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Syrien-Krieg
Jenseits vom IS

Die Berichte aus Syrien konzentrieren sich auf die Terrormiliz "Islamischer Staat" - es bleibt kaum Platz für den Alltag der Menschen im Krieg. 50 Tote werden etwa aus Talbiseh bei Homs gemeldet - durch Luftangriffe des Regimes. Und im Nordwesten starben 30 Kinder, weil ein Masern-Impfstoff verseucht war.

    Alltag im Krieg: Kinder holen in einem Rebellengebiet von Aleppo Wasser im Juli 2014
    Alltag im Krieg: Kinder holen in einem Rebellengebiet von Aleppo Wasser (AFP / Zain al-Rifai)
    Die Nachricht von den getöteten Kindern wird etwa vom britischen Guardian aufbereitet, und die Schilderung der Geschehnisse klingt erschütternd. Demnach wurden in den Rebellengebieten im Nordwesten zahlreiche Kinder in einer Reihe von Städten gegen Masern geimpft - und starben. Die Rede ist von 34 Opfern, aber viele weitere Kinder werden auf Intensivstationen behandelt, die Zahl der Toten dürfte noch steigen.
    Was ist geschehen? Die Gesundheitsverwaltung der Opposition weist jede Schuld von sich. Die Impfstoffe kämen von den Vereinten Nationen, heißt es, und zwar über die türkische Regierung. Mit dieser Lieferung seien 60.000 Schulkinder erfolgreich geimpft worden. Den Verdacht lenken diese Berichte, wenig erstaunlich, auf "das Regime": Die Rede ist von Sabotage, also davon, dass die Impfstoffe bewusst manipuliert wurden. Eltern werfen den lokalen Behörden vor, die Substanzen nicht richtig gelagert zu haben.
    Der Vorfall ist nur einer von vielen, die ihren Weg kaum in die westlichen Medien finden. Zu groß scheint der Druck zu sein, vor allem über den IS zu berichten - und dessen grausames Vorgehen, nicht zuletzt durch die Ermordung der Journalisten James Foley und Steven Sotloff und des Entwicklungshelfers David Haines.
    "Die meisten Verbrechen begeht das Regime"
    Dennoch hat nun auch die UNO darauf hingewiesen: Die größten Verbrechen mit den meisten Opfern sind dem syrischen Regime zuzuschreiben. Das stellte der Vorsitzende der Untersuchungskommission klar, die Berichten über Kriegsverbrechen in Syrien nachgeht. Der Brasilianer Paulo Sergio Pinheiro äußerte sich vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen - die New York Times berichtet darüber ausführlich.
    Und auch das ist Kriegsalltag: Die BBC meldet, dass durch Luftschläge des Regimes - die bei weitem nicht nur dem IS gelten - in der Region Homs wieder 50 Menschen getötet wurden. Hier wird als Quelle die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte genannt - eine Quelle, die sich in drei Jahren eine gewisse Glaubwürdigkeit durch ihre fortdauernde, engmaschige Berichterstattung aufgebaut hat.
    100 Tote am Tag
    Auch die Internetseite "EA Worldview" trägt nach wie vor jeden Tag die Neuigkeiten aus Syrien zusammen. Hinter der Seite steht der Politologe Scott Lucas aus Birmingham, der seit Jahren mit dieser Seite versucht, die Berichte aus Syrien zu differenzieren und den Fokus auf Aspekte zu lenken, die zu kurz kommen.
    Am Dienstag etwa wies er darauf hin, dass zur Zeit in Syrien wieder jeden Tag bis zu 100 Menschen getötet werden. Als Quelle nennt er zum Beispiel die "Local Coordination Committees", das sind Netzwerke von engagierten Bürgern, die in vielen Städten die Ereignisse und Opfer des Krieges zu dokumentieren versuchen.
    Das tut auch das "Violations Documentation Center", dessen Opferzahl übrigens erheblich geringer ausfällt, als die Zahlen, die zur Zeit kursieren. So ist gemeinhin im Augenblick die Rede von knapp 200.000 Toten seit Ausbruch des Krieges. Das Violations Documentations Center spricht dagegen nur von 104.000 Toten. Dafür sind diese Opfer genau erfasst, und zwar auch mit Namen. Dem Zentrum zufolge sind unter den Opfern 75.000 Zivilisten.