Christiane Kaess: Es kann nach jahrelangem Krieg nicht so weitergehen in Syrien, das sagt Außenminister Heiko Maas von der SPD. Und wer würde ihm da nicht zustimmen. Die Frage ist nur: Wie kann an der Situation in dem Bürgerkriegsland etwas verändert werden? Schließlich versuchen die unterschiedlichsten Parteien genau das seit sieben Jahren. Aber nach den westlichen Luftangriffen in Syrien am Wochenende macht man sich offenbar in Berlin und in Paris Hoffnung, das könnte jetzt gelingen. In Luxemburg treffen sich heute die Außenminister der Europäischen Union, und das Thema Syrien steht ganz oben auf der Agenda. Frankreichs Staatspräsident Macron will Russland und die Türkei an den Verhandlungstisch holen, und auch Außenminister Heiko Maas ist ja für eine diplomatische Initiative. Militärisch, das hat die Bundeskanzlerin von Beginn an klar gemacht, wird sich Deutschland in Syrien nicht beteiligen, auch wenn Angela Merkel die Luftschläge gegen das Assad-Regime am Wochenende als erforderlich und angemessen beurteilte.
Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Nils Schmid. Er ist Obmann der SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Guten Tag!
Nils Schmid: Guten Tag!
Kaess: Herr Schmid, für wie sinnvoll halten Sie eine mögliche europäische Initiative?
Schmid: Ich halte sie für dringend sinnvoll. Außenminister Maas hat zu Recht eine solche Initiative angekündigt, denn wir müssen einen politischen Prozess unter dem Dach der UN erreichen, um den furchtbaren Krieg in Syrien zu beenden. Militärschläge ersetzen keine politische Lösung.
EU soll politische Gespräche forcieren
Kaess: Jetzt hat die EU allerdings in diesem Konflikt überhaupt keine Rolle gespielt. Die USA tun es noch punktuell, militärisch. Wäre es nicht ehrlicher für den Westen, sich einzugestehen, dass Russland in Syrien gewonnen hat?
Schmid: Wenn wir diesen Konflikt rein militärisch betrachten, dann ist in der Tat die EU außen vor. Aber wir wissen ganz genau, dass selbst ein militärischer Erfolg der Assad-treuen Kräfte mit Unterstützung Russlands nicht einen nachhaltigen Frieden in Syrien und ein stabiles syrisches Staatsgebilde bringen wird. Das kann nur über politische Gespräche geschehen, und genau das ist die Rolle der EU und auch Deutschlands, dies zu forcieren. Nicht umsonst finanzieren und unterstützen wir die Bemühungen der UN, einerseits Kriegsverbrechen zu dokumentieren und andererseits in Genf zu einer umfassenden politischen Lösung zu kommen.
Kaess: Also die EU, die bisher keine Rolle gespielt hat, mal abgesehen von humanitärer Hilfe, soll jetzt plötzlich eine sehr wichtige Rolle spielen. Wie soll das gehen?
Schmid: Die EU hat enge Kontakte sowohl nach Russland, sie wird im Nahen Osten als ehrlicher Makler angesehen und sie hat die Chance, wenn sie geschlossen auftritt, die Beteiligten an einen Tisch zu bringen.
"Das diplomatische Gewicht der EU müsste ausreichend sein"
Kaess: Wieso sind Sie da so optimistisch, Herr Schmid, da muss ich mal dazwischen fragen, wieso glauben Sie, dass das der EU gelingen würde?
Schmid: Einer einzelnen Macht wird es jedenfalls nie gelingen. Deshalb setzt Deutschland zu Recht auf die EU. Und die Hoffnung mag gering sein, und die Erfahrungen der letzten Jahre mahnen auch zur Nüchternheit. Allerdings glaube ich schon, dass das diplomatische Gewicht der EU ausreichend sein müsste, um eine solche diplomatische Initiative zu starten, denn alle Beteiligten merken, dass mit militärischer Gewalt man an Grenzen stößt. Und das haben auch die Militärschläge der Russen auf der einen Seite, aber auch die jetzigen Luftangriffe der Amerikaner, Briten und Franzosen auf der anderen Seite gezeigt. Wir werden den Konflikt nur lösen können, wenn wir diplomatisch an einen Tisch kommen.
