Peter Sawicki: Die USA bleiben vorerst in Syrien, die Entscheidungen über die mögliche Zukunft des Landes fallen aktuell aber anderswo. Die Türkei, Russland und Iran haben heute in Ankara über Syrien gesprochen. Eine ganze Stunde und vierzig Minuten lang. Reicht das für den Frieden in Syrien nach mehr als sieben Jahren Krieg?
Vor der Sendung haben wir darüber mit Kristian Brakel gesprochen. Er leitet das Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Wir haben ihn gefragt, ob Putin, Erdogan und Ruhani die neuen Friedensfürsten sind.
Kristian Brakel: Es geht natürlich nicht um Frieden im eigentlichen Sinne. Es geht maximal darum, dass die Waffen schweigen und dass irgendwie wieder eine Ordnung hergestellt wird, also vermutlich eine Ordnung, in der das syrische Regime mehr oder weniger regiert und in dem all diese drei Staaten irgendwie ihre Interessen gewahrt sehen. Um Frieden für die Bevölkerung geht es da, glaube ich, maximal im weiteren Sinne.
"Alle Staaten haben sehr unterschiedliche Interessen"
Sawicki: Also sind das Ordnungsmächte, die jetzt die Kriegsbeute sozusagen untereinander aufteilen?
Brakel: Ja. Das ist auf jeden Fall der Versuch, wobei jetzt gerade, was die Türkei angeht, sich das noch zeigen muss. Ich glaube, die Russen versuchen hier, zwei sehr unterschiedliche Kräfte an einen Tisch zu bringen. Also einmal die Iraner, von denen man hofft, dass sie das Regime auf Linie bringen können, und dann eben die Türken, von denen man hofft, dass sie die Teile der bewaffneten Opposition, die es noch gibt, zur Räson bringen beziehungsweise auf den russischen Plan einschwören.
Aber alle Staaten haben auch sehr unterschiedliche Interessen, also gerade von türkischer Seite etwa eben der Kampf gegen die PKK. Präsident Putin hat in der Pressekonferenz gestern noch mal gesagt, dass er durchaus findet, dass die Kurden einen Platz am Verhandlungstisch haben sollten, etwas, was dem Ansinnen der türkischen Regierung zutiefst zuwider läuft.
"Es wird sicherlich nicht um demokratische Reformen gehen"
Sawicki: Ja, lassen Sie uns vielleicht darauf noch mal blicken, auf die Interessen der Türkei, Ankaras speziell. Noch mal ganz kurz auf die Beschlüsse heute, die gefasst worden sind. Die sind ja nicht allzu weit gefasst. Es ist immerhin die Rede von Deeskalationszonen, von Schutz für Zivilisten. Sie haben ja schon gerade gesagt, im Sinne der Zivilbevölkerung soll das Ganze eigentlich gar nicht sein. Können denn die Syrer aber trotzdem in irgendeiner Form, wenn das umgesetzt wird, davon profitieren?
Brakel: Profitieren tun sicherlich alle, wenn die Gewalt, wenn die Kämpfe enden. Ich glaube, niemand mehr in Syrien glaubt daran, dass das in irgendeiner Form eine Wendung nehmen wird, wie man sich das vielleicht im Anfang der Revolution ausgemalt hat. Es wird sicherlich nicht um irgendwelche Formen von demokratischer Reformen gehen, wie das ja eigentlich im UN-geführten Friedensprozess festgeschrieben war, von Genf, um den es ja eigentlich jetzt nicht mehr geht, sondern es wird um die Frage gehen, welche Teile des Landes werden von wem beherrscht. Aber klar, wenn es da keine Gewalt mehr gibt, das wäre auf jeden Fall ein erster Schritt, der allen etwas nutzt. Aber weitergehende Ziele sind da, glaube ich, ausgeschlossen.
Aber diese Deeskalationszonen, die Sie gerade ansprechen, das ist ja nichts Neues. Die bestehen ja im Prinzip jetzt schon seit einiger Zeit, offiziell zumindest, unter anderem ja auch in den Vororten von Damaskus und anderen, und eben in Ghuta. Das hat weder das Regime noch die Russen daran gehindert, da in den letzten Wochen starke Bombenangriffe zu fliegen, auch auf zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser. Von daher ist das sehr zweifelhaft, was davon zu halten ist.
"Das Regime wird bleiben"
Sawicki: Und kein politischer Fortschritt, haben Sie gesagt, wäre davon zu erwarten. Und es fällt ja schon auf, dass heute zumindest vom Präsidenten Syriens, von Assad, nicht viel oder besser gesagt gar nicht gesprochen wurde. Was kann das bedeuten?
Brakel: Ich glaube, das ist eben einfach immer noch der große Knackpunkt. Die Türken sind ja inzwischen so weit, dass sie das Thema zumindest aussparen. Präsident Erdogan macht aber hin und wieder durchaus noch mal Seitenbemerkungen, dass er eigentlich der Ansicht ist, dass Assad gehen müsste. Etwas, was gerade mit den Iranern nicht zu machen ist. Mit den Russen ist man immer so ein bisschen unsicher.
