Jürgen Zurheide: Das war der Bericht von Martha Wilczynski. Über dieses Thema wollen wir weiter reden und fragen, was steckt dahinter, was heißt das für Syrien. Und dazu begrüße ich am Telefon Stephan Rosiny vom GIGA-Institut Hamburg. Erst mal guten Morgen, Herr Rosiny!
Stephan Rosiny: Guten Morgen!
Zurheide: Was heißt das jetzt, was da in Moskau gerade verabredet worden ist oder nicht verabredet worden ist? Wenn wir der Kollegin folgen, ist das ja einigermaßen wachsweich, was wir da hören. Wie bewerten Sie das?
Rosiny: Seit Februar gibt es ja eine Waffenruhe – es ist noch kein wirklicher Waffenstillstand – auf dem Papier. Und diese Waffenruhe ist letztendlich immer wieder dadurch gefährdet, dass die Grenze zwischen den als Terroristen bezeichneten Dschihadisten und den Nicht-Dschihadisten, die aber größtenteils auch Salafisten und Dschihadisten sind, sehr weich war. Das heißt, man hatte sich damals schon darauf geeinigt, dass der Islamische Staat und die Nusra-Front als Terrororganisation bekämpft werden dürfen. Daraufhin haben sich allerdings viele Rebellen anderer Gruppen der Nusra-Front angeschlossen, um quasi von dieser Waffenruhe nicht betroffen zu sein. Und das hat die Grenze zwischen legitimen und nichtlegitimen Grenzen aufgeweicht und hat dazu geführt, dass diese Waffenruhe letztendlich in sich zusammengebrochen ist. Man versucht jetzt mit diesem neuen Abkommen diese Grenzen noch einmal zu ziehen. Und das ist sicherlich ein notwendiger Versuch, erneut das zu machen, und es ist auch gut, dass die USA und Russland diese Entscheidung jetzt von oben treffen, weil die ganzen Mittelmächte, die auch in Syrien beteiligt sind, Türkei, Saudi-Arabien, Iran, sich in der Grenzziehung, wer Terrorist ist und wer nicht, sehr uneinig sind.
Zurheide: Auf der anderen Seite leidet der gesamte Konflikt oder die Bewältigung dieses Konflikts nicht daran, dass zwischen dem Westen und Russland die Grundvoraussetzungen nicht stimmen. Der Westen sagt, Assad muss weg, und dann bekämpfen wir den IS, in welcher Reihenfolge, weiß man nicht so ganz genau. Und bei Russland ist es eben genau umgekehrt. Sehen Sie da eine Annäherung, oder ist das nicht sozusagen der Grundkonflikt, dass möglicherweise die klaren Grenzen da nicht gezogen werden können?
Rosiny: Verhindern, dass es zu Staatskollaps kommt
Rosiny: Letztendlich ist dieser Gegensatz das Dilemma gewesen, warum der Syrienkrieg fünf Jahre lang so ständig weiter eskalierte, weil man nämlich dieses eine Prinzip, in dem man uneins war, die ganze Zeit vor sich hergetragen hat. Und diese Forderung vor allen Dingen, dass eben erst Assad weg muss, bevor es Verhandlungen geben kann, die wurde vor allen Dingen auch von der Opposition aufrechterhalten, weil das letztendlich auch fast der einzige Punkt ist, in dem sich die syrische Opposition einig ist. Das heißt, ich denke, das war ein wichtiger Schritt auch. Das begann Anfang des Jahres, dass man jetzt mal weg kommt von dieser Frage, in der man sich uneinig ist. Und versucht, stattdessen die Fragen zu behandeln, in denen man sich einig ist. Und das war der erste Schritt Ende letzten Jahres bereits in der UNO-Resolution und dann auch in den folgenden Gesprächen, dass man versucht hat, jetzt die einigenden Punkte in den Vordergrund zu stellen. Dazu gehört der gemeinsame Kampf gegen den Islamischen Staat, auch jetzt die Nusra-Front. Dazu gehört, dass man so viel wie möglich vom syrischen Staat bewahren möchte, weil man möchte verhindern, dass es zu einem Staatskollaps kommt wie im Irak und in Afghanistan und sich dann dadurch neue Freiräume letztendlich für Dschihadisten bilden.
Zurheide: Ist es nicht so, dass die westliche Haltung am Ende in diesen Punkten deutlich problematischer gewesen ist als in dem Fall auch klar die russische Haltung?