Kaess: Das ist jetzt viel und oft gesagt worden, aber dazu bräuchte man wahrscheinlich erst einmal eine Strategie. Die hat die EU in Bezug auf Syrien nicht. War das ein Fehler?
Schmid: Sie hat sich sehr zurückgenommen. Sie hatte schon eine Strategie. Wir haben immer gesagt, wir wollen einen Waffenstillstand und humanitäre Korridore, und das muss auch der erste Schritt sein, um das Leiden der Zivilbevölkerung zu lindern. Und wir haben immer gesagt, wir müssen alle an einen Tisch holen, wir brauchen eine umfassende politische Lösung. Der Fehler war ja, dass die unmittelbar beteiligten Kriegsparteien - Türkei, Iran, Russland und das Assad-Regime - einen parallelen Prozess aufgesetzt haben, der nicht alle einbezogen hat und er dementsprechend auch zum Scheitern verurteilt war. Deshalb ist es wichtig, dass man zu dem Genfer Format der Friedensgespräche unterm UN-Dach zurückkehrt. Und darauf drängen wir als Deutsche, aber natürlich dann auch als Europäer.
"Alle Akteure gehören an einen Tisch"
Kaess: Das ist jetzt Ihr Appell. Auf der anderen Seite wissen natürlich sowohl Russland als auch Syrien, dass die EU und die USA eben keine besonders große Rolle spielen. Die versuchen jetzt noch, die Türkei ins Boot zu holen, weil Ankara die Rebellen in Idlib unterstützt. Warum sollte denn Russland Interesse an Gesprächen mit der EU haben?
Schmid: Russland ringt um eine Anerkennung seiner Rolle auf der internationalen Bühne. Das mag man schön finden oder weniger schön. Tatsache ist, dass Russland dies aber nur erreichen wird, wenn es sich wieder stärker an die Regeln und die Vorgehensweise innerhalb des UN-Sicherheitsrats hält, wenn es eine konstruktive Rolle spielt und sich nicht allein als Unterstützer von Assad profiliert. Es muss also auch im Interesse von Russland sein, eine konstruktive Rolle einzunehmen.
Kaess: Jetzt sagt der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, es muss einen ganz neuen Ansatz geben, wir müssen auch den syrischen Machthaber Baschar al-Assad einbeziehen. Was sagen Sie dazu?
Schmid: Klar ist, dass alle Akteure erst mal an einen Tisch rund um das Thema Waffenstillstand gehören.
Kaess: Auch Assad?
Schmid: Dann gehört auch die syrische Regierung mit Assad dazu, um einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Wie weit dann eine politische Lösung mit Assad möglich ist, das werden die Gespräche zeigen. Denn wer seine eigene Zivilbevölkerung über Jahre hinweg massakriert, der wird bei freien Wahlen sicher keine Unterstützung dieser Bevölkerung erreichen können.
"Eine Vermittlung durch die EU ist jetzt angezeigt"
Kaess: Und dennoch glauben Sie, dass es ausgerechnet der EU gelingen wird, bei allen Bemühungen, die es schon gab mit den Gesprächen in Genf und den Gesprächen in Astana, dass ausgerechnet der EU jetzt gelingen wird, all diese Konfliktparteien an einen Tisch zu bekommen.
Schmid: Jedenfalls sollte die EU diese Initiative ergreifen. Der Astana-Prozess war zu eng, der war zu einseitig. Und deshalb ist gerade eine Europäische Union, die ja ein erhebliches politisches, wirtschaftliches und diplomatisches Gewicht auf die Beine bringt, jetzt der richtige Akteur in dieser Phase des Konflikts und muss alles dafür tun, eine politische Lösung voranzutreiben.
Kaess: Und welche Rolle kann und sollte dabei Deutschland spielen? Gregor Gysi zum Beispiel hat die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel als neutrale Vermittlerin im Syrien-Krieg vorgeschlagen. Hat er da einen Punkt?
