Dies sei aber nicht mit dem syrischen Präsidenten Assad möglich. Jean Asselborn, Politiker der Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbechterpartei, appellierte an die Konfliktparteien, die derzeit unterbrochenen Friedensgespräche in Genf nicht scheitern zu lassen. Militärisch könne man das Blatt in Syrien nicht wenden. Einen Einsatz von Bodentruppen in dem Bürgerkriegsland hält Asselborn nicht für sinnvoll.
Mit Blick auf die Syrien-Geberkonferenz in London, wo sich die Staatengemeinschaft zur Zahlung von neun Milliarden Euro verpflichtet hat, erklärte Asselborn, noch nie sei so viel gespendet worden wie gestern. Man müsse auch das Positive sehen. Er hoffe, dass das Geld nun auch bezahlt werde. Asselborn räumte ein, dass man noch sehr weit von einer Friedenslösung für Syrien entfernt sei.
Das komplette Interview:
Christoph Heinemann: Spitzenpolitiker und Diplomaten aus 70 Ländern haben teilgenommen gestern in London an der Geberkonferenz für Syrien. Dort wurde Geld eingesammelt oder zunächst zugesagt, eine Art Marshallplan. Denn seitdem sich die Region auf den Weg gemacht hat, ist das Interesse gestiegen, die Menschen an Ort und Stelle zu versorgen und ihnen in der Heimat Lebensbedingungen zu schaffen und nicht nur zu wenig zum Überleben zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung hat rund 2,3 Milliarden Euro bis 2018 zugesagt.
In Syrien sind nach dem Vormarsch von Regierungstruppen offenbar Zehntausende Menschen in der nördlichen Provinz Aleppo auf der Flucht. Der weitere diplomatische Fahrplan sieht so aus: Vor der Münchner Sicherheitskonferenz treffen sich am 11. Februar Vertreter der internationalen Unterstützungsgruppe, mit dabei die USA, China, Russland, Iran, Saudi-Arabien, einige europäische Länder. Am 25. Februar sollen die Friedensverhandlungen in Genf fortgesetzt werden, die sind zurzeit unterbrochen. Am Telefon ist jetzt Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Guten Morgen!
Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Heinemann!
"Es wurde noch nie so viel Geld gespendet an einem Tag wie gestern in London"
Heinemann: Herr Asselborn, wie weit sind die Syrer von einem Waffenstillstand und einer Friedensregelung entfernt?
Asselborn: Ja, ich glaube, sehr, sehr weit. Man muss ja vielleicht am Tag nach London trotzdem auch das Positive ein wenig sehen. Ich glaube, dass der König von Jordanien das Richtige gesagt hat, er hat gesagt, das ist eine Investition in die Hoffnung, und da gibt es nicht viel in dieser Region. Es wurde noch nie so viel Geld gespendet an einem Tag wie gestern in London. Erinnern wir uns, 2013, erste Syrien-Konferenz, 1,5 Milliarden, 2014 2,4 Milliarden, 2015 3,3 Milliarden, jetzt neun Milliarden. Ich hoffe, dass das auch nicht nur geblufft ist, sondern dass das Geld gezahlt wird. Aber man muss – um Ihre Frage zu beantworten – natürlich auch Ban Ki Moon zitieren, der hat gesagt: Nirgends auf der Erde ist die Hölle so nah wie in Syrien. Und das müssen wir als internationale Gemeinschaft einsehen, dass wir noch weit weg sind von einer Lösung.
Heinemann: Das Geld wird dringend gebraucht, denn zurzeit wird wieder vor allen Dingen zerstört. Die Russen erobern gerade Aleppo für Assad zurück. Welches Interesse hat Assad überhaupt an Verhandlungen, wo sich die militärische Lage ja doch so positiv für ihn entwickelt?
Asselborn: Also, Herr Heinemann, wenn Sie mir kurz gestatten, vielleicht ein wenig mit meinem Herzen zu reden und nicht ...
"Russland hat es in der Hand, den Waffenstillstand herbeizuführen"
Heinemann: Bitte!
Asselborn: ... in diesem doch manchmal hölzernen Diplomatie-Slang, der uns Außenministern sehr oft aufgezwungen wird: Präsident Putin kann doch fühlen und auch mitfühlen. Ich würde sagen, genügen diese 260.000 Toten in Syrien nicht? Genügen die 4,6 Millionen Flüchtlinge nicht? Genügen die 13 Millionen, die ihr Heim verloren haben in Syrien, nicht? Genügt es nicht, dass 400.000 Syrier in 14 belagerten Orten vor dem Hungertod stehen? Und was kann man mit Assad noch retten? Das ist die große Frage. Russland – da bin ich überzeugt und ich sage es nicht kritisch, aber vielleicht konstruktiv –, Russland hat es in der Hand, den Waffenstillstand herbeizuführen und Hoffnung auf einen Neustart in Syrien zu erlauben. Aber das ist mit Assad nicht möglich.
