Christoph Heinemann: Die Israelis wissen es vermutlich nicht erst seit heute: Verteidigungsminister Mosche Jaalon berichtete, russische Soldaten seien in den vergangenen Tagen in Syrien eingetroffen und unterstützten die Truppen von Baschar al-Assad. Der Mann ist formal immer noch Präsident, allerdings einer, der erbittert gegen einen Teil seines Volkes Krieg führt. Die US-Regierung reagiert tief beunruhigt. So äußerte sich jedenfalls ein Sprecher des Weißen Hauses. Die russische Regierung spricht von einer militärisch-technischen Kooperation mit Syrien. Ich habe vor dieser Sendung Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik gefragt, welches Interesse Russland in Syrien verfolgt.
Markus Kaim: Wir können gepflegt über drei verschiedene Motive spekulieren oder begründet spekulieren. Zum einen geht es sicher darum, das syrische Regime militärisch zu unterstützen, wie die russische Regierung das auch in der Vergangenheit getan hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass Präsident Assad und seine Truppen in den letzten Monaten in die militärische Defensive geraten sind. Sie haben in den letzten Tagen in der Provinz Idlib den letzten Flughafen verloren, verlieren dadurch an militärischer Handlungsfähigkeit, und ich glaube, eine Fassette der russischen Politik zielt darauf, den Präsidenten militärisch zu unterstützen.
Das Zweite ist: Russland hat ja zugleich angekündigt, in den Kampf gegen den IS einzutreten. Es geht also darum, die regionale Stellung Russlands zu stärken und sich in dieser Koalition unabdingbar zu machen. Und drittens kann man sicher darüber spekulieren, dass, indem Russland sich für die internationale Gemeinschaft in der Frage der Zukunft Syriens und des Irak unabdingbar macht, man vielleicht auch hofft, einige Konzessionen zu bekommen in der Frage der Sanktionen, die ja aufgrund der Ukraine-Krise errichtet worden sind.
"Die russische militärische Präsenz ist in der Vergangenheit eher marginal gewesen"
Heinemann: Das heißt, der russische Stützpunkt in Syrien spielt eine gar nicht so wichtige Rolle?
Kaim: Im Moment, glaube ich, geht es eher um nachgeordnete Fragen. Der syrische Marinestützpunkt in Tartus ist, glaube ich, operativ eher zu vernachlässigen und die russische militärische Präsenz ist in der Vergangenheit eher marginal gewesen. Russland hat keinen Hehl daraus gemacht, dass es mit militärischen Ausbildern vor Ort ist, und hat auch in den letzten Tagen noch einmal unterstrichen, dass die Waffenlieferungen, die in den letzten Wochen erfolgt sind, eigentlich Teil von längst abgeschlossenen Verträgen sind. Ich sehe im Moment zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Ausbau einer militärischen Präsenz Russlands, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt ja auch gar keinen Sinn machen würde.
Heinemann: Könnte eine umfangreiche russische Militärhilfe oder gar der Einsatz russischer Bodentruppen die Lage verändern?
Kaim: Ich glaube, es geht im Moment nicht darum, die Lage vor Ort zu verändern, weil Russland hat kein Interesse daran, die syrische Opposition zu verprellen, mit der man ja gerade im August in Moskau Gespräche geführt hat. Russland hat 40 syrische Oppositionelle identifiziert und versucht gerade, mit deren Hilfe und mit Unterstützung der Vereinten Nationen einen Gesprächsfaden mit dem syrischen Regime zu spinnen, der zu einer Einhegung des Bürgerkrieges führen könnte, zu einer Art Übergangsregierung. Dementsprechend hat, glaube ich, die russische Regierung, folgt man dieser Prämisse, gar kein Interesse jetzt an einer weiteren Befeuerung des Bürgerkrieges, sondern es geht, glaube ich, eher darum, Russlands Stellung im Nahen und Mittleren Osten zu stärken, um zu unterstreichen, dass bei der Einhegung des Bürgerkrieges kein Weg an Russland vorbeiführt, und das führt eine Linie fort, die ja im Kontext des Iran-Abkommens mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates und Deutschlands bereits deutlich geworden ist, dass der Versuch der russischen Politik, aber auch einiger anderer westlicher Hauptstädte, trotz der Spannungen in der Ukraine-Krise, trotz des Dissenses bezüglich der Ukraine in anderen internationalen Fragen sehr konstruktiv miteinander umzugehen. Das hat im Falle des Iran funktioniert und jetzt haben beide Seiten die Hoffnung artikuliert oder die Erwartung, dass das auch im Falle Syriens funktionieren könnte.