Rosiny: Das kann man durchaus so sagen. Letztendlich war Russland von Anfang an pragmatischer, würde ich sagen, in gewisser Weise auch realistischer, weil sie diese extreme Fragmentierung der syrischen Gesellschaft besser verstanden haben, auch die konfessionell-ethnische. Weil sich der Konflikt dort eben nicht nur zwischen Regime und Opposition abspielte, sondern gleichzeitig auch zwischen verschiedenen Gemeinschaften. Und für einige dieser Gemeinschaften ist Baschar al-Assad nach wie vor die Garantie, nicht nur die Garantie, an der Macht zu bleiben, sondern möglicherweise auch die Garantie zum Überleben. Und das hat meines Erachtens Russland besser erkannt. Und auf der anderen Seite setzt Russland aber auch dem Assad-Regime gewisse Grenzen, weil das Assad-Regime in letzter Zeit durch die russische Unterstützung auch teilweise klar gesagt hat, dass sie jetzt das ganze Land wieder zurückerobern wollen. Und dem hat Russland auch klar widersprochen. Russland scheint Interesse daran zu haben, mit dem Westen ein Abkommen abzuschließen, um eine zukünftige Lösung für Syrien (Anm. der Red; wurde geändert) zu finden, eine verhandelte Lösung. Weil es Russland klar ist, dass eine militärische Sieglösung keine Lösung ist. Und da ist der Westen letztendlich zu gespalten gewesen, hatte keine solche klare Position. Weil ein Sturz Assads allein wäre keine Lösung für Syrien. Sie haben eine sehr fragmentierte Opposition mit teils sehr radikalen Gruppen. Das heißt, der Bürgerkrieg würde weitergehen, der Krieg um die Macht in diesem Land.
Zurheide: Auf der anderen Seite wird es dann wahrscheinlich auch darum gehen, wenn es denn überhaupt so weit kommt in Richtung einer Lösung, dass der Westen den russischen Einfluss wird akzeptieren müssen in Syrien, mit Stützpunkten und so weiter. Wie sehen Sie das?
Rosiny: Ich bin in gewisser Weise optimistisch
Rosiny: Ja, letztendlich wird es zu solch einer interessenpolitischen Lösung kommen müssen. Und das ist auch ein wichtiger Schritt meines Erachtens zu einer Konfliktlösung, dass alle Seiten anerkennen die Interessen der Gegenseite. Bisher hat man das nicht getan, bisher hat man nur gesagt, das syrische Volk, wer immer das auch ist, hat das Recht, selbst frei zu entscheiden, was es will. Aber es gibt eben das syrische Volk nicht. Und deshalb kann man sich auch nicht darauf zurückziehen, sondern man muss letztendlich realistische Verhandlungen mit Iran, mit Russland, mit Saudi-Arabien, mit der Türkei führen, um da zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
Zurheide: Sehen Sie denn angesichts der Länder, die Sie da gerade nennen, und der Schwierigkeiten, die in den jeweiligen Ländern herrschen, sehen Sie denn im Moment eine Macht, die das könnte? Oder sind die Gespräche, die Kerry jetzt gerade in Moskau geführt hat, vielleicht der erste Schritt in so eine Richtung. Oder gibt es da irgendwo – ich bemühe mich jetzt oder wage, ob ich das so aussprechen darf – Licht am Ende des Tunnels?
Rosiny: Ich bin schon in gewisser Weise optimistisch, aus zwei Gründen. Einerseits haben die USA und Russland ja bereits vorher schon mal so eine Übereinkunft getroffen, das war damals bei dem Einsatz von Chemiewaffen, wo man sich geeinigt hat, okay, das Regime wird jetzt nicht angegriffen militärisch. Und dafür liefert es aber sämtliche Chemiewaffen ab. Diese Einigung, die damals erzielt wurde, wäre im Grunde genommen eine gute Brücke gewesen, um weiter zu verhandeln, um weiterzukommen. Aber damals ist letztendlich die Ukrainekrise dazwischengekommen und hat das Verhältnis zwischen den USA und Russland so grundlegend verschärft. Wenn jetzt wieder daran angeknüpft werden kann, wie gesagt, ist das eher ein Zeichen des Optimismus. Und ich sehe auch einen gewissen Optimismus darin, dass zunehmend viele Regionalmächte auch merken, dass sie mit dieser starren Haltung gegen Assad nicht weiterkommen. Es gab in den letzten Tagen sogar Anzeichen aus der Türkei, die darauf hindeuteten, dass man Assad möglicherweise für eine gewisse Übergangszeit tolerieren könnte.
Zurheide: Stephan Rosiny war das vom GIGA-Institut um 6:58 Uhr. Herzlichen Dank für das Gespräch heute Morgen. Danke schön, auf Wiederhören!
Rosiny: Bitte schön, Wiederhören!
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