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Syrien-Konferenz
Nouripour: Nicht auf Maximalforderungen beharren

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour hat vor zu hohen Erwartungen an die bevorstehende Syrien-Konferenz in der Schweiz gewarnt. Zunächst müssten akute Fragen wie der Zugang zu humanitärer Hilfe in allen Regionen des Landes geklärt werden, sagte Nouripour im Deutschlandfunk.

Omid Nouripour im Gespräch mit Gerd Breker | 21.01.2014
    Ein syrischer Soldat mit Maschinengewehr an einem Kontrollpunkt in Damaskus.
    Ein syrischer Soldat an einem Kontrollpunkt in Damaskus. (picture alliance / dpa / Mikhail Pochuyev)
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour. Guten Tag, Herr Nouripour.
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie, Herr Breker.
    Breker: Erst rein, dann raus – wahrlich kein Glanzstück der Vereinten Nationen, oder?
    Nouripour: Das ist richtig. Aber es bringt jetzt nichts, die ganze Konferenz, die sowieso die ganze Zeit mit viel zu vielen Erwartungen behaftet war und viel zu wenig Substanz mitbringen kann, schlecht zu reden, sondern jetzt muss man nach vorne gucken. Die Alternative war am Ende, die Iraner oder die Opposition Syriens. Und das ist nun mal eine Syrien-Konferenz und deshalb ist die Entscheidung bedauerlich, aber wichtig ist natürlich, dass die Syrer dabei sind. Und zwar am besten alle Seiten, die man an den Tisch bekommt.
    Breker: Dennoch: Der Iran ist als Regionalmacht ein Spieler im syrischen Bürgerkrieg, ein Teil des Problems. Also müsste er eigentlich auch ein Teil der Lösung werden?
    Nouripour: Ja, selbstverständlich! Es wäre natürlich von großer Bedeutung und auch ein Schritt nach vorne, wenn endlich alle an einem Tisch sitzen würden, die an einen Tisch gehören. Dass das nicht der Fall ist, schwächt natürlich die Konferenz. Aber das heißt trotzdem nicht, dass man sie jetzt nicht machen soll, sondern jetzt muss geschaut werden, dass auf dieser Konferenz die zentralen akuten Fragen behandelt werden. Und das ist nun mal der Zugang für humanitäre Hilfe in alle Regionen des Landes. Und dann muss man natürlich darauf aufbauend gucken, dass beim nächsten Mal hoffentlich die Iraner dabei sind.
    Breker: Solange Saudi-Arabien und Katar in Syrien mitmischen, kann sich da der Iran überhaupt raushalten?
    Nouripour: Es sind ja nicht nur die beiden Golf-Staaten. Es gibt ja noch ein paar andere, wie zum Beispiel auch Kuwait. Der Iran spielt dort quasi dasselbe Spiel wie in anderen Regionen des Nahen Ostens auch, nämlich einen Stellvertreterkrieg. Das ist gewiss so. Das ist alles andere als gut. Die großen Verlierer der Geschichte sind natürlich die Menschen in Syrien, die darunter leiden, dass es diesen Krieg so gibt, wie es ihn gibt. Aber es wird keine Lösung geben, solange nicht alle an einem Tisch sitzen und man miteinander redet. Und deshalb ist das Akuteste, was hier zu tun ist, diese Konferenz nutzen, damit in der Zukunft dann deutlich bessere Gespräche zwischen mehr Playern auch stattfinden können.
    Breker: Welche Erfolgsaussichten kann denn überhaupt die Schweiz, die Verhandlungen in der Schweiz bieten?
    Nouripour: Nicht mehr, als dass man mal miteinander geredet hat. Und nicht mehr, als dass jetzt die humanitäre Situation gebessert wird. Das Problem auch vor Ort ist: Es gibt eine riesige Erwartung, weil das nun mal die erste Konferenz ist, die so breit aufgestellt ist, seit Beginn des Konfliktes. Diese Erwartungen kann diese Konferenz gar nicht erfüllen. Aber das heißt trotzdem nicht, dass man jetzt sagen soll, Konferenzen machen so keinen Sinn, Dialog macht keinen Sinn. Natürlich macht das Sinn, weil es gibt nämlich keinen anderen Weg, dass die Situation dort gebessert wird.
    Breker: Ziel ist eine Übergangsregierung für Syrien. Geht das ohne Präsident Assad?
    Nouripour: Das ist ja im Beitrag deutlich geworden. Die Russen und die Iraner sagen nun, dass sie eine Übergangsregierung richtig finden, aber dass es ja nie um die Person Assad ging. Ich glaube, nach so viel Verzweiflung, nach so viel Leiden ist das nicht das, was man als Hauptforderung stellen sollte, dass Assad weg ist. Ich habe das selber die ganze Zeit so vertreten. Es ist zu viel passiert, habe ich selbst auch bei Ihnen im Sender immer wieder gesagt, es ist so viel passiert, es ist nicht denkbar, dass Assad weiterhin am Tisch sitzt und es mit ihm Frieden geben kann. Mittlerweile komme ich zu dem Ergebnis, dass man jeden Strohhalm nehmen muss, den es gibt. Langfristig wird es mit Assad nicht gehen, aber wenn man jetzt eine Lösung fände, die irgendwie ihn jetzt erst mal einschließt, dann muss man nehmen was man kriegt. Und mehr gibt es zurzeit nicht. Das ist moralisch hoch verwerflich, hoch dramatisch, wenn man auch dem Beitrag jetzt gelauscht hat mit den systematischen Folterungen und Exekutionen in Gefängnissen. Dann wird mir schlecht bei dem, was ich selber sage. Aber das wird nicht davon besser, wenn wir auf der Maximalposition beharren.
