Polenz stellte zugleich klar, dass er nicht glaube, dass die weitere Entwicklung in Syrien nun ganz in der Hand des russischen Präsidenten Wladimir Putin liegt. Dafür seien die "Gemengelage und die Konfliktlage viel zu kompliziert", so der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.
In Syrien gehe es etwa auch um den Konflikt zwischen den Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien. Daher müsse neben dem Iran und der Türkei auch Saudi-Arabien an Gesprächen über einen Frieden beteiligt werden. Als weitere Punkte, die zu klären sind, sieht Polenz die Frage, wer für die syrische Opposition am Verhandlungstisch sitzen soll, und die künftige Rolle von Machthaber Baschar al-Assad.
Aus den USA erwartet Polenz, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde ist, "sehr wenig". Der designierte US-Präsident Donald Trump sei unberechenbar - "er sagt heute dies und morgen was anderes". Letzlich spreche alles für eine "konzentrierte internationale Anstrengung".
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Wenn der Anschein nicht völlig trügt, dann kann der Westen im Moment nur zuschauen, wie Russland mit dem Fall Aleppos zur bestimmenden Macht im syrischen Bürgerkrieg geworden ist, wie Präsident Putin im Kreml in Gesprächen mit dem Iran und der Türkei eigene Pläne für die Zukunft Syriens und der Region vorantreibt, die vor allem eines kennzeichnet, den offenkundigen Willen, die USA, Europa und die Vereinten Nationen außen vor zu lassen. Geplant werden Friedensgespräche in Kasachstans Hauptstadt Astana, Grundlage dafür soll eine Waffenruhe in Syrien sein, über die Russland gerade vor allem mit der Türkei verhandelt. Am Telefon ist der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, lange Jahre Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, heute ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Schönen guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen!
Barenberg: Herr Polenz, liegt es jetzt ganz in der Hand von Russlands Präsident Putin, was in den nächsten Monaten und Jahren aus Syrien wird?
Polenz: Nein, das denke ich nicht. Dazu ist auch die Gemengelage und die Konfliktlage viel zu kompliziert. Sie müssen ja mindestens vier Konfliktebenen unterscheiden, die es zu befrieden gilt. Das ist einmal innersyrisch der Konflikt zwischen Assad und den Oppositionsgruppen, zweitens innerhalb Syriens die Oppositionsgruppen untereinander und speziell noch mal die Frage, was sind die Bestrebungen der Kurden. Es gibt zweitens den Konflikt zwischen den Regionalmächten, insbesondere Iran und Saudi-Arabien. Das Ganze wird überlagert durch den Konflikt zwischen den USA und Russland, und schließlich gibt es noch den sogenannten Islamischen Staat, der sowohl in Syrien als auch im Irak immer noch ziemlich viele Territorien hält. Also viel Arbeit.
Barenberg: Viel Arbeit. Aber eines ist ja klar geworden, der Westen spielt im Moment keine Rolle mehr.
Polenz: Es ist so, dass Russland und der Iran durch die Unterstützung des Assad-Regimes militärisch in Aleppo und in anderen Teilen Syriens die Oberhand gewonnen haben. Sie haben damit auch die Hauptverantwortung für eine Lösung.
Barenberg: Und wie wird die aussehen?
Polenz: Es gibt ja die Pläne, die sich im Grunde alle an die alte Genfer Konferenz von 2014 anlehnen, also Bildung einer Übergangsregierung aus dem Regime und Oppositionsgruppen. Dann Erarbeitung einer Verfassung, danach Wahlen. Das klingt auf den ersten Blick plausibel, wahrscheinlich wird es irgendwann auch zu solchen Schritten kommen müssen, aber es sind mindestens zwei Klippen zu überwinden. Die erste Frage ist, wer darf für die Opposition verhandeln. Das ist einmal ein Problem innerhalb der Opposition selbst, sich darauf zu verständigen. Es ist aber auch die Frage, wen lässt Russland, wen lässt der Iran an den Verhandlungstisch zu, wer wird als terroristische Gruppe eingestuft und von den Verhandlungen ausgeschlossen. Und zweitens die Frage Assad. Wenn Assad eine Rolle spielt, und so sieht es bisher aus, dann werden sich die meisten Oppositionsgruppen nicht an diesen Verhandlungstisch setzen.
