Dima Wannous wurde 1982 in Damaskus geboren und studierte Französische Literatur unter anderem an der Sorbonne in Paris sowie Übersetzungswissenschaften in Lyon und lebt seit 2013 in Beirut. Die syrische Revolution hat ihr Leben fest im Griff: Als aktives Oppositionsmitglied schreibt sie politische Artikel für arabischsprachige Tageszeitungen und führt in einem Kulturprogramm des Satellitenfernsehsender "Orient"Interviews mit Oppositionellen. Ihr Programm heißt "Je suis de là bas" oder "Ana min journal". Der Titel nimmt Bezug auf den palästinensischen Poeten Mahmoud Darwich, der sagt: "Ich komme von dort, aber ich bin nicht dort. Ich bin von hier. Aber ich bin weder dort, noch hier". Dieses Flüchtlingsschicksal teilen sich Millionen von Menschen.
Dunkle Wolken ziehen über der drei Millionen Stadt am Rande der Wüste herauf und verdichten sich zu einer Bedrohung. Es ist eine schwüle, niederdrückende Stimmung, die den Protagonisten das Atmen schwer macht. Angst und Anspannung führen unter der Diktatur des Assad-Regimes zu einer Stagnation, zu einer Ruhe vor dem Sturm. Die dunklen Wolken entladen sich vier Jahre später, im März 2011 in Form einer Revolution, wie eine unausweichliche Folge im Kreislauf eines Naturgesetzes.
"Dunkle Wolken über Damaskus" erschien 2007 auf Arabisch, die deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Larissa Bender und mit einem Vorwort der Autorin versehen, im November 2014. Gerade aus diesem Abstand heraus bietet das Buch einen Blick zurück in die Zeit der uneingeschränkten Macht von Baschar Al Assad, in die sich heute in Anbetracht der haltlosen Gewalt und Zerstörung viele zurücksehnen. Die Autorin Dima Wannous erinnert nur zu deutlich daran, dass trotz der gewaltsamen Wendung, die die anfangs friedliche Revolution nahm, der Zusammenbruch des Assad Regimes zwingend notwendig war.
"Typische Protagonisten" des heutigen Syriens
Anhand von neun "typisch syrischen" Protagonisten beleuchtet sie einen Querschnitt der Gesellschaft aus allen sozialen Schichten und Berufen. Doch egal ob Redaktionsleiterin, Taxifahrer, einflussreicher Finanzier, Spitzel oder Hausfrau: Der Motor ihrer Handlungen sind Angst, Unfähigkeit und Habgier. Umsichtiges Hofieren, vorauseilender Gehorsam und regierungstreue Meinung sind die Folge. Die eindringlichen Porträts schildern zerstörte und gestörte Persönlichkeiten, die "zwar miteinander lebten, aber nichts voneinander wussten", da sie sich vor dem Spitzelsystem einer alles beherrschenden Diktatur in ihre vier Wände zurückgezogen hatten.
Ein Spitzelsystem, das der syrische Geheimdienst einst von seinem Bündnispartner DDR übernahm. In diesem Vakuum aus fehlender Öffentlichkeit und Zivilcourage blühen Korruption und politische Vorteilsnahme auf und nehmen absurde und groteske Züge an. "Das Gras wächst gemeinschaftlich", in Dima Wannous Buch, " und keinem Halm wird gestattet, höher zu werden als sein Nachbar." Und doch gibt es Menschen wie Dschihâd Mustafa Al-Aga, "Sohn eines der bedeutendsten Entscheidungsträger des Landes im Ruhestand. Er gehört zu den Leuten, die über 30 Jahre hinweg auf ihren Posten sitzen und wie Filmstars strahlen". Die Position als "Sohn von" macht sich Dschihad zunutze, er nennt mehrere Fabriken sein Eigentum, eine große Shopping Mall, er ist Besitzer einer Leihwagenfirma und einer Handelsvertretung für italienische Schuhe. Dschihad nutzt seine Arbeiter schamlos aus und sieht sich wohlwollend als Bekämpfer von Armut und Arbeitslosigkeit.
Wie untrennbar Regierungstreue und Wohlstand miteinander verbunden sind, zeigt sich auch bei Dschaafar.
"Das erste Porträt in meinem Buch, ist das von Dschafaar, einem Verantwortlichen des Sicherheitsministeriums und seinem Sohn Udai. Dschafaar lebt ein vollkommen "normales" Leben: Er hat eine Familie, Kinder, er hat Bedürfnisse und Freunde, er empfindet Schmerz und Freude. Er foltert und tötet am Morgen und kommt abends nach Hause, um mit seinen Kindern zu spielen oder mit seinen Freunden etwas Trinken zu gehen, als wäre nichts Besonderes vorgefallen. Ich kenne viele solcher Fälle aus Syrien, aus Libyen, aus dem Irak. Sie nehmen anderen das Leben und kosten ihr eigenes mit allem zur Verfügung stehenden Luxus über alle Maßen aus. "
Im Arabischen ist Dima Wannous Buch unter dem Titel "Tafasil" erschienen - "Detail". Und genau jene kleinen Details sind es, auf die der Leser wie in einem Suchbild stößt und sie als "Fehler" erkennt. Diese Details geben Hinweise darauf, wie sich die Protagonisten mit dem Regime eingelassen, sich mit Kompromissen oder Lügen abgefunden haben, um vom System zu profitieren und damit das System immer weiter mit tragen, bis sie selbst wesentliche Bausteine darin bilden.