    Breker: Assad ist inzwischen ja auch diplomatisch im Vorteil: Er kann so was anbieten wie Gefangenenaustausch, regionale Waffenstillstände. Er ist ja eigentlich auch, Herr Nouripour, eine Art Garant für eine staatliche Ordnung, auf dass Syrien nicht total zerfällt, wie weiland Somalia oder der Irak.
    Omid Nouripour
    Geboren 1975 in Teheran, Iran. Seit 1996 bei Bündnis 90/Die Grünen aktiv, seit 2006 Mitglied des Deutschen Bundestages (Landesliste Hessen). Nouripour ist seit 2009 sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Obmann im Verteidigungsausschuss. Er ist zudem stellvertretenden Koordinator des Arbeitskreises Internationales und Menschenrechte der Grünen-Fraktion im Bundestag.
    Nouripour: Ja! Aber dieses Stabilitätsargument war jahrzehntelang der Hauptfehler des Westens, wenn es um solche Länder ging. Weil man gesagt hat, das sind zwar alles Diktatoren, aber die stabilisieren uns ja die Region. Und das Ergebnis war, dass in vielen diesen Ländern irgendwann mal die Menschen es satt hatten und auch auf die Straße gegangen sind. Deshalb wird es langfristig nicht nur in Syrien nicht, in all diesen Ländern keine Stabilität auch in unserem Sinne geben, wenn wir weiterhin an Diktatoren festhalten. Das Problem jetzt mit Assad ist nicht eines, das bedeutet, er ist langfristig der einzige Stabilisator. Das Problem ist: Wir kriegen den nicht weg. Und wenn wir den nicht weg kriegen und die Lage in dem Land so ist, wie es ist, die Opposition so zersplittert ist, wie sie ist, und die Milizen teilweise sich einander mittlerweile offen bekämpfen, wie wir es in Aleppo und Umgebung ja Tag für Tag sehen. In dem Augenblick, in dem wir eine Verhärtung haben und eine Radikalisierung von Al Kaida-Gruppen, was man sich ja gar nicht vorstellen konnte vor wenigen Jahren, muss man nun mal das ergreifen, was geht. Und das ist der Dialog mit allen, mit denen man ins Gespräch kommen kann.
    Breker: Der Iran wird in der Schweiz nicht dabei sein. Aber, Herr Nouripour, lassen Sie uns mal auf den Iran schauen. Präsident Rohani ist im Atomstreit dem Westen entgegengekommen. Wie sicher, wie fest sitzt er im Sattel, dass er dem Westen auch in Sachen Syrien entgegenkommen könnte?
    Nouripour: Ich glaube das nicht. Mein Eindruck ist, dass das Entgegenkommen der Iraner in der Atomfrage auch was damit zu tun hat, dass sie festgestellt haben: Syrien ist für sie wichtiger objektiv und darauf müssen sie sich konzentrieren. Es gibt in all den Bereichen, die es gibt, von Menschenrechtssituationen über die Wirtschaftspolitik bis hin zum Atomprogramm, in all den Bereichen gibt es einen einzigen, in dem es nach meiner Wahrnehmung keinerlei Unterscheidung gibt in der Rhetorik von Rohani und seinem unsäglichen Vorgänger Ahmadinedschad. Und das ist Syrien. Deshalb bin ich nicht sicher, ob die Iraner dort bereit sind, sehr viel zu geben. Aber auch das werden wir nicht herausfinden, wenn wir nicht alle zusammen an einem Tisch sitzen und miteinander reden.
    Breker: Rohani ein Reformer?
    Nouripour: Nein, das sagt er auch selbst. Er sagt, dass er moderater ist. Er ist sehr fokussiert auf die Situation im Iran selbst, zurecht, wie man es jetzt bei Ihnen im Beitrag auch gehört hat. Das Thema Syrien spielt im Iran keine übergeordnete Rolle, sondern die persönlichen Freiheiten und die wirtschaftliche Situation. Das sind die entscheidenden Dinge. Dort ist er möglicherweise bereit, bestimmte Ventile zu öffnen, damit das System im Iran sich stabilisiert, weil die Situation sich für die Menschen im Iran selber ein bisschen gebessert hat. Aber ich glaube nicht, dass im Falle von Syrien er bereit wäre zu weitgehenden Konzessionen.
    Breker: Und in Sachen Atomprogramm nach einem halben Jahr, können wir da zuversichtlicher sein?
    Nouripour: Auch da gilt dasselbe. Wir haben viele starke Worte geschwungen die letzten zehn, elf Jahre und haben nichts erreicht. Es hat sich nichts geändert. Die Alternative zu dem Deal, den es jetzt gibt und wo man sehr genau hingucken muss und darauf bauen muss, dass die Iraner das auch einhalten, und auch sehr genau kontrollieren muss, ist, dass wir zurückkehren in den Zustand des Nichtredens, in dem die Iraner einfach immer weiter angereichert haben und Tatsachen geschaffen haben. Während wir uns immer nur stark geredet haben, es hat sich aber nichts geändert.
    Breker: Hauptsache miteinander reden?
    Nouripour: Nein! Aber ohne Reden werden wir diese festgefahrenen Knotenpunkte überhaupt nicht aufmachen können.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Ansicht des Grünen-Außenpolitikers Omid Nouripour. Herr Nouripour, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.