Martin Zagatta: Die Truppen des syrischen Präsidenten Assad beziehungsweise ihre Verbündeten sind dabei, die umkämpfte Stadt Aleppo zurückzuerobern. Doch das führt jetzt offenbar zu heftigen Gefechten.
Mitgehört hat Christian Hanelt, der Syrien-Experte der Bertelsmann-Stiftung. Guten Tag, Herr Hanelt.
Christian Hanelt: Guten Tag, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Hanelt, wie bekommt man im Moment überhaupt noch verlässliche Informationen über das, was da in Aleppo abgeht?
Hanelt: Was in Aleppo abgeht, erfahren wir ja einerseits aus den Propagandaquellen des Regimes und auf der anderen Seite aus den Propagandaquellen von Rebellen, die einfach mit dem Handy noch filmen und das ins Netz stellen. Im Krieg ist halt die Wahrheit das erste, was auf der Strecke bleibt. Eine wichtige Informationsquelle für mich ist eigentlich vor kurzer Zeit eine kleine Konferenz von Ärzte ohne Grenzen in Berlin gewesen und da ist mir in Erinnerung geblieben, dass sie gesagt haben, sie können seit vier Wochen eigentlich keine Hilfe mehr in Ostaleppo leisten und gezielt werden Pfleger und Ärzte getötet und verfolgt und die Krankenstationen, soweit überhaupt noch möglich, wurden in Keller verlegt und die würden durch diese gebäudebrechenden Granaten getroffen werden.
Man kann sich da, glaube ich, eher auf das von Ärzte ohne Grenzen und den internationalen Organisationen, wenn überhaupt noch verlassen, und auf Journalisten, die, wenn überhaupt noch, da reinkommen.
Zagatta: Die UNO befürchtet ja, dass es Ostaleppo, wenn so weiterbombardiert wird, bis Weihnachten gar nicht mehr geben könnte, weil es dann völlig zerstört ist. Aus Ihrer Einschätzung, sind denn die Rebellen, die da im Moment offenbar noch weiterkämpfen gegen diese Übermacht, überhaupt noch in der Lage, ernsthaft Widerstand zu leisten?
Hanelt: Wir beobachten auf jeden Fall einen Paradigmenwechsel im syrischen Bürgerkrieg. Die Wahrscheinlichkeit ist einfach sehr, sehr hoch, dass das Regime mit der Hilfe von Russland und Iran die gesamte Stadt erobert. Damit ist die Hälfte der Stadt zerstört und damit wird sie den größten Teil der geschlossenen Gebiete - diese Städte liegen ja von Norden nach Westen, Aleppo, Hama, Homs, Damaskus - beherrschen und davon ausgehen, dass sie bis auf wenige Landesteile den Großteil des Landes wieder beherrschen.
Und es wird dann so eine Art Kriegszonen geben, noch um Idlib, wo unterschiedliche Rebellengruppen, aber sehr starke dschihadistische Gruppen noch sind, und die Kampfzonen zum sogenannten Islamischen Staat.
"Vertreibung von Bevölkerung und weitere Flüchtlingssituation"
Zagatta: Was heißt denn das für die Menschen, die jetzt beispielsweise in Ostaleppo bisher noch gelebt haben? Da sollen ja noch über 200.000 Menschen ausgeharrt haben, kaum vorstellbar. Was erwarten Sie da jetzt an weiteren Flüchtlingsbewegungen?
Hanelt: Ja, Herr Zagatta, es sind ja 80 Prozent der syrischen Bevölkerung, die noch da sind, rund zwölf Millionen. Die andere Hälfte sind ja geflüchtet. 80 Prozent sind auf humanitäre Hilfe selbst angewiesen und davon sind ja eine Million nicht nur in den Vierteln in Ostaleppo, sondern auch noch in anderen Dörfern und Stadtteilen eingekreist und werden ausgehungert. Die Vereinten Nationen, die versuchen, vor Ort in Syrien Hilfe zu den Eingeschlossenen zu bringen, können das ja nur in Einwilligung mit dem Assad-Regime tun, das aber nur hier und da Hilfslieferungen zulässt, weil sie das aus politischen Gründen nutzen, um über diese Aushungerungsstrategie den Widerstand zu brechen.
Leider ist zu beobachten, dass der syrische Bürgerkrieg eine gezielte Vertreibung der Zivilbevölkerung als ein Grundmittel der Kriegsführung ist. Nicht nur das Regime vertreibt insbesondere die Mehrheit sunnitischer Bevölkerung, sondern auch kurdische Milizen vertreiben aus ihren Gebieten, die sie beanspruchen sunnitische und andere arabische Bevölkerungsgruppen, und der islamische Staat, der ja auch alle nicht sunnitisch-muslimischen Minderheiten vertreibt. Das heißt, die Kriegsparteien setzen extrem und insbesondere das Regime auf die Vertreibung von Bevölkerung und damit auf eine weitere Flüchtlingssituation.
Zagatta: Herr Hanelt, wohin können denn die Menschen jetzt überhaupt noch fliehen? Gibt es da noch irgendwelche sicheren Regionen beziehungsweise ins Ausland zu kommen ist ja auch schwierig? Die türkische Grenze ist ja weithin abgeriegelt.