"Die russische Politik ist ein bisschen schillernd"
Heinemann: Stichwort gemeinsame Interessen. Auch im Westen denken ja einige inzwischen laut über eine begrenzte Zusammenarbeit zumindest mit Assad nach. Wäre ein russisches Eingreifen nicht sogar im westlichen Sinne?
Kaim: Die russische Politik ist ein bisschen schillernd, aber letztlich ist sie gar nicht so weit davon entfernt von der westlichen Politik. Viele westliche Regierungen haben ja vor wenigen Jahren noch als Ausgangspunkt ihrer Politik verwendet, dass Präsident Assad gehen müsse, was damals illusorisch war und heute sich auch weiterhin als illusorisch erweist. Und die jüngsten Vorstöße gerade auch der britischen Regierung zielen ja eher darauf ab, eine Art Regierung der nationalen Einheit zu bilden, für eine Übergangszeit Präsident Assad an dieser zu beteiligen und ihn dann langsam ausscheiden zu lassen. Die Idee ist dahinter, sozusagen das Regime Assad zu erhalten, um auch eine Implosion des politischen Systems, wie wir das vergleichbar 2003 im Irak gesehen haben, zu verhindern, also das Chaos zu verhindern, und das scheint mir eine Linie zu sein, auf die Russland sich einlassen könnte, und entsprechende Signale hat es in den letzten Wochen auch aus Moskau gegeben.
Heinemann: Halten Sie das, worüber der "Guardian" heute berichtet hat, für einen erfolgversprechenden Vorschlag?
Kaim: Wir haben schon in den vergangenen Jahren - der syrische Bürgerkrieg dauert ja nun schon gute vier Jahre - diverse Versuche und Unternehmungen vernommen, eine Übergangsregelung zu finden. Das ist ja auch die Grundlage der Genfer Verhandlungen gewesen, die ja in einem bestimmten Format unter Obhut der Vereinten Nationen die Regierung und die Opposition zusammengebracht haben. Da ist nichts bei herausgekommen. Das heißt nicht, dass man es nicht versuchen sollte. Nur ich glaube, nicht nur für westliche Regierungen, sondern insbesondere für viele Syrer, die das Land in den letzten Wochen und Monaten verlassen haben, ist eine politische Zukunft des Landes und auch eine persönliche Rückkehr unvorstellbar in ein politisches System hinein, in dem Präsident Assad weiterhin eine Rolle spielen wird. Von daher, glaube ich, ist diese Kompromissformel, für eine Übergangszeit ihn pro forma im Amt zu lassen, aber gleichzeitig ihn sukzessive zu entmachten, der einzig gangbare Weg.
"Wir sind hier mit einem Dilemma konfrontiert"
Heinemann: Ist halt die Frage der Alternativen. Bilden Assads blutige Hände, verglichen mit der Terrororganisation IS, vielleicht das kleinere Übel?
Kaim: Das ist eine Frage der politischen Bewertung. Aber wir sind hier mit einem Dilemma konfrontiert, das wie so häufig in der internationalen Politik sich stellt, dass die internationale Gemeinschaft sich mit der Perspektive konfrontiert sieht, mit jemandem kooperieren zu müssen, wenn auch nur für eine überschaubare Zeit, den sie vor wenigen Monaten noch als inakzeptablen Schlächter und Initiator des Bürgerkrieges betrachtet hat. Und in der Tat: In einer moralischen Perspektive ist das auch schwer zu akzeptieren, dass jemand, der die Verantwortung für Chemiewaffen-Angriffe trägt, dass jemand, der Verantwortung für den Abwurf von Fassbomben auf zivile Wohnbezirke trägt, dass der nicht nur nicht von den internationalen Strafgerichtsbehörden verfolgt wird, sondern sogar noch für eine befristete Zeit politisch im Amt bleiben wird. Nur Sie haben die entscheidende Frage gestellt: Was soll die Alternative sein? Und eine unkontrollierte Implosion der politischen Institutionen in Syrien und damit ein Vormarsch des IS und ein Abgleiten des syrischen Staates in ein vollständiges Chaos, daran hat niemand ein Interesse.
Heinemann: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.