In der Woche nach dem Sturz von Baschar al-Assad beginnt jetzt auch in Syrien die Aufarbeitung: Wer war ein Unterstützer des Diktators? Wer geht als Mitläufer durch? Im Fokus: zum Beispiel Ibrahim Alma. Der langjährige Nationaltorwart hatte sich mehrfach für al-Assad ausgesprochen, sagt der syrischstämmige Fußballexperte Nadim Rai. Und er erinnert an ein Trainingslager des syrischen Nationalteams 2018 in Österreich.
„Wo sich ein Regimegegner mit der Revolutionsflagge gezeigt hat, auf der Tribüne des Trainingsgeländes. Und da kam dieser Torwart, Ibrahim Alma, und hat die Sicherheitskräfte darum gebeten, dass sie ihn aus dem Trainingsgelände rausbegleiten. Es gibt jetzt mittlerweile Aufforderungen, dass er nicht mehr auflaufen soll.“
Im Fußball war das Gedenken für die Kriegsopfer lange verboten
Vor allem die Fans aber gerade die Opposition. Der Verein Tishreen aus Latakia veröffentlichte Fotos von zwei ehemaligen Spielern, die in Schutzwesten hinter Meisterschalen posieren. Beide hatten den Fußball aufgegeben, um mit den Rebellen gegen die Diktatur zu kämpfen.
Lange war auch im Fußball das Gedenken für die Kriegsopfer verboten. Die Lage ist unklar, doch nach Schätzungen mehrerer Exilanten sollen mehr als 40 Spieler aus den ersten beiden syrischen Ligen getötet worden sein. Nun, bei den Kundgebungen nach dem Sturz des Regimes, wurde mit Plakaten auch an Abdul Baset al-Sarout erinnert, berichtet Robert Chatterjee vom Nahost-Magazin Zenith.
„Ein früherer Jugendnationalkeeper, der in die Opposition gegangen ist und dort ein führendes Gesicht geworden ist. Sich aber auch zunehmend radikalisiert hat. Und 2019 dann getötet wurde. Trotzdem für ganz viele Syrer und syrische Fußballfans immer noch eine ganz wichtige Identifikationsfigur. Auch jemand, dem man endlich mal auch öffentlich gedenken kann.“
Extremer Druck auf Sportler
Geflüchtete Spieler, Funktionäre und Journalisten haben insbesondere in der Türkei ein Exilnetzwerk aufgebaut. Von dort trugen sie Informationen aus Syrien zusammen: über die Teilnahmepflicht von Sportlern an politischer Propaganda und über die Verhaftung von Fußballern.
Ein Beispiel: Der ehemalige Nationaltorwart Mosab Balhous wurde 2011 verhaftet, weil er Rebellen Zuflucht geboten haben soll. Fast ein Jahr fehlte von ihm jede Spur, viele Fans hielten ihn für tot. 2012 kehrte er überraschend ins Nationalteam zurück. Der Fußballexperte Nadim Rai nennt ein weiteres Beispiel.
„Syrien hatte sich für die U17-WM 2015 qualifiziert, mitten im Krieg. Die U-17-Nationalmannschaft hat in Damaskus trainiert. Und an einem Tag wurde das Stadion beschossen. Und da ist ein Spieler gestorben.“
Nationalmannschaft als Sinnbild für die Spaltung der Gesellschaft
Während des Krieges ließ Baschar al-Assad den Ligabetrieb in den vermeintlich sicheren Städten Damaskus und Latakia fortsetzen, um etwas Normalität vorzutäuschen. Zeitgleich wurden Stadien in Aleppo und Homs als Gefängnisse und Flüchtlingslager genutzt. Aus dem Abbasiden-Stadion in Damaskus wurden Raketen abgefeuert.
In all diesen Jahren war die syrische Nationalmannschaft ein Sinnbild für die Spaltung der Gesellschaft. Besonders deutlich wurde das bei der Westasienmeisterschaft 2012, ein Jahr nach Beginn des Krieges. Im Finale in Kuwait besiegte Syrien den Irak 1:0, erinnert Nadim Rai.
„Das Stadion hatte zwei Kurven. Und beide Kurven waren gefüllt mit syrischen Fans. Die einen waren Regimeanhänger, die anderen waren Revolutionäre und Rebellen.“
Der Fußball stützte Assads Agenda
Unmittelbar nach diesem Finale zog der syrische Spieler Omar al-Somah das rote Nationaltrikot aus und schwenkte die Fahne der Rebellen. Al-Somah spielte fünf Jahre nicht mehr für Syrien, kehrte dann aber 2017 für die entscheidenden Qualifikationsspiele für die WM 2018 in die Nationalmannschaft zurück. Al-Somah reiste sogar nach Damaskus zu einem Empfang von Baschar al-Assad.
„Sein Vereinskollege Mohammad Kneis war im Gefängnis von al-Assad. Es hieß damals, dass er 2017 bereit war, für die Nationalmannschaft wieder einzulaufen, wenn sein ehemaliger Mitspieler aus dem Gefängnis befreit wird.“
Diktator Baschar al-Assad zeigte sich selten auf den Ehrentribünen, und trotzdem stützte der Fußball seine Agenda. Erst vor einem Monat trat das syrische Nationalteam in Wolgograd in einem Freundschaftsspiel gegen Russland an. In jenem Land also, wo al-Assad inzwischen von seinem Verbündeten Putin Asyl erhalten hat.
Shitstorm wegen syrischer Flagge
Es ist gut möglich, dass die Funktionäre des syrischen Fußballverbandes nun ihren Job verlieren, glaubt Nadim Rai. Doch ähnlich wie in der Politik scheint die Machtübergabe auch im Fußball geordnet zu verlaufen. Was jedoch über Nacht geändert wurde, war das Logo des Verbandes.
„Interessant ist auf jeden Fall, dass der Asiatische Fußballverband den Spielplan mit der alten syrischen Flagge veröffentlicht hat. Daraufhin haben viele syrische Fußballfans die Kommentarspalte gestürmt und darum gebeten, dass die Flagge geändert wird.“
Ein langfristiger Wunsch: Ein Freundschaftsspiel in Deutschland
Kann die syrische Nationalmannschaft zu einem Symbol der Einheit werden? Ihr letztes Spiel vor heimischem Publikum hat sie 2010 in Damaskus gegen den Irak bestritten. Seitdem hält sie „Heimspiele“ im Exil ab, in Katar oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Journalist Robert Chatterjee hält es für möglich, dass Syrien bald wieder zu Hause spielt. Und er formuliert die Idee für ein Freundschaftsspiel in Deutschland.
„Ein ganz wichtiges Zeichen, gerade auch seitens des Westens: Und die Diaspora bei uns ist nicht nur lästig, und wir sind froh, dass die jetzt hoffentlich alle weggehen. Sondern wir sehen die als integrales Brückenglied, um hier neue Beziehungen zu diesem Land und vielleicht auch zu dieser Region wiederaufzubauen. Ich glaube, das wäre ein ganz toller symbolischer Schritt, wenn sowas vom DFB mal angedacht werden würde.“