Doris Simon: Der erste Verhandlungstag der neuen Syrien-Friedensgespräche, der ist ohne Ergebnisse geblieben. Auch darüber möchte ich jetzt sprechen mit Bente Scheller. Sie leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Guten Abend.
Bente Scheller: Guten Abend.
Simon: Frau Scheller, indirekte Verhandlungen, keine Ergebnisse - lässt sich nach dem ersten Tag daraus schon etwas ablesen für den Ausgang der Gespräche?
Scheller: Ich denke, allgemein waren die Hoffnungen nicht sehr groß, dass sich hier Bahnbrechendes ereignen würde. Ich glaube, das Wesentliche an diesen Gesprächen ist, dass sie überhaupt jetzt stattfinden und zu den Bedingungen stattfinden, die die Schirmherren dieser Konferenz gesetzt haben, dass alle Parteien erst mal zusammenkommen, dass es ein symbolisches Foto zusammen auch gibt. Und was jetzt dabei herauskommt, dafür haben wir ja eigentlich nicht mehr viel Zeit, denn morgen Mittag soll es ja schon zu Ende gehen.
"Was in Damaskus geschieht hängt davon ab, was im Umland geschieht"
Simon: Was können denn dann bis morgen Mittag die Verhandlungen überhaupt noch bringen?
Scheller: Die Parteien haben ja gesagt, sie arbeiten an einer Stabilisierung der Waffenruhe. Das wäre natürlich für diejenigen, die von Kampfhandlungen betroffen sind, sehr wichtig. Aber es ist natürlich ein winziger Schritt, wenn wir uns anschauen, was eigentlich zu leisten wäre, bis es zu einem Frieden in Syrien kommt.
Simon: Schauen wir noch mal ganz kurz auf Syrien. Wenn Sie sagen, Waffenstillstand - es gibt ja die ausgehandelte Waffenruhe, aber es wird zum Beispiel noch gekämpft im Barada-Tal, auch anderswo noch. Worum geht es im Augenblick?
Scheller: Im Moment sind die Kriegsparteien dabei und hier insbesondere das syrische Regime, Fakten am Boden zu schaffen, an denen dann niemand mehr vorbeikommt. Da ist ganz wichtig das Umland von Damaskus, weil das natürlich dem Herzen der syrischen Macht am nächsten ist. Was in Damaskus geschieht hängt davon ab, was im Umland geschieht, und deswegen finden dort verstärkt Kämpfe statt.
"Der Sieg in Aleppo hat dem Regime sehr stark die militärische Oberhand gegeben"
Simon: Das sind aus Ihrer Sicht nur Kämpfe, die sich richten von der syrischen Regierung gegen die Rebellen, oder gibt es auch Angriffe der Rebellen auf die syrischen Regierungstruppen?
Scheller: Es gibt beides. Es gibt sicherlich beides. Aber ich denke, das Ausmaß zeigt hier, dass im Wesentlichen das Regime hier versucht, Fakten zu schaffen.
Simon: Wie schwach sind aus Ihrer Sicht die Rebellen? Oder anders herum: Inwieweit sind sie inzwischen zu Zugeständnissen bereit?
Scheller: Gerade der Sieg in Aleppo hat dem Regime natürlich sehr stark die militärische Oberhand gegeben. Ich denke, wir können an allen Orten in Syrien beobachten, dass die Rebellen in der Defensive sind und somit auch nicht mehr in einer guten Verhandlungsposition. Aber die Frage ist natürlich, was können sie aufgeben, denn bislang gibt es ja keine Garantien, auch keine Garantiemacht für all das, was eventuell ausgehandelt wird, und deswegen sind das meiste, was wir bislang beobachtet haben, Kapitulationen.
Simon: Was können sie aufgeben, was könnten sie denn aufgeben?
Scheller: Das wichtigste wäre natürlich, dass es letztlich zu einem Friedensschluss kommt, bei dem alle Seiten das Gefühl haben, ihre Bedenken, ihre Anliegen sind auch gehört worden, und da sind die Weichen leider noch gar nicht gut gestellt, denn im Moment läuft es wirklich darauf hinaus, dass vieles einfach militärisch durchgesetzt wird. Aber Versöhnungsbemühungen sehen wir zum Beispiel überhaupt nicht.
"Ich sehe im Wesentlichen die Regierung in der Verantwortung"
Simon: Ist es dafür nicht zu früh?
Scheller: Ich denke, wir haben schon sehr viele lokale Waffenstillstände im letzten Jahr oder auch schon davor beobachten können. Deswegen wäre es ja auf lokaler Ebene durchaus eine Möglichkeit, da positive Signale zu senden und zu sagen, wenn es zu einer Aufgabe an einem Ort kommt, dann werden alle Bemühungen darauf gerichtet, hier auch einen dauerhaften Frieden zu etablieren mit allen Bewohnern. Aber wir haben hier eine starke Tendenz dazu, dass es im Wesentlichen zu Bevölkerungsumsiedlungen, zu Vertreibungen kommt, und das ist natürlich etwas, wo viele syrische Bürgerinnen und Bürger auch sehen, sie werden überhaupt nicht gefragt und nicht beteiligt.
