Jasper Barenberg: Nach knapp einer Stunde war alles vorbei. Auf drei Ziele haben die USA, Großbritannien und Frankreich gemeinsam gefeuert. Alle drei sollen dazu gedient haben, Chemiewaffen zu erforschen, zu produzieren, zu lagern oder einzusetzen. Massiv ist der Luftschlag damit ausgefallen und doch offenbar so begrenzt, dass eine direkte Konfrontation mit Assads engstem Verbündeten Russland tunlichst vermieden wird. Der Kreml verurteilt den Militärschlag denn auch und droht. Ein Gegenschlag aber zeichnet sich vorerst nicht ab.
Geht es nach Frankreich und nach der Bundesregierung, soll auf den militärischen Angriff jetzt eine diplomatische Initiative folgen. Hat das Aussicht auf Erfolg? Lange schon ist ja der Syrien-Krieg zu einem kaum entwirrbaren Knäuel von regionalen und internationalen Interessen geworden, in dem inzwischen vor allem Russland, Iran und die Türkei entscheiden, wie es weitergeht. Am Telefon ist Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Seit Jahrzehnten beobachtet er auch und gerade die Entwicklung im Nahen Osten und in der arabischen Welt. Schönen guten Morgen.
Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
Chance auf einen erneuerten diplomatischen Prozess
Barenberg: Ein begrenzter Militärschlag gegen den mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen. Kann das die Machtverhältnisse, die komplizierte Gemengelage im Syrien-Krieg in irgendeiner Form jetzt verändern?
Perthes: Die Machtverhältnisse, die strategische Situation in Syrien selbst, insbesondere zwischen der Regierung von Baschar al-Assad und den verbliebenen Rebellen, ändert das überhaupt nicht. Es ändert auch nichts daran, dass Russland den Krieg in Syrien gewissermaßen gewonnen hat und damit seinem Verbündeten weitgehend wieder die Kontrolle über die größten Teile des Landes erlaubt hat. Das ändert auch nichts an der Verankerung Irans in Syrien. Aber vielleicht - darauf haben Sie angesprochen - gibt es die Chance, einen neuen oder erneuerten diplomatischen Prozess loszutreten, weil niemand will, dass sich die Großmächte hier in eine neue Eskalationsspirale begeben.
Barenberg: Welche Chance könnte das denn sein, wenn man bedenkt, dass Russland bisher allen Initiativen, sagen wir, im UN-Sicherheitsrat nicht zugestimmt hat, die blockiert hat?
Perthes: Das stimmt ja nicht ganz, dass Russland alle Initiativen blockiert hätte. Es hat die mitgetragen, die es selbst mit eingebracht hat oder wo es selbst involviert war. Noch arbeiten die Vereinten Nationen auf Basis einer Sicherheitsratsresolution von 2015. Das ist eine, die gemeinsam von allen Mächten damals beschlossen worden ist. Auf der Grundlage gibt es einen Verhandlungsprozess, der uns nicht sehr weit geführt hat, aber auf der Grundlage gibt es auch einen Überbau der internationalen Staatengemeinschaft, an dem Russland, die USA und die anderen Staaten beteiligt sind, die im Sicherheitsrat oder in der Region was zu sagen haben. Hier kann man wieder ansetzen.
Russland will EU im Boot haben
Barenberg: Bisher hat man ja durchaus den Eindruck, dass Russland für sich in Anspruch nimmt, die Geschicke zu bestimmen, und dass es im Moment keine Anzeichen gibt, dass man den Westen wieder an den Verhandlungstisch zurück lassen könnte.
Perthes: Russland verhält sich manchmal ein bisschen so - lassen Sie mich das in Anführungsstrichen sagen -, als sei Syrien eine innere Angelegenheit Moskaus und man wolle keine Einmischung anderer. Gleichzeitig hat sich Russland auch bei seinen eigenen Bemühungen um Kriegsbeendigung immer darum bemüht, die westlichen Staaten einzuladen, etwa bei der Sotschi-Konferenz, die es Anfang dieses Jahres veranstaltet hat im eigenen Land. Da sind amerikanische, französische und andere Beobachter eingeladen worden und auch die Vereinten Nationen. Man will ganz bewusst die Europäische Union mit im Boot haben, weil man weiß, Syrien wird einem selbst auch zu teuer und es wird irgendwann um Wiederaufbau gehen. Da gibt es durchaus russische Interessen, sehr realpolitische, wenn Sie so wollen, die man nutzen kann, wenn man mit Russland ins Gespräch über die Zukunft Syriens kommen will.
Frankreich und Deutschland sollten die Europäer zusammenbringen
Barenberg: Welche Rolle könnte die Bundesregierung in dieser Situation spielen? Manche sagen, die Bundesregierung ist geradezu prädestiniert, ein Vermittler zu sein, der Russland wieder stärker in einen politischen Prozess einbinden könnte.