Sawicki: Bleibt Assad dann also, Ihrer Meinung nach?
Brakel: Mittelfristig auf jeden Fall. Ob er langfristig bleiben wird, ist noch mal eine andere Frage. Aber das Regime wird bleiben, und ich glaube, das ist das Wichtige. Es geht ja nicht nur um die Person von Baschar al-Assad. Es geht um die ganzen Strukturen, die dahinter sind, eben seine Familie, aber auch die vielen anderen, die von diesem Regime profitieren und es mit einer enormen Gewalt in den letzten sieben Jahren an der Macht gehalten haben.
"Türkei ist die schwächste Partei am Tisch"
Sawicki: Dann blicken wir doch mal genauer auf die Türkei, auf die türkischen Interessen in Syrien. Sie haben den Kampf, von dem wir alle wissen, gegen die Kurden angesprochen, der Türkei in Syrien. Trotzdem, die YPG scheint ja nicht im Enddokument festgehalten zu sein von heute. Ist das in irgendeiner Form ein Zugeständnis von Ankara an Teheran, an Moskau?
Brakel: Ich denke, dass sie nicht festgehalten worden sind, ist das Minimum, auf das sich die Parteien einigen konnten. Präsident Putin könnte sich durchaus eine Rolle vorstellen. Der Wunsch ist ja, die YPG, die PYD stärker von den Amerikanern weg zu kriegen. Aber solange sie, wie das aktuell der Fall ist, natürlich als Sachwalter amerikanischer Interessen agieren, operiert man lieber mit den Türken. Die Türken und die Iraner können sich, was die PKK, was die YPG angeht, vermutlich relativ gut einigen. Aber man sieht, glaube ich, auch, und ich glaube auch, auf russischer Seite sieht man schon, dass es eigentlich früher oder später auf irgendeine Art von vielleicht föderaler Lösung herausläuft und dass es da eben auch eine kurdische Beteiligung geben sollte.
Sawicki: Kann sich die Türkei darauf einlassen? Wird sie sich darauf einlassen?
Brakel: Nein. So, wie es aktuell ist, wird sie sich darauf nicht einlassen. Aber man muss auch sehen, von diesen drei Parteien ist die Türkei auf jeden Fall die schwächste am Tisch. Die Rebellenverbände, die sie unterstützt hat, sind stark unter Druck, zerfleischen sich zum Teil in der Region Idlib gegenseitig. Das, was die Russen von den Türken wollen, nämlich die Rebellenverbände auf Linie zu bringen, ist für die Türken selbst sehr schwierig, weil es vielem von dem widerspricht, was man politisch in den letzten Jahren verfolgt hat. Deswegen ist man ja gerade nach Syrien hineingegangen, um zu versuchen, eigenes Territorium zu finden, um eben eine bessere Hand am Verhandlungstisch zu haben.
Aber es ist nicht total unwahrscheinlich, dass die Russen, dass die Iraner mit ihren Forderungen früher oder später die Türkei überrollen werden. Ich glaube, das, was wir jetzt sehen, ist noch nicht der Abschluss dieser Friedensgespräche oder auch noch nicht mal der Anfang des Abschlusses. Da wird wahrscheinlich noch sehr viel Zeit ins Land gehen, bevor wir zu einer Situation kommen, wo sich ungefähr eine langfristige Lösung herauskristallisieren wird.
Türkei könnte Bruch mit den USA riskieren
Sawicki: Und wird die Türkei dann kurzfristig trotzdem ihre Kämpfe gegen die Kurden ausweiten in Syrien, wie sie es angekündigt haben?
Brakel: Das ist sehr schwierig zu sagen. Wenn man mit den Entscheidungsträgern in Ankara spricht, dann herrscht eine hohe Überzeugung vor, dass man bereit ist, gegen Manbidsch, diesen Außenposten der YPG/PKK, der ja westlich des Euphrats liegt, vorzugehen, wenn die Amerikaner nicht die PKK zurückdrängen und die Kontrolle selbst übernehmen. Die Amerikaner weigern sich bisher.
Es spricht eigentlich alles logisch dagegen, dass die Türkei versuchen sollte, sich mit den Amerikanern anzulegen. Aber wir müssen auch sehen, dass wir aktuell in einer politischen Situation in der Türkei sind, wo es trotzdem durchaus dazu kommen könnte, dass irgendeine Form von Bruch mit den USA weitergehend riskiert wird. Es wurde ja heute auch noch mal angedeutet oder gestern in den Gesprächen mit Russland, diese russisch-türkische Annäherung, was den Kauf von Waffensystemen angeht, der ein Schlag ins Gesicht der NATO, der Amerikaner ist. Also, die Türken scheinen aktuell bereit zu sein, sehr viel in Kauf zu nehmen.
Sawicki: Der Nahost-Experte und Islamwissenschaftler, heute Abend bei uns im Deutschlandfunk.
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