Barenberg: Sie sprechen ja von dem ursprünglichen Plan der Vereinten Nationen, also wenn es um Übergangsregelungen geht, um spätere Wahlen und Reformen. Ist das jetzt nicht alles vom Tisch, da, wo Russland das Heft des Handelns in der Hand hält?
Polenz: Ich glaube, dass dieser Genfer Plan und das, was die Vereinten Nationen jetzt noch mal in einer Resolution verabschiedet haben, letztlich der einzig erfolgversprechende Weg ist. Allerdings müssen eben dafür politische Voraussetzungen geschaffen werden. Eine wäre wohl, dass Assad keine Rolle mehr spielt. Dazu sind aber Russland und der Iran offensichtlich nicht bereit. Und dann gibt es natürlich noch ein anderes Befriedungsmodell, was vielleicht Putin noch näher liegt, und das kann man sich in Tschetschenien anschauen.
"Es ist alles andere als eine Lösung"
Barenberg: Und was wäre dann sozusagen die Ausprägung für Syrien?
Polenz: Dass Assad wie eine Art Kadyrow mit großer Brutalität über die Gebiete in Syrien herrscht, die er kontrolliert. Ob das noch mal das ganze Land wird, ist eine offene Frage, aber als politischen Frieden würde ich das nicht bezeichnen.
Barenberg: Nein. Aber was spricht dagegen, dass das die wahrscheinlichste Zukunft Syriens und der gesamten Region sein wird?
Polenz: Ich befürchte auch, dass jedenfalls eine ziemliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es erst mal so kommt. Aber das ist natürlich nicht dauerhaft, denn im Unterschied zu Tschetschenien kontrolliert Assad nicht das ganze Land. Es sind eben die ungelösten Konfliktebenen, über die ich gesprochen habe. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Konflikt wieder an einer anderen Stelle neu entzündet. Also, es ist alles andere als eine Lösung. Insofern, glaube ich, führt kein Weg daran vorbei, die Konfliktebenen systematisch anzugehen, und dazu würde eben auch gehören eine Verständigung der Regionalmächte mindestens auf irgendwie einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Barenberg: Aber wenn Sie jetzt an dieser großen Lösung und an der dauerhaften nachhaltigen Lösung festhalten, dann sagen Sie uns doch auch, welche Einflussmöglichkeiten der Westen überhaupt im Moment noch hat.
Polenz: Im Moment haben wir sozusagen eine militärische Lage, die dem Iran und Russland die Möglichkeit gibt, die Dinge jetzt in ihrem Sinne weiter voranzutreiben. Dass die Türkei offensichtlich mit im Boot ist, liegt daran, dass man die Frage, die die Türkei hauptsächlich interessiert, nämlich was wird aus den Kurden, offensichtlich so regeln kann und will, dass die Türkei damit einverstanden ist. Aber ansonsten wird sich die Türkei nur insofern für die Frage interessieren, als von syrischem Territorium weder Flüchtlinge noch sonst eine Gefahr für das türkische Territorium ausgeht.
Barenberg: Also wenn der russische Außenminister, wenn Lawrow sagt, eingeladen für die künftigen Verhandlungen sind der Iran und die Türkei, also die einzigen Länder, so Lawrow, die wirklich etwas ausrichten können, dann liegt er Moment ganz richtig damit.
Polenz: Nein, da liegt er falsch, weil natürlich Saudi-Arabien auch Einfluss hat, und wie man hört, hat auch Katar Einfluss. Also ohne sich auch mit den regionalen Nachbarn zu verständigen, kann man einen Stellvertreterkrieg, und das ist der Krieg in Syrien ja zu einem beträchtlichen Teil auch, dauerhaft nicht lösen. Es ist auch ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran auf syrischem Territorium.
"Die Verantwortung liegt jetzt bei Iran und Russland"
Barenberg: Das Auswärtige Amt warnt jetzt ja vor Alleingängen in der Syrienpolitik, eben mit Blick auf die möglichen Verhandlungen in Astana, und das Auswärtige Amt besteht auch auf einer zentralen Rolle der Vereinten Nationen. Nennen Sie uns irgendeinen Hinweis, dass das mehr als hilfloses Wunschdenken ist.