Perthes: Deutschland kann sicher eine Vermittlerrolle spielen, aber eben eine im Verbund mit anderen. Und ich glaube, Frankreich ist zurzeit etwas besser positioniert hier, weil die derzeitige Führung in Moskau nimmt Stärkedemonstrationen sehr ernst. Das hat Frankreich gerade getan. Gleichzeitig war Frankreich bei dieser Stärkedemonstration sehr, sehr explizit, hat sehr, sehr deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, den Konflikt zu eskalieren, dass es nicht darum geht, sich in den Bürgerkrieg beziehungsweise dessen Ergebnisse einzumischen oder dessen Ergebnis verändern zu wollen und dass man keine Konfrontation - weder mit Russland noch mit Iran - will. Nach dem Angriff hat Staatspräsident Macron sogar noch einmal betont, dass er bereit ist, mit Russland, der Türkei und Iran, der Dreiergruppe, die sich konkret um Kriegsbeendigung - nicht sehr erfolgreich - in Syrien bemüht, zu reden darüber, wie man das besser machen kann.
Barenberg: Welche Mittel hat Frankreich denn jetzt in der Hand? Welche Mittel bleiben für eine neue diplomatische Initiative - angesichts des Scheiterns bei den Vereinten Nationen bisher und auch anderer Bemühungen?
Perthes: Es gibt ja gewissermaßen eine Leerstelle in der internationalen Diplomatie, und das sind die USA. Die waren 2015 - darüber haben wir eben gesprochen - eine der treibenden Kräfte, zusammen mit Russland und einigen europäischen Verbündeten, Deutschland darunter, um etwa diese Sicherheitsratsresolution 2254 auf den Weg zu bekommen. Die USA engagieren sich zurzeit militärisch, aber praktisch gar nicht mehr diplomatisch in Syrien. Und hier kann Frankreich, wenn es die Europäer zusammenbringt, oder wenn Frankreich und Deutschland die Europäer gemeinsam zusammenbringen, tatsächlich eine Rolle spielen. Niemand in der Region - das ist vielleicht ganz wichtig - von den regionalen Staaten möchte, dass nur ein großer externer Spieler die diplomatische Aktion beherrscht. Insofern arbeitet man gerne mit Russland oder man arbeitet mit Russland, weil die USA nicht mehr zur Verfügung stehen, aber man würde sich schon freuen, wenn Russland auch ein Stück weit ausbalanciert würde, etwa durch eine gemeinsame europäische Position und Politik.
Nicht ohne die Vereinten Nationen
Barenberg: Der Krieg in Syrien ist mittlerweile auch geprägt von dem Ringen zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region. Können Sie sich ein Szenario vorstellen, wo beide Staaten sich einlassen würden auf einen politischen Prozess, der möglicherweise, wenn man Heiko Maas glaubt, ja auch jenseits der Vereinten Nationen stattfinden könnte oder sollte?
Perthes: Ich kann mir jedes Szenario vorstellen. Aber das heißt ja nicht, dass diese Szenarien dann realistisch sind. Zurzeit ist es, glaube ich, realistischer, den Hegemonialkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran als auf gegebene Zeit vorhanden einzukalkulieren und auch als Störfaktor für Bemühungen um eine Kriegsbeendigung in Syrien einzukalkulieren. Außerhalb oder mit den Vereinten Nationen - ich nehme mal an, dass Heiko Maas gemeint hat, außerhalb des Sicherheitsrats - könnte man voranschreiten, wenn dieser blockiert ist. Aber es gibt kaum einen Staat und sicherlich Deutschland nicht, was da ein großer Unterstützer der Vereinten Nationen ist, oder Frankreich oder Russland, die glauben, dass man, wenn es dann ans Detail geht, ans Klein-Klein, ohne die Vereinten Nationen und ihre guten Dienste auskommen könnte.
Barenberg: Zum Schluss, Herr Perthes, geben Sie uns eine Skizze: Was könnten erste sinnvolle konstruktive Schritte auf einem dann sehr langen Weg sein?
Perthes: Nun, ich denke, es wäre gut, wenn der UNO-Generalsekretär zusammen mit einigen vernünftigen Staatslenkern - Herr Macron gehört sicherlich dazu, vielleicht auch die Bundeskanzlerin - versuchen würde, ein Spitzentreffen in New York oder wo auch immer zusammenzubekommen. Man könnte sich vorstellen, so etwas auch am Rande einer G7- oder G20-Tagung zu machen, um einen neuen internationalen Fahrplan auf den Weg zu bringen. Ich denke, auch wegen der Frage der Legitimität nicht ohne die Vereinten Nationen, sondern zentral mit den Vereinten Nationen.
Barenberg: Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank!
Perthes: Sehr gerne, Herr Barenberg.
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