Einige haben es geschafft. Mindestens fünf Busse sind in der Nacht aus Ost-Aleppo herausgekommen, mehrere hundert Zivilisten konnten die umlagerte Enklave verlassen. Offenbar hat es eine neue Einigung zwischen den Aufständischen und der syrischen Regierung gegeben. Die Nachricht löst bei Beobachtern ein vorsichtiges Aufatmen aus, war doch das ganze Wochenende ein einziges diplomatisches Tauziehen zwischen den Kriegsparteien.
Evakuierungen ausgesetzt – unterbrochen – abgebrochen – so hieß es zunächst. Dann eine erste Einigung der Kriegsparteien, verbunden mit der möglichen Aussicht, die Evakuierungen wieder aufzunehmen. Verhandlungen wieder gescheitert – später eine zweite Einigung – und für die Zivilisten warten, warten, warten ... So lässt sich der Nervenkrieg der vergangenen Tage um Ost-Aleppo zusammenfassen.
Tausende Familien harren seit Tagen in der umzingelten Enklave bei winterlichen Temperaturen aus und hoffen auf ihre Rettung. Die Menschen schlafen trotz Minusgrade im Freien und haben nichts mehr zu essen. 15.000 Menschen sollen sich gestern Abend auf einem zentralen Platz versammelt haben, um die Evakuierungsbusse nicht zu verpassen. Erst kommt am Abend für sie die niederschmetternde Meldung: Die Evakuierungen blieben bis auf Weiteres ausgesetzt – doch mitten in der Nacht wird das Gegenteil Realität: Erstmals seit mehr als 48 Stunden verlassen mindestens fünf Busse Ost-Aleppo und bringen mehrere hundert Menschen aus der Stadt.
Verhandlungen um zwei Dörfer im Nordwesten Syriens
Der Grund für die tagelang gestoppten Evakuierungen lag außerhalb Aleppos. Es ging um zwei Dörfer im Nordwesten Syriens, in der Provinz Idlip: Fua und Kafraja. In beiden Dörfern leben mehrheitlich Schiiten, sie werden seit Monaten von den Aufständischen belagert. Der Iran, wichtiger Verbündeter des Assad-Regimes, hatte eine Evakuierung Ost-Aleppos an die Bedingung geknüpft, dass im Gegenzug die Bewohner die beiden schiitischen Dörfer verlassen dürfen. Iranische Milizen hatten Berichten zufolge am Freitag in Ost-Aleppo einen Konvoi angegriffen und Geiseln genommen, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen – sehr zum Missfallen der russischen Regierung, die daraufhin die Evakuierungen spontan für beendet erklärte.
Dieser Konflikt zeige die Spannungen innerhalb der Assad-Verbündeten, so Hadi al-Bahrah, früherer Vorsitzender der oppositionellen syrischen Nationalkoalition.
"Russland hat in Syrien andere Interessen als der Iran. Der Iran strebt genau wie das Assad-Regime einen militärischen Sieg über die Aufständischen an, koste es, was es wolle. Russland möchte diesen Sieg zwar auch, bevorzugt aber zum jetzigen Zeitpunkt Verhandlungen, damit der Einfluss des Iran in Syrien nicht noch größer wird."
Diese russische Verhandlungsbereitschaft scheint es jetzt zu sein, die Bewegung in die Sache bringt. Auch im UN-Sicherheitsrat haben sich Russland und Frankreich am Abend offenbar auf einen gemeinsamen Resolutionsentwurf geeinigt, der internationale Beobachter und Hilfe in Aleppo zulassen könnte.
Noch vor wenigen Stunden sah das alles ganz anders aus: Die Aufständischen stimmten den iranischen Forderungen nach einer Evakuierung der beiden Dörfer zunächst zu, brachten dann aber ihrerseits zwei andere Dörfer mit an den Verhandlungstisch, die wiederum von der syrischen Regierungsarmee seit Monaten belagert werden. Dorf – um Dorf sozusagen, Belagerung um Belagerung – und alles als Voraussetzung für eine Evakuierung der Menschen in Ost-Aleppo. Menschenleben als Verhandlungsmasse – auf beiden Seiten.
Extremisten zündeten Busse an
Prinzipiell gab es gestern eine Einigung zwischen der syrischen Regierung und den Aufständischen. Doch im Laufe des Tages kam es zu verheerenden Zwischenfällen: Anhänger der dschihadistischen Fatah-al-Scham-Gruppe, ehemals Nusra-Front, die Al Kaida nahestehen und im Syrienkonflikt auf Seite der Regierungsgegner kämpfen, zündeten mehrere Busse an. Diese waren für die Evakuierung der Menschen aus den schiitischen Dörfern gedacht. Mit dieser Aktion zerstörten die Extremisten die Verhandlungsgrundlage für eine Rettung der Zivilisten, auch in Ost-Aleppo. Alles schien gescheitert. Auch in den Flüchtlingslagern außerhalb Syriens wurde diese Entwicklung mit Entsetzen verfolgt:
"Es gibt nur zwei Möglichkeiten", so dieser syrische Flüchtling aus dem Libanon. "Entweder die Zivilisten in Aleppo werden nicht mehr als Menschen angesehen. Oder es gibt außerhalb Aleppos keine Menschlichkeit mehr, keine Menschen, die sehen, was dort passiert."
Mitten in der Nacht dann vorsichtige Hoffnungszeichen. Die Evakuierungen liefen wieder an, melden Beobachter. Mehrere hundert Menschen konnten Ost-Aleppo mittlerweile verlassen. Doch nach Angaben der Vereinten Nationen befinden sich immer noch zehntausende Zivilisten zwischen den Trümmern in den eingekesselten Gebieten. Sie hoffen, heute so schnell wie möglich rauszukommen – aus der – wie UNO-Generalsekträr Ban Ki Moon es sagte – Hölle Aleppo.