Schmid: Nein, neutraler Vermittler gefällt mir jetzt nicht so gut, denn wir sind ja klar in der EU und im Westen verankert und wir müssen auch die russische Rolle vor Ort kritisieren, die Unterstützung des Assad-Regimes durch die Russen. Aber klar ist, dass eine Vermittlung durch die EU jetzt angezeigt ist und dass wir die Möglichkeit haben, auch schwierige Partner wie Russland und die Türkei und auch die notwendigen Kontakte zu Iran aufzubringen. Das hat die EU gezeigt, als sie den Nukleardeal mit dem Iran hinbekommen hat.
"Das Entscheidende ist, dass Deutschland nicht allein unterwegs ist"
Kaess: Aber jetzt mal weg von der EU, nach Deutschland.
Schmid: Ja, da will ich drauf zurückkommen. Die EU hat mit dem Nuklearabkommen im Iran gezeigt, dass sie schwierige diplomatische Prozesse steuern kann, und es war eben die Einigkeit wichtiger EU-Mitgliedsstaaten, an der Spitze Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die das ermöglicht hat. Und deshalb kann Deutschland nur im EU-Kontext eine solche Initiative ergreifen, dann aber auch mit Aussicht auf Erfolg. Wie gesagt, das schwierige Nuklear-Dossier im Iran haben wir gemeinsam mit den EU-Partnern zu einer politischen Lösung gebracht.
Kaess: Herr Schmid, ich möchte Ihnen gern mal vorspielen, was Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute Morgen im Deutschlandfunk genau zu diesem Punkt gesagt hat.
Volker Perthes: Ich glaube, Frankreich ist zurzeit etwas besser positioniert hier, weil die derzeitige Führung in Moskau nimmt Stärke-Demonstrationen sehr ernst. Das hat Frankreich gerade getan, und gleichzeitig war Frankreich bei dieser Stärkedemonstration sehr explizit, hat sehr deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, den Konflikt zu eskalieren, dass es nicht darum geht, sich in den Bürgerkrieg beziehungsweise dessen Ergebnisse einzumischen oder dessen Ergebnisse ändern zu wollen, und dass man keine Konfrontation weder mit Russland noch mit Iran will.
Kaess: Das sagt Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Rolle Frankreichs im Vergleich zu Deutschland. Kann denn Deutschland, das von vornherein abgelehnt hat, sich militärisch in Syrien zu engagieren, überhaupt etwas bewirken? Wird Deutschland da überhaupt ernst genommen?
Schmid: Ja, natürlich, Deutschland wird ernst genommen, es ist ein wichtiger Ansprechpartner in den internationalen Beziehungen und das Entscheidende ist eben, dass Deutschland nicht allein unterwegs ist, sondern eng an der Seite Frankreichs, die andere Akzente setzen können wie zum Beispiel die Militärschläge eben an der Seite Großbritanniens. Das macht den Erfolg einer gemeinsamen EU-Außenpolitik aus. Im Iran hat die Mischung geklappt und jetzt müssen wir alles dransetzen, dass die gleiche Abstimmung innerhalb der EU und innerhalb der wichtigen Staaten innerhalb der EU, dass die auch in diesem sehr schwierigen Syrien-Konflikt klappt.
"Es gibt Verständnis, dass wir uns da zurückhalten"
Kaess: Sagen Sie uns noch kurz zum Schluss, wie lange kann sich Deutschland noch leisten, gegenüber Verbündeten wie Frankreich und Großbritannien bei Militärschlägen immer nein zu sagen?
Schmid: Wir sagen ja nicht immer nein. Wir haben unsere französischen Freunde bei einem sehr schwierigen Einsatz in Mali unterstützt, auch militärisch. Aber ich glaube, gerade unsere europäische Nachbarn haben großes Verständnis, dass deutsche Militäroperationen im Nahen Osten für uns nicht in Frage kommen.
Kaess: Aus welchem Grund? Wegen dem Völkerrecht?
Schmid: Aufgrund auch der historischen Verantwortung, die wir gegenüber Israel haben, und aufgrund der schwierigen Lage, die wir bei deutschen Militäreinsätzen bei Nahen Osten zu gewärtigen haben. Ich glaube, da gibt es Verständnis, dass wir uns da zurückhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.