Burkhard Müller-Ullrich: In Paris am Sitz der UNESCO, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, fand in den letzten Tagen eine Konferenz über das syrische Kulturerbe statt, denn überall wo Krieg herrscht, kommen nicht nur Menschen zu Tode, sondern dort werden auch unwiederbringliche historische Schätze zerstört. Die Liste der Verluste in Afghanistan, Libyen oder Mali ist schon exorbitant, aber was in Syrien geschehe – so formulierte es ein UNESCO-Funktionär -, sei mit nichts vergleichbar. Mechthild Rössler, Sie sind Vizedirektorin des Welterbeprogramms der UNESCO, was heißt mit nichts vergleichbar?
Mechthild Rössler: Es geht um die Dimensionen. Wir hatten sonst einige Stätten, die zerstört wurden, oder wir haben es auch in Mali gesehen mit Timbuktu und den Manuskripten. Aber in Syrien ist die Dimension so viel größer, weil es mit zur Wiege der Menschheit gehört, es liegt an verschiedenen Kreuzwegen der Menschheitsgeschichte, wenn Sie so wollen, und wir haben allein sechs Welterbestätten in Syrien, die extrem beschädigt sind oder sehr gefährdet sind und die wir inzwischen alle auf die Welterbeliste in Gefahr genommen haben. Dazu gehört Damaskus, die Altstadt von Bosra, die Altstadt von Aleppo, die archäologische Stätte von Palmyra, und dass wir Krak des Chevaliers nennen sowie die alten Dörfer, die unbewohnten Dörfer in Nordsyrien. Das sind die sechs Welterbestätten. Dazu gehören noch eine Reihe von Stätten auf der Tentative-Liste von Syrien, die in der Zukunft nominiert werden sollten und wo wir auch von Zerstörungen wissen. Das heißt, die Dimensionen, die dieses ganze Land betreffen, sind nicht vergleichbar mit anderen Konfliktherden in der Welt.
Müller-Ullrich: Welcher Art sind denn die Zerstörungen und wodurch kommen sie zustande? Ist das einfach der Beschuss, ist es gewissermaßen Kollateralschaden, oder werden die Kulturerbestätten direkt unter Beschuss genommen?
Illegalen Handel mit Kulturgütern verhindern
Rössler: Man kann sagen, dass es unterschiedliche Gefährdungen sind. Zum Beispiel die alten Dörfer in Nordsyrien sind etwas weniger beschädigt, während Krak des Chevaliers und die Altstadt von Aleppo – da haben wir ja alle die Bilder im Kopf – wahnsinnig zerstört sind. Teilweise wurden sie auch als Militärstationen genutzt. Die anderen Schäden, die wir aktiv bekämpfen, sind der Handel von Gegenständen aus den archäologischen Stätten, und da sind auch alle anderen Staaten gefragt, unter anderem auch Deutschland, die die Konvention von 1970 zur Verhinderung dieses illegalen Handels unterschrieben haben, und da arbeiten wir vor allem mit den Grenzländern Türkei, Jordanien und so weiter zusammen, um zu verhindern, dass noch mehr Objekte vor allem aus den archäologischen Stätten, auch aus Museen aus dem Land geholt werden, und wir versuchen zu machen, was da zu machen ist. Aber das Ziel der Konferenz der UNESCO war einfach, ein Mapping, eine Übersicht zu machen, wer hat wo geforscht, welche Daten liegen vor, wie können wir unter dem Schirm der UNESCO sozusagen gemeinsam arbeiten, und das Fantastische an der Konferenz – das muss ich wirklich sagen – war, dass wir sowohl die Opposition als auch den Staat, alle haben wir zusammengebracht, um diese Informationen überhaupt erst einmal zusammenzutragen.
Müller-Ullrich: Ich wollte Sie gerade nach den Informationen fragen. Wo kommen die denn her? Man kommt ja nicht so einfach nach Syrien.
Rössler: Die Informationen kommen sowohl vom Departement of Antiquities in Syrien als auch von Individuen, Archäologen und anderen. Es gibt noch Leute, die vor Ort sind. Die internationalen Missionen, zum Beispiel archäologische Missionen wie das Deutsche Archäologische Institut, die können natürlich nicht mehr im Moment in Syrien arbeiten. Die arbeiten zum Beispiel von Jordanien aus und tragen auch Informationen zusammen. Und wir hatten Experten aus 22 Ländern bei der UNESCO, das war ganz unglaublich, 120 Experten von 22 Ländern, und wir sind dabei, diese Informationen in einem sogenannten "Observatorium", Observatory auf Englisch, zusammenzutragen und teilweise auch Informationen elektronisch zusammenzutragen, wo wir auch die Universitäten und die Forschungseinrichtungen und individuelle Forscher dazu bringen wollen, dass sie ihre Informationen auch elektronisch der UNESCO zur Verfügung stellen, sodass wir einen Überblick haben, wer hat worüber geforscht, gibt es Bilder von den Stätten vorher und nachher, und wir arbeiten natürlich auch mit Satelliteninformationssystemen und so weiter. Wir versuchen, so viel wie möglich zusammenzutragen, sodass, wenn der Punkt kommt zum Wiederaufbau, wir die erforderlichen Informationen gleich zur Hand haben.
Müller-Ullrich: Geht es nur darum, für die Zukunft zu planen? Denn tun im eigentlichen Sinne kann man ja jetzt nichts. Ein Observatorium ist eine Beobachtungsstelle.
Kunstobjekte für die Zukunft retten
Rössler: Genau! Aber was wir tun können – und deswegen habe ich den illegalen Handel von Kunstobjekten erwähnt -, wir können sehr viel tun, indem wir feststellen, wo diese Objekte sind. Wir arbeiten zum Beispiel, eine Vertreterin von Christie's war auch da und die haben uns auch über den juristischen Status dieser Objekte informiert. Wir arbeiten mit Museen weltweit zusammen, mit Interpol, und da können wir im Moment sehr viel tun. Manchmal geraten halt Kunstobjekte auch auf den Markt aus reiner Not von Leuten vor Ort, und wir versuchen, diese Kunstobjekte für die Zukunft zu retten.
Müller-Ullrich: Das war Mechthild Rössler, Vizedirektorin des Welterbeprogramms der UNESCO. Das Gespräch wurde vor der Sendung aufgezeichnet.
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