Simon: Wenn Sie von mangelnder Aussöhnung sprechen, sehen Sie da allein die Regierung in der Verantwortung?
Scheller: Ich sehe im Wesentlichen die Regierung in der Verantwortung. Dadurch, dass sie militärische Siege erringen, wären sie im Prinzip, wenn sie auf einen Frieden hinaus wollen, ja auch in der Pflicht, die Basis dafür zu schaffen und allen zu signalisieren, es ist möglich, zum Beispiel zurückzukehren an Orte, es ist möglich, dort wieder ein geregeltes Leben zu führen, und daran mangelt es.
Simon: Schauen wir noch mal auf Astana, die Gespräche dort. Da sitzen ja nicht alle Rebellengruppen mit am Tisch. Zum Beispiel fehlt die radikal-islamische Gruppe Ahrar al-Scham. Wie schwierig ist das, so eine Waffenruhe wirklich auszuhandeln, die dann auch hält?
Scheller: Es ist ja ein wirklich sehr komplexer Konflikt, nicht nur durch die lokalen Parteien, sondern auch durch die internationalen Parteien, die hier involviert sind, und da ist natürlich ganz schwierig an der Konstellation in Astana, dass die Schirmherren der Konferenz drei Kriegsparteien sind, die direkt, aber auch indirekt an den Kampfhandlungen beteiligt sind, so dass natürlich die Frage wesentlich ist, wie soll das, was hier verhandelt wird, tatsächlich umgesetzt werden. Wer überwacht das und wer ist der Garant dafür, dass tatsächlich die verhandelten Dinge auch so umgesetzt werden, wie sie ausgehandelt wurden.
"Eigentlich wären neutrale Beobachter vonnöten"
Simon: Man könnte das ja auch als einen Vorteil sehen, dass da die Kampfparteien am Tisch sitzen. Das sind letztlich auch die, die was bewegen können, und der UN-Vermittler für Syrien, Staffan de Mistura, der hat ja von Russland und der Türkei, also zwei der drei, die in Astana dabei sind, einen solchen gemeinsamen Mechanismus zur Überwachung einer Waffenruhe gefordert. Wird es den geben?
Scheller: Das ist sehr schwierig. Wir haben es in allen vorherigen Fällen auch gesehen. Eigentlich wären neutrale Beobachter vonnöten, aber die sind bislang ja so nicht intendiert. Da hatte Staffan de Mistura ja auch im letzten Jahr schon einmal gesagt, dass es sehr schwierig würde, UN-Beobachter beispielsweise zu entsenden. Deswegen wird klar sein für alle lokalen Akteure, sie sind weiterhin abhängig von dem Gutdünken und der Willkür der Kriegsparteien, die hier am Tisch sitzen.
Simon: Wie ist denn die Stimmung in Syrien, soweit Sie das aus dem Libanon beurteilen können? Sind die Leute da letztlich nicht einfach froh, wenn einmal kein Krieg mehr ist?
Scheller: Darüber wären sicherlich alle Menschen in Syrien froh. Aber es ist wichtig, dass sie auch das Gefühl haben, das ist dauerhaft, das ist etwas, wo sie ihren Weg finden und ihren Platz finden, und da gibt es wenig Hoffnung, weil es eine Tendenz gibt, die Leute einfach von ihrem Ort zu entfernen, Orte, die vollständig besiegt und geräumt worden sind, werden nicht wiederbesiedelt. Gerade Homs ist da ein gutes Beispiel, weil ja schon vor Jahren das Regime hier wieder die Herrschaft übernommen hat, aber das Stadtzentrum von Homs ist gespenstisch. Dort wird nicht wiederaufgebaut, dort können viele Menschen nicht zurückkehren und es wird ihnen auch nicht genehmigt.
Humanitäre Hilfe muss den Bedürftigsten zugutekommen
Simon: Das heißt, alles was auch mit einer Aufteilung der Macht mal vor längerer Zeit überlegt worden war, das ist für Sie vom Tisch durch die Fakten?
Scheller: Im Moment sieht es so aus, weil natürlich gerade bei den Genf-Gesprächen auch ein ganz wichtiger Aspekt die Transition war. Darauf sollte eigentlich alles hinauslaufen und das ist ja etwas, was in Astana jetzt noch nicht einmal zur Debatte steht.
Simon: Und was heißt das für Sie?
Scheller: Das heißt, dass wir weiterhin abwarten müssen, was für diejenigen, die betroffen sind vom Konflikt, verheerend ist, weil es weiter bedeutet, sie hungern. 700.000 Menschen in Syrien leben weiterhin unter Belagerung. Humanitäre Hilfe wird hier zu einem Verhandlungsgut gemacht, was es eigentlich ja nicht sein sollte. Es ist ein international verbürgtes Recht, dass humanitäre Hilfe den Bedürftigsten zugutekommt, und da sehe ich im Moment überhaupt keine Intention, das zu erreichen. Ich sehe vielmehr, dass unsere Standards mittlerweile so niedrig sind, dass wir akzeptieren, dass das ein Verhandlungsgegenstand wird.
Simon: … sagt Bente Scheller - sie leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut - nach dem ersten Verhandlungstag der Syrien-Gespräche im kasachischen Astana. Frau Scheller, vielen Dank für das Gespräch.
Scheller: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.