Heinemann: Wie groß oder klein sind Ihre Hoffnungen, dass Moskau auf Ihr Herz hört?
Asselborn: Es gibt ja bei aller Zerknirschung, die wir alle haben, vielleicht auch wieder ein wenig Hoffnung. Ich habe gestern Abend noch mit Frank-Walter Steinmeier gesprochen, der ja aus Iran und Saudi-Arabien zurückkam, und er hat mir bestätigt, dass dieses Gespräch zwischen Kerry und Lawrow gestern doch irgendwie konstruktiv war, dass die zwei sich wieder aufeinander zubewegen. Es ist ja auch so, dass - Sie haben es glaube ich angedeutet - man im Rahmen von der Münchner Sicherheitskonferenz versucht, wieder Finalgespräche, sagen wir mal, herbeizuführen. Genf darf nicht sterben. Und ich glaube, dass das im Interesse von keinem ist, auch nicht von Russland, todsicher nicht. Und ich hoffe wirklich, dass wir es fertigbringen, all die Länder, die ja in New York dabei waren und unterstützt haben, als die letzte Resolution über Syrien - ich glaube, das ist 2242 -, dass die, als die angenommen wurde, dass hier diese Länder eine große Verantwortung haben und nicht zusehen ... Es kann der Plan von Assad sein, wieder Zehntausende Menschen in den Tod zu bombardieren, aber das kann nicht der Plan sein, der hingenommen wird von der internationalen Gemeinschaft, und auch nicht von Russland.
Heinemann: Herr Asselborn, Saudi-Arabien denkt jetzt auch laut über eine Bereitschaft zur Entsendung von Bodentruppen nach nach Syrien, falls es überhaupt zu einem internationalen Bodentruppeneinsatz kommen sollte. Versuchen jetzt alle Drahtzieher, noch schnell Boden gut zu machen, direkt zu intervenieren?
Asselborn: Ich glaube, dass die Antwort der Amerikaner die richtige ist: Ich glaube nicht, dass Bodentruppen jetzt das Blatt drehen können, dass man überhaupt militärisch zu einer Lösung da kommt. Und das wurde ja eingesehen. Das wurde eingesehen von 17 Ländern, die alle Länder ... auch Saudi-Arabien, dass man auf Diplomatie setzen soll, dass man de Mistura, der sich ja sehr, sehr viel eingebracht hat, viel weiter als Kofi Annan und als Brahimi vorher, diesen Plan, den man hat, einen Waffenstillstand hinzubekommen, dann eine Übergangsregierung, dann Wahlen in den nächsten 18 Monaten, dass dieser Plan der einzige Plan ist, der aufgehen wird, auch um den Menschen in Syrien wieder Hoffnung zu bringen.
Heinemann: Welchen Grund gibt es für diese Menschen heute, am 5. Februar 2016, in Syrien oder überhaupt in der Region zu bleiben?
Asselborn: Ja, Herr Heinemann, wir sitzen beide in einer guten, warmen Stube, ich kann mir vorstellen, was es heißt, wenn undiskriminiert in der Region von Aleppo – und das geschieht ja – bombardiert wird. Sogar so undiskriminiert, dass auch die Hilfskonvois getroffen werden und dass Zehntausende Menschen aus Syrien wegmüssen, um ihr Leben zu retten. Und wenn man in Lebensgefahr ist ... Ich hatte noch nie eine Angst, mein Leben zu verlieren, aber ich kann mir trotzdem vorstellen, was das bedeutet. Und wenn man den Menschen in die Augen sieht – ich war öfters in Lesbos –, die wirklich vor dem Krieg fortgelaufen sind, da braucht man nur eine Sekunde in die Augen zu schauen und man sieht das Leid, das diese Menschen mitmachen.
Heinemann: Ein Leid, das ja ferngesteuert ist. Wer kann die Hintermänner in Teheran, in Riad, in Moskau, in Ankara in die Zange nehmen?
Asselborn: Die können sich nur selbst in die Zange nehmen. Es gibt diese Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, wo sie zusammensaßen in Wien I, Wien II, in New York. Das ist umzusetzen. Ich glaube, alles andere, ja, ist glaube ich diplomatische Totalunmenschlichkeit.
Heinemann: Apropos Diplomatie: Muss man auch mit den IS-Terroristen reden?
