Archiv

Syrien-Konflikt
Politische Lösung einzige Exit-Strategie für Russland

Die Journalistin Kristin Helberg hält einen Waffenstillstand in Syrien für möglich. Eine entscheidende Rolle spiele dabei Russland, sagte sie im DLF. Moskau müsse verstehen, dass eine politische Lösung die einzige Möglichkeit sei, aus Syrien wieder herauszukommen. Doch auch bei einem Waffenstillstand sieht sie mögliche "Hintertüren" für weitere Angriffe.

Kristin Helberg im Gespräch mit Rainer Brandes |
    Die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow (l) und John Kerry auf einer Pressekonferenz in München nach Ende der Sicherheitskonferenz.
    Die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow (l) und John Kerry. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Rainer Brandes: Die Knackpunkte des geplanten Waffenstillstands in Syrien bespreche ich jetzt mit Kristin Helberg. Bis 2008 hat sie als Journalistin in Damaskus gelebt und gearbeitet. Heute lebt sie in Berlin, hat aber immer noch gute Kontakte nach Syrien. Guten Abend, Frau Helberg.
    Kristin Helberg: Hallo, Herr Brandes.
    Brandes: Wir haben es eben gehört. Sowohl Regime als auch Rebellen behalten sich vor, sofort mit Gewalt zu reagieren, sollte die jeweils andere Seite die Feuerpause nicht einhalten. Glauben Sie an ein Schweigen der Waffen ab Samstag?
    Helberg: Nun, es gibt allen Anlass, skeptisch zu sein, zumal die jetzige Vereinbarung zwischen Russland und den USA nicht wirklich Neues enthält. Sie ist im Grunde noch mal das Gleiche, was in München vor zehn Tagen vereinbart wurde. Es gibt einen entscheidenden Unterschied, und zwar denke ich, dass sich alle Parteien international wie regional schon klar gemacht haben, dass jetzt eine Feuerpause die einzige Chance ist, noch den politischen Verhandlungsprozess für Syrien zu retten. Und es gab intensive diplomatische Gespräche vor allem zwischen Amerikanern und Russland. Ich denke, die Amerikaner haben auch Russland klar gemacht, wenn sie an einer politischen Lösung Interesse haben, dass sie dann auch bereit sein müssen, die Gewalt zurückzufahren, die Bombardierung vor allem von zivilen Zielen, wie sie ja gerade in der vergangenen Woche noch mal stattgefunden hat, bei Krankenhäusern und Schulen einzustellen und zu stoppen, denn sonst wird man niemand an einen Verhandlungstisch bringen können, und darauf setzen ja doch zumindest die internationalen Akteure zum jetzigen Zeitpunkt.
    "Es ist alles sehr fragil"
    Brandes: Jetzt ist ja auch die Türkei Teil des Konflikts. Sie bekämpft Kurden, die der Westen als Verbündete gegen Assad sieht. Wird sich die Türkei an diese Waffenruhe halten?
    Helberg: Die türkische Führung hat heute schon gesagt, dass sie sich ebenfalls vorbehält, bei Angriffen auf ihr Gebiet zurückzuschießen. Das bedeutet, dass weiterhin die Volksverteidigungseinheiten der PKK-Alliierten PYD bombardiert werden würde oder angegriffen würde. Das sind ja die Einzigen, gegen die die Türkei tatsächlich vorgeht in Syrien, weil sie eine ganz eigene Agenda dort verfolgt, nämlich ein kurdisches Autonomiegebiet im Norden Syriens zu verhindern, auch wenn sie sagt, dass sie eigentlich den IS bekämpfen möchte. Genauso wie Russland sagt, dass es den IS bekämpfen möchte, aber beide Länder verfolgen bei aller Feindschaft untereinander im Grunde eigene Ziele. Die Türkei hat es auf die Kurden abgesehen, die syrischen, zumindest diese PKK-Schwesterpartei der PYD, und die Russen bombardieren zum jetzigen Zeitpunkt ja vor allem andere Rebellengruppen mit vielen zivilen Toten nebenbei. Das heißt, es ist alles sehr fragil und wir müssen vor allem abwarten, ob die internationalen Akteure, die Amerikaner und Russen einerseits, aber auch das Assad-Regime im Land überhaupt in der Lage sind, entsprechend Einfluss zu nehmen, im Falle Assads zum Beispiel auf seine diversen ausländischen schiitischen Verbündeten. Die Hisbollah-Miliz aus dem Libanon, schiitische Milizionäre aus dem Iran, auch aus Afghanistan, die führen ein sehr eigenständiges Leben zum jetzigen Zeitpunkt in Syrien. Das heißt, auch daran wird sich messen lassen, ob Assad da noch die Macht hat und den Willen hat und ob Russland wiederum den Willen hat, auch auf Assad Einfluss zu nehmen. Und umgekehrt gilt das Gleiche: Haben die Amerikaner den Einfluss und die Macht auf die verbündeten Rebellengruppen? Ist die Opposition bereit und in der Lage, auch die islamistischen Gruppen, die Teil des Verhandlungskomitees sind für Genf, Ahrar al-Scham und Dscheisch al-Islam, diese beiden großen islamistischen Rebellengruppen, auch hinter diesen Waffenstillstand zu bringen, damit die sich daran halten. All das wird sich zeigen an diesem Wochenende.
    Ausnahmen von der Waffenruhe als "große Hintertür"
    Brandes: Dann gibt es ja auch noch die offiziellen Ausnahmen zur Waffenruhe. Der sogenannte Islamische Staat soll weiter bekämpft werden, die Al-Nusra-Front auch. Ist denn immer so klar, welche Kampfgruppe jetzt gerade zu welcher Organisation gehört?
