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Syrien-Krieg
Die Hölle von Aleppo

Aleppo ist die nach Damaskus größte Stadt Syriens – und für ihre Einwohner wird sie zunehmend zur tödlichen Falle. Bundesaußenminister Steinmeier (SPD) warnt, dass dort Hunderttausende Menschen von der Versorgung abgeschnitten sind. Eine besondere Verantwortung komme Russland zu.

    Syrische Männer tragen weinende Kinder zwischen den Trümmern der zerstörten Stadt Aleppo in Syrien.
    Die syrische Stadt Aleppo ist seit vielen Jahren umkämpft und geteilt. (afp / Baraa Al-Halabi)
    "Die humanitäre Lage ist katastrophal", sagte Frank-Walter Steinmeier in Berlin über die belagerte Stadt Aleppo. "Wer wie das syrische Regime mit Flächenbombardements die Krise auslöst und gleichzeitig unabgesicherte Fluchtwege anbietet, treibt ein zynisches Spiel, stellt die Menschen vor eine erbarmungslose Wahl und versperrt letztlich auch jegliche Aussicht auf eine Wiederaufnahme der Genfer Gespräche", kritisierte Steinmeier.
    Wegen seiner Unterstützung der syrischen Armee trage Russland "ein besonderes Maß an Verantwortung in dieser schwierigen Lage". Der Bundesaußenminister forderte die Regierung in Moskau erneut auf, das Assad-Regime zu einer Feuerpause in Aleppo zu bewegen. Internationalen Hilfsorganisationen müsse in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen Zugang zu den eingeschlossenen Menschen gewährt werden. Die Lage um Aleppo mache zudem eine amerikanisch-russische Verständigung umso dringlicher.
    Der UNO-Gesandte Staffan de Mistura forderte Russland auf, die Einrichtung von Fluchtkorridoren für die belagerte syrische Stadt Aleppo der UNO zu überlassen. Wenn es um humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung gehe, seien die Vereinten Nationen aufgrund ihrer Erfahrung am besten für eine solche Aufgabe geeignet, erklärte de Mistura in Genf. Russland hatte zuvor angekündigt, russische und syrische Truppen würden solche Korridore öffnen.
    "Gemartertes Zentrum des Widerstands gegen Assad"
    Es sind Appelle, die schon oft geäußert wurden und genauso oft sind sie ungehört verhallt. Erst Anfang Mai hatten Frankreich und Großbritannien eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates zu Aleppo gefordert. Damals war dort wieder eine Klinik von Raketen getroffen worden. Der Angriff forderte viele Tote und Verletzte und bewegte Frankreichs UNO-Botschafter François Delattre zu deutlichen Worten: Er nannte Aleppo das "gemarterte Zentrum des Widerstands gegen Assad".
    Aleppo ist nicht die einzige belagerte Stadt Syriens, aber es ist die größte. Sie zählt zu den ältesten Städten in der Region und gilt als strategischer Punkt zwischen Euphrat und Mittelmeer. Seit vier Jahren ist die Stadt im Norden des Landes umkämpft und geteilt: in Viertel, die unter Kontrolle der Rebellen stehen, und solche, die sich in den Händen der Regierungstruppen befinden.
    Auch die letzte Versorgungsstraße ist dicht
    Inzwischen steht Syriens Armee jedoch kurz davor, Aleppo vollständig von den Rebellen zu übernehmen. Sollte das gelingen, könnte Präsident Baschar al-Assad einen wichtigen Erfolg verbuchen. Für die verbliebenen Einwohner Aleppos ist unklar, ob es einen Weg gibt, den Kämpfen zu entrinnen. Zwar ist der Großteil von ihnen geflohen. Derzeit sind Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge aber noch 250.000 bis 300.000 Menschen in Aleppo eingeschlossen.
    Nach Angaben der Streitkräfte wurde nun auch die letzte Versorgungsroute in den östlichen Teil der Stadt abgeriegelt, der noch unter Kontrolle der Rebellen sein soll. Russland und das syrische Militär riefen die Eingeschlossenen dazu auf, die Stadt über Fluchtkorridore zu verlassen. Doch die Menschen reagieren zurückhaltend und vermuten eine Falle, melden syrische Aktivisten. Viele fürchten offenbar, beim Verlassen der Stadt von den Regierungstruppen verhaftet zu werden.
    Das Misstrauen gegen das Assad-Regime ist überall
    Doch in der belagerten Stadt zu bleiben, ist auch keine Option. Internationale Hilfsorganisationen melden, dass fünf medizinische Einrichtungen und ein Lager für Lebensmittel bombardiert wurden. Der Treibstoff werde knapp, um Generatoren zu betreiben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London meldet, dass die syrische Führung Rebellenviertel weiter bombardiert. Luftangriffe und Artilleriebeschuss hätten von Rebellen gehaltene Viertel im Norden der Aleppos getroffen. Unabhänig überprüfen lassen sich diese Informationen nicht, da es in Syrien kaum noch Journalisten gibt.
    Die Beobachtungsstelle in London meldet weiter, die Preise für Zucker und Lebensmittel seien so stark gestiegen, dass sie sich viele Menschen nicht mehr leisten könnten. Zudem mangele es vielen Krankenhäusern an Medikamenten. Regierungstruppen hätten zumindest kleinere Mengen Nahrung über den östlichen Stadtteilen Aleppos abgeworfen. Die Nahost-Korrespondentin der britischen Zeitung "The Telegraph" berichtet auf Twitter, dass das Misstrauen der Menschen offenbar so groß ist, dass sie die Lebensmittel in Krankenhäusern auf Gift überprüfen lassen.
    (tj/adi)