Asselborn: Nein. Das war ganz klar de Misturas Plan, der auch geteilt wurde von allen Europäern. Sie haben ja vier Zonen in Syrien: Sie haben das Regime, Sie haben die Opposition, die in Genf vor Ort ist, Sie haben die Kurden und Sie haben IS. Von Anfang an war es ja so, dass diese Friedensverhandlungen stattfinden sollen zwischen dem Regime und der Opposition, wo ja - muss man auch sagen - Saudi-Arabien große Anstrengungen gemacht hat, diese Opposition zusammenzubekommen. Es darf nicht sein, dass die Opposition in Genf – das sind nicht nur Waffenbrüder, das sind Menschen, die sich wehren gegen die Ausfälle des Regimes Assads –, dass die zwischen dem Regime Assad und Daesh aufgerieben werden und dass die Wahl danach nur noch wäre: entweder Assad oder IS. Das muss vermieden werden.
"Wir sind an einem Zeitpunkt, wo wirklich zwischen Regime und Opposition ein Übergang hergestellt werden muss, vor allem eine Waffenruhe"
Heinemann: Nur spielt der IS nun mal eine militärische Rolle im Land. In Afghanistan hat man nach Jahren kapiert, dass man mit den Taliban reden muss. Die galten auch lange als Terroristen und am Ende fanden dann doch Gespräche statt. Warum nicht in Syrien?
Asselborn: Da sind wir nicht. Wir sind in einem Zeitpunkt, wo wirklich zwischen Regime und Opposition ein Übergang hergestellt werden muss, vor allem eine Waffenruhe. Wenn diese Waffenruhe hergestellt ist und es kommt zu Gesprächen, wie man Syrien wieder, sagen wir, irgendwie eine Chance geben kann, einen Neustart zu finden, dann glaube ich ist es an diesen Autoritäten, die dann von den Syrern selbst gewählt werden, um den IS zu bekämpfen. Und wenn dann der Moment kommt, dass IS einsieht ... Das haben wir ja in Afghanistan gesagt, in Afghanistan gibt es Frieden, wenn die Taliban in der Regierung sind, das stimmt, was Sie sagen. Aber hier sind wir nicht so weit, dass diese brutalen Menschen, diese Barbaren, dass man sich mit denen an einen Tisch setzen kann und mit denen verhandeln. Das ist nicht das Ziel, jedenfalls nicht das Ziel jetzt, um Frieden, Waffenstillstand in Syrien hinzubekommen.
Heinemann: Der IS hat längst in Libyen Fuß gefasst. Hat Libyen eine syrische Zukunft vor sich?
Asselborn: Ja, wenn wir in Libyen – da gibt es ja die großen Anstrengungen auch jetzt von dem Deutschen, von Herrn Kobler –, dass im Rahmen dieser UN-Gespräche wirklich in Libyen eine Autorität wieder Fuß fassen kann, die den Staat Libyen vertritt und mit denen man auch Gespräche führen kann, dann sieht es nicht gut aus für Libyen. Ich war letztes Wochenende in Äthiopien, habe viele Außenminister gesehen, Niger, Mali und alle umliegenden Länder, auch Tunesien. Alles Übel, was in dieser Region geschieht, kommt aus Libyen. Und darum ist es auch nicht auszudenken, was geschieht, wenn sich in Libyen diese Gespräche nicht konkretisieren und dass man hier ein positives Resultat herausbekommt, was im Frühjahr wieder auf uns zukommt, vielleicht dann von beiden Seiten sehr massiv. Sie wissen, dieses Jahr sind 850.000 Menschen über die Türkei/Griechenland gekommen und 150.000 über Italien, das kann sich drehen, das kann noch verstärkt dann wirken, dass von beiden Seiten dieses ganze Leid, was sich da entwickelt und nicht zu stoppen ist zurzeit, dass wir dann mit einer Migrationswelle vielleicht konfrontiert sind, die noch stärker ist als dieses Jahr, als 2015.
Heinemann: Muss man einer Eskalation in Libyen militärisch vorbeugen?
Asselborn: Man muss vor allem, glaube ich, in Libyen schauen, dass diese Torburg und, sagen wir mal, die beiden, die da natürlich viel, viel mitspielen, das ist natürlich Ägypten und die Türkei, das ist andererseits selbstverständlich andere wie Algerien, die eine große Rolle spielen ... Aber vor allem sollte man sich konzentrieren und alles tun als Europäische Union, damit man Herrn Kobler hilft, dass der UNO-Plan zustande kommt.
Heinemann: Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Asselborn: Bitte, Herr Heinemann, ja!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.