    Helberg: Im Falle des sogenannten Islamischen Staates ist es relativ gut zu verorten, wo er sich aufhält, nämlich vor allem im Osten des Landes, auch im Osten der Provinz Aleppo. Aber die Fronten sind relativ eindeutig. Im Falle der Nusra-Front, des El-Kaida-Ablegers in Syrien, ist es sehr viel komplizierter, da die Nusra zum Teil mit anderen Rebellengruppen zusammenarbeitet. Diese haben die Unterstützung gebraucht der Nusra-Front in den vergangenen Jahren gebraucht, weil sie schlecht ausgestattet waren. Das heißt, wir haben gerade in den Provinzen Aleppo und Idlib zum Beispiel Koalitionen, oder wir haben an einem Ort die Nusra-Front, dann haben wir in einem Nachbarort eine andere Rebellengruppe, und das ist die große Hintertür, die weit offen steht für Russland und auch für das Assad-Regime, diese Gebiete weiterhin flächendeckend zu bombardieren, unter dem Vorwand, dass man ja eigentlich nur die Nusra-Front treffen möchte. Das ist nach wie vor das große Problem und insofern bleibt es abzuwarten, und insofern ist es umso wichtiger, dass die Regierung in Damaskus jetzt angekündigt hat, dass sie sehr wohl bereit ist, legitime Ziele mit Russland abzusprechen. Und wenn dann wiederum die russische Führung sich mit den Amerikanern abspricht, wo man denn jetzt noch bombardieren darf und wo nicht, ist das ein kleiner Hoffnungsschimmer dafür, dass vielleicht die entscheidenden Rebellengruppen, die Teil der Lösung sein sollen, dieses Mal verschont bleiben und vor allem die Zivilisten verschont bleiben.
    Brandes: Selbst wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass es zur Waffenruhe kommt, was denn dann? Assad hat heute Parlamentswahlen für April angekündigt. Ist das überhaupt realistisch?
    Helberg: Baschar al-Assad lebt in einer Parallelwelt und in dieser Realität rettet er Syrien vor dem Terror, und deswegen ist es aus seiner Sicht logisch, dass man alle vier Jahre Parlamentswahlen abhält, und die sind nun einmal gerade turnusmäßig dran. Dass es zum gleichen Zeitpunkt einfach ein großes Gebiet gibt in seinem Land, das in Trümmern liegt, dass Millionen Menschen geflohen sind und vertrieben sind, die jeden Tag bombardiert werden von seiner Luftwaffe, das sieht er anders oder sieht er so nicht. Aus Sicht dieser Menschen ist es blanker Zynismus, zum jetzigen Zeitpunkt von Wahlen zu reden. Ich persönlich habe Parlamentswahlen in Syrien erlebt zu Friedenszeiten, und schon damals ist es natürlich nicht möglich gewesen, bei einer Wahl, die von einem autoritären Ein-Parteien-Regime von vorne bis hinten kontrolliert wird, von der Auswahl der Kandidaten bis hin zur Auszählung der Stimmen, von einer demokratischen Wahl zu sprechen. Insofern ist es ein Zeichen dafür, was Baschar al-Assad sich wünscht, welche Visionen und Illusionen er aufrecht erhalten möchte, dass er nämlich in seinen Teilen des Landes einfach eine politische Ordnung aufrecht erhält, die scheinbar funktioniert. Aber es hat nichts wirklich mit einer zukunftsweisenden Wahl zu tun.
    "Die Amerikaner haben ihre Lehren gezogen aus dem Irak"
    Brandes: Aber wird es möglich sein, ein Syrien ohne Assad und auch ohne jetzige Teilhaber seines Regimes aufbauen zu können?
    Helberg: Das wird sich in dem politischen Prozess zeigen, der ja überhaupt erst möglich werden soll durch diese Feuerpause. Ich denke, das Entscheidende zum jetzigen Zeitpunkt ist, dass Russland verstanden hat womöglich, dass für Russland selbst eine politische Lösung in Syrien auch die einzige Exit-Strategie aus diesem Land ist, um rauszukommen wieder aus Syrien. Denn Russland hat so viel investiert, militärisch und finanziell, dass es eigentlich in der Lage wäre, Assad zum Sieg zu führen. Aber dann müsste es dieses Regime an der Macht halten, und das ist nur möglich mit einem massiven Einsatz von Militär und finanziellen Mitteln. Und wir haben ja dann eine Allianz aus einem inzwischen alawitisch dominierten, mafiaähnlich organisierten Assad-Regime mit schiitischer Unterstützung aus dem Iran, von der Hisbollah im Libanon und einer christlich-orthodoxen russischen Führung, wie sie wahrgenommen würde. Diese Allianz soll Syrien regieren? Das wird nicht funktionieren, weil nämlich die Bevölkerungsmehrheit, die sunnitisch ist, diese Machthaber oder diese Allianz niemals akzeptieren würde. Das bedeutet, Russland muss sich einstellen auf jahrelangen Widerstand, auf jahrelangen Krieg, und genau das haben die Amerikaner, glaube ich, hinter den Kulissen gerade den Russen versucht beizubringen. Die Amerikaner haben ihre Lehre gezogen aus der katastrophalen Intervention im Irak, wo sie als Besatzer wahrgenommen wurden, und dieses Szenario droht den Russen in Syrien. Deswegen ist jetzt die einzige Chance, glaube ich, für einen Waffenstillstand, für eine Feuerpause, für eine politische Lösung die Erkenntnis in Moskau, dass es selbst eine politische Lösung braucht, um aus Syrien auch wieder herauszukommen, und sich nicht zu verstricken in einen jahrelangen schmerzhaften und sehr teuren Krieg.
    Brandes: Sagt die Journalistin und Kennerin Syriens, Kristin Helberg. Wir haben das Gespräch am früheren Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.