Basis. Die Bevölkerung will den Krieg nicht mehr.
"Opposition in Damaskus und Exilopposition sind sich näher gekommen"
Dobovisek: Muss sich die Opposition erst wirklich vereinen, damit es Frieden gibt?
Perthes: Sie wird sich nicht vereinen. Insofern kann man das nicht als Voraussetzung sehen. Es wird auf oppositioneller Seite immer unterschiedliche Kräfte geben und Pluralismus ist eigentlich ja auch nichts Schlimmes. Was sie brauchen ist eine gemeinsame Agenda, und da sind tatsächlich die unter Regimeaufsicht, wenn Sie so wollen, lebenden Teile der Opposition in Damaskus und die Exilopposition sich näher gekommen. Die haben in der letzten Woche gemeinsam in Kairo getagt, haben sich auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, die weiter an einem festhält, was das Regime in Damaskus ablehnt, nämlich Übergang, Transition. Sie erwähnen Assad gar nicht mehr - das ist ein diplomatisch wahrscheinlich richtiger Schachzug, damit daran Gespräche nicht scheitern -, also sie sagen nicht erst mal, Assad muss gehen, aber sie bestehen darauf, dass es einen Übergang gibt im Sinne der Genfer Konferenz von 2012, wo sich internationale Gemeinschaft und syrische Opposition darauf geeinigt haben, dass es eine Transitionsregierung mit Exekutivvollmachten geben soll, in der sowohl Repräsentanten des heutigen Regimes als auch der Opposition vertreten sind. Das hat jetzt die Opposition gemeinsam noch einmal wiederholt. Das Regime steht nicht dazu.
Kobane ist " politisch-psychologisch ein großer Erfolg"
Dobovisek: Kurdische Kämpfer haben die Milizen des Islamischen Staates aus Kobane vertrieben, einer syrischen Stadt an der türkischen Grenze, unterstützt von Luftschlägen der Alliierten rund um die USA. Was bedeutet dieser Erfolg gegen den IS?
Perthes: Das ist auf dem Feld militärisch ein kleiner Erfolg. Es ist politisch-psychologisch ein großer Erfolg, denn der Islamische Staat, der sogenannte Islamische Staat hat ja im letzten Sommer und Herbst den Eindruck vermittelt, er ließe sich überhaupt nicht stoppen, er könne ständig weiter expandieren und würde dabei über jede andere Kraft wegrollen, egal ob das die syrische oder die irakische Armee ist, oder ob das die oppositionelle Freie Syrische Armee oder andere sind. Hier hatte er das erste Mal tatsächlich gesehen, erleben müssen, dass seine Expansion gestoppt wird, und zwar durch die vereinigten Kräfte sowohl der Kurden im syrischen Norden, unterstützt von Kurden aus dem Irak, unterstützt aber auch von der Freien Syrischen Armee, und natürlich - sie haben das erwähnt - von den Luftschlägen der Amerikaner und ihrer Alliierten.
Dobovisek: Kurz zum Schluss mit der Bitte um eine kurze Antwort, Herr Perthes. Können Sie eine Schwächung des IS erkennen?
Perthes: Der IS ist immer noch eine enorme militärische, politische und ideologische Herausforderung, insbesondere so lange, wie wir eben keine glaubwürdige inklusive Regierung in Damaskus haben.
Dobovisek: Fast vier Jahre Bürgerkrieg in Syrien und trotz Gesprächen in Moskau kein Ende in Sicht, sagt Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich danke Ihnen.
Perthes: Herzlichen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.