Polenz: Nein, es ist jedenfalls ein vernünftiger Wunsch. Ob er hilflos ist, das mag sein. Man wird sich, wenn dieser Wunsch nicht in Erfüllung geht, über weitere Jahre von Blutvergießen und weiterer Gefahr in der Region dann nicht zu beschweren haben, das heißt, beschweren kann man sich schon, aber die Verantwortung ist auch klar. Wer militärisch in der Oberhand ist, hat die Verantwortung, den Frieden so zu machen, dass er politisch hält. Die Verantwortung liegt jetzt bei Iran und Russland. Auf dem Weg, der jetzt in Astana versucht wird, wird es sehr schwer, wenn nicht unmöglich. Und deshalb weiß man dann auch, wer für die weitere schlimme Entwicklung verantwortlich ist.
Barenberg: Wird Russland das in irgendeiner Weise stören, dieses Urteil?
Polenz: Ich glaube schon, dass für Russland, dass es da nicht nur den militärischen Sieg jetzt in Aleppo gibt. Sondern das Dilemma in Syrien war ja immer, dass eine religiöse Minderheit über eine breite Mehrheit der Bevölkerung geherrscht hat, Stichwort Aleviten/Sunniten. Und die arabische Welt insgesamt ist sunnitisch. Russland hat sich jetzt in der schiitischen Achse Iran-Assad engagiert, und das ist eine Positionierung, die natürlich im Nahen Osten auch eine Konfliktlinie bedeutet. Also auch Russland müsste eigentlich ein Interesse daran haben, den Konflikt auch zwischen Sunniten und Schiiten zu entschärfen, anstatt ihn zu perpetuieren.
Trump "ist unberechenbar"
Barenberg: Was erwarten Sie eigentlich in diesem Zusammenhang von Donald Trump als nächstem Präsidenten? Er hat ja unter anderem angekündigt, dass er die bisher gemäßigten Rebellen nicht weiter oder jedenfalls weniger unterstützen wird. Was zeichnet sich da ab?
Polenz: Das ist ganz schwer, weil, was man zu Trump sagen muss, ist ja, er ist unberechenbar, er sagt heute dies, morgen was anderes. Ich erwarte von den USA jedenfalls im Augenblick da sehr wenig.
Barenberg: Also jedenfalls nicht mehr, als dass Trump Präsident Putin freie Hand lässt.
Polenz: Danach sieht es im Moment aus. So muss man es vielleicht vorsichtig formulieren. Aber das ist ja gerade das Problem an einer Präsidentschaft von Trump, dass man jedenfalls bisher sagen muss, er ist unberechenbar, wir wissen nicht, was kommt.
Barenberg: Was würden Sie insgesamt sagen, also zeigt diese harte skrupellose Realpolitik, die Russland da vollzogen hat in den letzten Monaten, dass sich eben am Ende Stärke im Moment, auch militärische Stärke durchsetzt?
Polenz: Im Moment sieht es danach aus, aber die Frage ist eben, wie weit setzt sie sich durch und zu welcher Form von auch nur Waffenruhe kann sie letztlich führen. Man muss sicherlich in einem nur militärisch beherrschten Syrien immer damit rechnen, dass es weitere Anschläge gibt, dass es Widerstand gibt. Und über den IS haben wir jetzt gar nicht gesprochen, der ist ja auch noch da. Und wie soll der sozusagen angegangen werden, der sich ja nicht nur auf Syrien erstreckt, sondern auch auf den Irak. Soll also dann als Nächstes im Irak weitergekämpft werden, damit der IS dort keine Rückzugsgebiete hat? Und wer soll da mithelfen? Also es spricht eigentlich alles für eine konzentrierte internationale Anstrengung, um so einen komplizierten Konflikt wie in Syrien zu lösen. Und dass man jetzt mit reiner Machtpolitik, Russland, Iran, versucht, das Heft vollständig in die Hand zu nehmen, halte ich politisch für sehr kurzsichtig.
Barenberg: Spricht zumindest die gemeinsame Aufgabe eines Kampfes gegen die IS-Terrormiliz dafür, dass es in der einen oder anderen Form doch Absprachen, eine Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA in den nächsten Monaten geben wird.
Polenz: Es wäre zu wünschen, denn der internationale Terrorismus wird nur besiegt werden können, wenn die internationale Gemeinschaft in dieser Frage sich jedenfalls einig ist. Und ob dann daraus, aus dieser Einigkeit, sich weitere Möglichkeiten gemeinsamen Vorgehens ergeben, wird man sehen.
Barenberg: Sagt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch!
Polenz: Ja, bitte schön!
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