Während die Protagonisten des Buches 2007 noch mehr oder weniger ihre Regimetreue unter Beweis stellen, gewinnen diese "Details" 2011 eine fast überdimensionale Bedeutung: Die einen unterstützen das Regime, die anderen gehen auf die Straße, demonstrieren, werden beschossen, sterben, emigrieren oder bewaffnen sich. Aus Freundschaften entsteht Hass. Im Vorwort ihres Buches fragt sich Dima Wannous: "Haben wir die Anzeichen der Brutalität auf dessen Gesichtern nicht wahrgenommen? Haben wir nicht gesehen, wie in jenen Menschen, die vor nicht allzu langer Zeit unsere Freunde gewesen waren, kleine Verbrecher heranwuchsen?"
Hass innerhalb von Familien
"Damals, als ich das Buch schrieb, wusste ich noch nicht, dass sich viele Freunde und Verwandte in Mörder verwandeln würden. Aber das war nach der Revolution der Fall. Meine Nichte, mit der ich den Großteil meines Lebens verbracht habe, schrieb mir auf Facebook: "Ich werde deinem Sohn nicht die Kehle durchschneiden. Ich möchte, dass dich Männer vor seinen Augen vergewaltigen und langsam töten, damit er dieses Bild nie wieder vergisst." Ich war natürlich sehr schockiert und habe eine kritische Phase durchlebt.
Die regierende syrische Baath Partei von Baschar al Assad, bestehend hauptsächlich aus einer alevitischen Minderheit, hatte über Jahrzehnte die Macht unter sich aufgeteilt. Jetzt fürchten sie sich vor der Rache der Sunniten und erklären die Revolution zu einem Bürgerkrieg oder einem Konfessionskrieg in dem Dima Wannous als Oppositionelle Alevitin für die Aleviten eine Verräterin ist. Auch von anderen Verwandten erhält sie massive Morddrohungen.
"Ich werde von der syrischen Regierung gesucht. Ich stehe auf der Abschussliste. Denn ich bin Oppositionelle und ich bin Alevitin. Wäre ich Sunnitin würden sie sagen: Ok, das verstehen wir. Aber als Aleviten bin für sie eine Feindin aus den eigenen Reihen. Ich stehe ihnen sehr viel näher und daher bin ich für sie gefährlicher. Aber das Schlimmste ist: Viele Beziehungen und damit die Grundsteine der syrischen Gesellschaft sind für immer zerstört worden. "
Wannous wird nicht mehr nach Syrien zurückkehren können
Wenn ihr Pass ausläuft, wird Dima Wannous keine Staatsangehörigkeit mehr haben, denn eine Rückkehr in ein Syrien unter Assad wird ihr für immer verwehrt bleiben. Und ein neuer syrischer Staat ist nicht in Sicht. Umso deutlicher stellt sich die Frage, wie die Weltgemeinschaft mit dem Syrienkonflikt umgehen wird.
"Die ganze Welt erstarrt in Angst vor der IS und seiner Tötungsweise. Aber ich verstehe nicht, warum. Das syrische Regime vollbringt jeden Tag Massaker am syrischen Volk. Täglich sterben immer mehr Menschen an der Folter durch das Assad Regime. Und der Westen bietet Assad jeden Monat mindestens einmal eine Plattform in einem Fernsehkanal, um zu lügen, um nichts zu sagen oder dieselben einfältigen Phrasen zu wiederholen. "
Syrien so gefährlich wie IS
"Europa sollte dem syrischen Regime den gleichen gefährlichen Status einräumen, wie der IS. Denn Syrien ist ohne den Iran und die Hizbollah nicht mehr zu denken und für mich ist der Iran viel gefährlicher, als die IS. Der Iran ist ein großer und mächtiger Staat der Intellektuelle und Oppositionelle tötet, Frauen zur Unterwürfigkeit zwingt und fundamentalistische Attentate befürwortet und unterstützt. Die IS hingegen ist eine Maffia. Niemand weiß, wer sich dahinter wirklich verbirgt.
In Anbetracht dieser Situation ist es für Dima Wannous besonders wichtig im Zusammenhang mit dem Konflikt in Syrien nicht von einem Bürgerkrieg, sondern von einer Revolution zu sprechen.
"Ich wehre mich gegen die Leute, die behaupten, Syrien befände sich in einem Bürgerkrieg. Für mich ist es eine Revolution, weil das Regime unentwegt Menschen tötet - und es Syrer gibt, die sich diesem Regime widersetzen. So lange die syrische Regierung das Töten nicht einstellt, wird auch die Revolution andauern. "
Mit dem Ausbruch der Revolution und der zunehmenden Gewalt ist die syrische Literatur fast zum Erliegen gekommen. Dima Wannous schreibt politische Artikel in Tageszeitungen und interviewt Oppositionelle für den Satellitensender "Orient TV", um so die Revolution voran zu treiben. Literarisches Schreiben gelingt ihr jedoch nicht mehr.
"Für mich ist es im Moment unmöglich, mir eine fiktive Geschichte auszudenken. Manchmal entflieht man der Realität in seine Vorstellungswelt, aber das ist im Moment unmöglich, denn meine Imagination ist vollkommen blockiert von den erschütternden Ereignissen, die sich in jedem Moment zutragen."
Dima Wannous: "Dunkle Wolken über Damaskus"
Nautilus Verlag November 2014, 124 Seiten, 14,99 Euro
Nautilus Verlag November 2014, 124 Seiten, 14,99 Euro