Hanelt: Ja. Alle Grenzen zu der Türkei, zum Libanon und zu Jordanien sind dicht. Ich habe vor kurzem die Flüchtlingssituation mir angeguckt im Norden von Jordanien, im Osten von Libanon, im Süden von der Türkei. Die größte Tragik findet innerhalb Syriens statt, nicht nur in den belagerten Städten und Dörfern, sondern auch in diesen provisorischen Zeltstädten.
Viele zehntausend Syrer sind kurz vor den Grenzen zur Türkei, Libanon und Jordanien geflüchtet, können dort nur ganz schlecht von internationalen Organisationen versorgt werden. Viele Flüchtlinge auch jetzt aus Ostaleppo fliehen dann aber auch in die Rebellengebiete um Idlib, der ländliche Bereich im weiteren Nordwesten des Landes, oder auch in das Herrschaftsgebiet des Regimes.
Zagatta: Das Regime beherrscht ja jetzt mittlerweile, so hören wir, wenn Aleppo jetzt fällt, fast oder nahezu alle wichtigen Städte. Was heißt denn das für die Zukunft? Erwarten Sie jetzt dort einen jahrelangen Guerilla-Krieg, oder wird sich Assad dann letztendlich militärisch doch durchsetzen?
Hanelt: Auf jeden Fall kommt jetzt eine Mentalität in der Regime-Führung, wir gewinnen den Krieg, wir werden uns auf keine politische Verhandlungslösung mit den Rebellen, seien sie nun säkular oder islamistisch oder anders, einlassen. Es gibt keine Mentalität der Win-Win-Solution. Das macht jede weiteren politischen Verhandlungen zur Beilegung des Konfliktes extrem schwierig. Es wird ein großes Gebiet weiter konsolidiert werden. Ich gehe davon aus, dass in den ländlichen Zonen, wo noch Rebellengruppen sind, seien sie nun säkular oder dschihadistisch oder islamistisch, dass da weiter Kampfzonen sein werden. Das kommt aber sehr stark darauf an, ob noch Saudi-Arabien, Türkei, Katar und andere diese Rebellengruppen mit Waffen oder Geld versorgen können. Davon wird das sehr stark abhängen.
"Die meisten westlichen Politiker haben gesagt, dass Diktator Assad für den Übergang installiert bleibt"
Zagatta: Wenn das so kommt, wird es dann für diesen Islamischen Staat, für diese Terrororganisation einfacher oder schwieriger?
Hanelt: Die internationale Gemeinschaft setzt ja gerade die Eroberung von Mossul und Rakka fort. Die militärischen Operationen gegen den Islamischen Staat werden weitergehen. Der Präsident Elect Trump hat ja selbst verkündet, dass seine Nahost-Politik in erster Linie die Bekämpfung des Islamischen Staates im Zentrum hat. Das heißt, an der Flanke wird weitergekämpft werden. Das ist die Priorität der internationalen Gemeinschaft, weil da Washington und Moskau mit im Boot sind, während sie ja, was die Beilegung des syrischen Konfliktes angeht, ganz unterschiedliche Sichtweisen haben, und dadurch wird die politische Lösung, die es ja trotz allem braucht - auch wenn das Assad-Regime weiter militärisch gewinnen wird, heißt das ja noch lange nicht, dass es eine Befriedigung geben wird.
Zagatta: Und ein Rücktritt von Präsident Assad, wie das ursprünglich die Rebellen ja mal angestrebt haben, das steht nicht mehr zur Debatte?
Hanelt: Nein, das sehe ich nicht. Auch in den westlichen Verlautbarungen haben ja die meisten westlichen Politiker gesagt, dass Diktator Assad für den Übergang erst mal installiert bleibt. Er selbst muss ja sehr stark Kompromisse machen mit den ganzen Warlords in seinem eigenen Gebiet. So unumstritten ist er ja in der eigenen alawitischen Community auch nicht. Er wird aber jetzt den sehr wahrscheinlichen Sieg in Ostaleppo auch dazu nutzen, seine Kritiker in der eigenen alawitischen Minderheits-Community mundtot zu machen, um sich in seiner zentralen Rolle zu stärken.
Aber mit Blick auf die syrische Flüchtlingslage, mit Blick auch darauf, dass es uns wichtig ist, den Krieg zu beenden, das Land wieder aufbaufähig zu machen, dass viele syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können, das würde ja aber bedeuten, dass wir ein Syrien bräuchten in naher Zukunft, in dem es ein wirklich inklusives gutes Regieren gibt, in dem alle Bevölkerungsteile das Gefühl haben, dass sie eine Arbeit haben, eine Beschäftigung, eine Mitsprache und Lebensperspektive haben. Diesen Zug, Herr Zagatta, hat das Regime eigentlich 2011 verpasst, als die Bevölkerung mit dem Regime in die Modernisierung gehen wollte.
Zagatta: Danke schön - Christian Hanelt, Syrien-Experte der Bertelsmann-Stiftung.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen./