Dirk-Oliver Heckmann: Wenn der Bundestag zustimmt - und daran gibt es, wie gerade im Bericht von Klaus Remme gehört, keinen Zweifel -, dann schickt Deutschland bis zu 1200 Soldaten in den Einsatz zur Bekämpfung der IS-Terrormiliz. Ist das eine verantwortbare und gute Entscheidung? Das habe ich heute Abend den Friedensforscher Otfried Nassauer gefragt. Er ist Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit.
Otfried Nassauer: Eine gute Entscheidung ist es nach meiner Meinung nicht, und zwar, weil man erstens kein klar definiertes Ziel hat und keine Strategie, wie dieses nicht definierte Ziel denn erreicht werden soll. Krieg ist kein geeignetes Mittel, um Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. Es entzieht ihm die personellen und finanziellen Ressourcen doch nicht, und genau da liegt das eigentliche Problem drin. Ich habe gedacht eigentlich, dass Frankreich nicht ähnlich wie die USA nach 9.11 mit einer primär militärischen Reaktion kommt, sondern eher, wie es in der französischen Tradition liegt, mit einer gesamtstrategischen und politischen Reaktion, und da ist meiner Einschätzung nach gerade eine deutliche Fehlentwicklung im Gange.
IS könnte sich auf verschiedene Länder verteilen
Heckmann: Jetzt würde weder die französische, noch die deutsche Bundesregierung wahrscheinlich behaupten, dass es sich bei diesem Militäreinsatz allein um einen Militäreinsatz handelt, sondern dass dieser Einsatz eingebettet ist in eine Gesamtstrategie.
Nassauer: Das ist richtig. Es wird natürlich in Zukunft auch mehr entwicklungspolitische Mittel für den Nahen und Mittleren Osten geben. Aber ob das denn eine Strategie ist, die geeignet ist, um IS zu beseitigen, da habe ich meine großen Zweifel. Schauen Sie, militärisch kann der IS nicht kapitulieren. Das ist kein Staat. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus diesem Konflikt resultiert, dass sich die Kämpfer auf verschiedene Länder verteilen, wenn sie denn militärisch besiegt werden sollten, das ist ziemlich groß, und dann haben Sie im Prinzip ein ähnliches Ergebnis wie nach dem Afghanistan-Krieg. Es gibt sozusagen mehr Hotspots.
Heckmann: Herr Nassauer, es gibt doch auf allen möglichen Ebenen die Versuche, eine internationale Allianz zu schmieden. Da sind in Wien die Syrien-Gespräche, jetzt in Paris auch die Gespräche zwischen Obama und Putin auf der einen Seite und mit Erdogan auf der anderen Seite beispielsweise. Die Versuche sind ja da. Muss man denn so lange warten, bis wirklich das Ergebnis da ist, bevor man handelt?
Nassauer: Erstens: Korrekt ist, dass man es versucht mit vielen verschiedenen Akteuren. Man versucht ja auch, mit vielen verschiedenen Bodentruppen das zu ersetzen, was die westliche Welt nicht leisten will, nämlich Bodentruppen zu schicken. Aber wenn man mal genau hinguckt, heißt das ja, dass man dort in dieser Koalition ganz viele Kräfte mit sehr unterschiedlichen Interessen hat, teilweise sogar mit so divergierenden Interessen, dass die Akteure möglicherweise auch mal die Waffen gegeneinander erheben würden. Das ist meiner Einschätzung nach als Dialogforum notwendig, aber vermutlich nicht der Ort, wie man eine für alle akzeptable Lösung finden kann.
Gesamtstrategie vor militärischem Einsatz
Heckmann: Das heißt, Sie würden ganz klar sagen, es muss erst eine Gesamtstrategie her, die auch militärische Maßnahmen beinhalten kann, aber nicht allein diese Militärschläge? Das nützt nichts?
Nassauer: Eindeutig so müsste es sein, ja, und zwar auch unter dem Blickwinkel, dass in den nächsten 10 oder 15 Jahren in Ländern wie beispielsweise Algerien oder so durchaus auch ähnliche Probleme auftreten können und dass die heutigen Kämpfer des IS durchaus in Ländern wie Libyen ja heute schon aktiv sind und man deswegen nicht von einer geografischen Begrenztheit des Problems reden kann, sondern sich tatsächlich über eine Gesamtstrategie unterhalten muss.
Heckmann: Sie haben gerade schon das Thema Bodentruppen angesprochen. Bleiben wir mal beim Thema Syrien. Es gab ja in den letzten Tagen in Paris, aber auch in Berlin die Diskussion, Zusammenarbeit mit der syrischen Armee ja oder nein. Die offizielle Position der Bundesregierung ist, jetzt nicht mit Assad zusammenzuarbeiten, auch nicht mit einer Armee unter Assad. Worauf läuft das aus Ihrer Sicht heraus, dass man sich angesichts der Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat dann doch mit Assad zusammentut, offiziell, für eine Übergangszeit auch nur?
Nassauer: Das könnte die eine Entwicklungsrichtung sein. Die andere könnte die Hoffnung sein, dass sich Teile der syrischen Armee von Assad entfernen und mit den westlichen oder insgesamt den Koalitionstruppen auch inklusive Russland dann zusammenarbeiten, um den IS zu bekämpfen, und das dann halt eben ohne Assad machen. Ich weiß nicht, wie weit die Wiener Gespräche in dieser Hinsicht Signale ergeben haben, ob es in die Richtung gehen könnte. Ich bezweifle es eigentlich, weil diejenigen, die aus der Assadschen Armee desertieren wollten oder dazu bereit gewesen wären, die sind eigentlich alle schon weg.
UNO-Resolution verfassungsrechtlich nicht bedenklich
Heckmann: Verteidigungsministerin von der Leyen hat heute im Deutschlandfunk gesagt, es gebe eine völkerrechtlich saubere Grundlage, und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der sieht das genauso, und tatsächlich beruft man sich ja auf Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats zur Bekämpfung des IS und auch auf das Selbstverteidigungsrecht der Vereinten Nationen. Sehen auch Sie oder sehen Sie wenigstens eine gute völkerrechtliche Grundlage für die Entscheidung?
Nassauer: Ich sehe eine weitgehend vorhandene völkerrechtliche Grundlage. Ich glaube nicht, dass da eine Verfassungsklage eine größere Chance hätte. Ich habe allerdings eine kleine Anmerkung zu machen. Die kleine Anmerkung lautet: Im Irak ist die völkerrechtliche Basis aufgrund der Tatsache, dass die irakische Regierung der UNO mitgeteilt hat, wir haben Gebietsteile unseres Landes, die wir nicht mehr kontrollieren können. Da ist die völkerrechtliche Basis besser als in Syrien. In Syrien müsste man eigentlich zusätzlich noch einen Brief von Herrn Assad haben, der sagt, ihr dürft bei uns operieren. Den Brief hat man natürlich nicht.
Heckmann: Herr Nassauer, das Mandat, jetzt das Bundestagsmandat, das soll ja in Rekordzeit, innerhalb weniger Tage durchs Parlament regelrecht gepeitscht werden. Ist dieses Tempo angesichts der doch weitreichenden Entscheidung angemessen?
Nassauer: Zwingend notwendig ist es auf keinen Fall, weil das Operative, sprich der Einsatz deutscher Truppen sowieso erst im Januar beginnen kann und man vorher eigentlich nur Symbolpolitik, nämlich frühzeitige Verlegungen machen kann. Man hätte also Zeit. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass die Bundesregierung die öffentliche Debatte über diesen Einsatz kurz halten will.
Heckmann: Es stehen ja auch Parteitage an von SPD und CDU.
Nassauer: Das könnte durchaus damit zu tun haben. Ich habe so den Verdacht, dass man nicht zu viel öffentliche Diskussion vorhaben will, weil sich dann die Opposition gegen ein solches Vorgehen vielleicht noch deutlicher artikulieren könnte.
Heckmann: Herr Nassauer, letzte Frage. In Istanbul, da hat es heute Abend eine Explosion in einer Metro-Station gegeben. Es deutet einiges darauf hin, dass es sich jetzt doch um einen Bombenanschlag gehandelt hat. Wird die Terrorgefahr auch in Deutschland steigen nach dieser Entscheidung für einen Syrien-Einsatz?
Nassauer: Ich habe den Eindruck, dass die Terrorgefahr in der westlichen Welt unabhängig von solchen konkreten Entscheidungen in den letzten Jahren gestiegen ist und auch wahrscheinlich noch weiter steigen wird und dass das nicht unbedingt einen direkten Einfluss darauf hat. Die Frage wird mehr oder weniger die sein, ob man noch weitere Jahre damit "vergeuden" will, primär militärische Lösungen für ein politisches Problem zu suchen.
Heckmann: Der Friedensforscher Otfried Nassauer war das hier im Deutschlandfunk.
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