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Syrienkrieg
Aleppo hilft sich selbst

Vor zwei Jahren haben syrische Regierungstruppen Aleppo zurückerobert. Große Teile der Metropole sind immer noch zerstört, der Staat hat kein Geld für den Wiederaufbau. Die Menschen in der Stadt legen deswegen selbst Hand an - und hoffen sogar auf Touristen.

Von Anne Allmeling |
Eine Frau arbeitet mit dem Vorschlaghammer inmitten von Trümmern in der syrischen Stadt Aleppo.
Eine Frau arbeitet mit dem Vorschlaghammer - inmitten der Trümmer in der syrischen Stadt Aleppo (Mikhail Voskresenskiy / Sputnik Foto: Mikhail Voskresenskiy/Sputnik/dpa )
Eine Gasse in der Altstadt von Aleppo. Die meisten Häuser sind zerstört, Schutt liegt in den Eingängen. Wo früher einmal Geschäfte waren, klaffen große Lücken. Kinder spielen zwischen dem, was noch übrig ist vom alten Basar. Die Gasse führt zu einem kleinen Tor.
Abdul begrüßt seine Gäste – in einem Haus, wie es früher viele gab in der Altstadt von Aleppo. Anfang 2000 hat Abdul darin ein Boutique-Hotel eröffnet. Seine Gäste kamen vor allem aus Europa, das Geschäft lief blendend:
"Ich habe ein Kundenbuch hier. Ich hatte Kunden bis Anfang 2011."
Als der Volksaufstand in Syrien begann, blieben die Touristen aus – auch bei Abdul. Anfang 2012 verließ er Aleppo und zog zurück in sein Heimatdorf. Das Haus überließ er einer befreundeten Familie. Anders als viele Gebäude in der Nachbarschaft blieb Abduls Hotel während des Krieges weitgehend intakt; auch der große Zitronenbaum im Innenhof hat überlebt. Abdul war trotzdem schockiert, als er nach den jahrelangen Kämpfen zwischen Regierungsanhängern und ihren Gegnern nach Aleppo zurückkehrte.
"Es war eine Katastrophe. Ich meine: Alles ist kaputt. Aber seit zwei Jahren wird es jede Woche besser, jede Woche ist es sauberer."
Viele Menschen legen selbst Hand an
Wie viele Menschen in der Stadt hat Abdul selbst Hand angelegt, Schritt für Schritt wieder aufgebaut, was zu Bruch gegangen war. Abdul erklärt:
"Die Leute in Syrien und in Aleppo, die Leute sind sehr aktiv. Und viele, so wie ich, wir haben selbst unsere Häuser renoviert. Und viele Leute haben auch dasselbe gemacht für Geschäfte."
Ein paar Straßen weiter steht Mohammed vor seinem Geschäft. Es ist eines der wenigen, die in dieser Gegend geöffnet haben – die meisten Häuser sind stark beschädigt und stehen leer. Mohammed wartet auf Kundschaft. Er sagt:
"In der Woche verkaufe ich etwas an zwei oder drei Kunden. Ich danke Gott dafür. Wichtig ist, dass ich den Leuten signalisiere, dass ich geöffnet habe, während die anderen geschlossen sind."
Mohammeds langes Gewand ist zerschlissen, tiefe Falten durchziehen sein Gesicht. Er sieht aus wie ein Greis, dabei ist er gerade einmal 62 Jahre alt. Mohammed hat viel durchgemacht in den vergangenen Jahren. Das Lager seines Ladens wurde bombardiert, seine beiden Häuser zerstört.
Ein Verdienst von einem US-Dollar pro Tag
Mohammeds Kinder haben das Land verlassen. Seine Frau und er sind geblieben – und schlagen sich durch. Umgerechnet einen Dollar verdient Mohammed pro Tag. Für Essen und Trinken, Strom und Gas brauche er aber dreimal so viel, sagt er. Und oft werde den Händlern zusätzlich Geld abverlangt:
"Wenn ich die Ware hierherbringe, fahre ich an mehreren Checkpoints vorbei. Sie sagen uns: Ihr müsst zahlen. Ich kann aber nicht zahlen, denn ich habe den ganzen Tag über nur einen Dollar verdient, wie soll ich da bezahlen?"
Mohammed sagt das, während ein Mann vom Informationsministerium zuhört. Er deutet an, was vielen Menschen in Syrien zu schaffen macht: die weit verbreitete Korruption. Wer in Syrien etwas erreichen will, braucht Bares. Hilfe für den Wiederaufbau gibt es kaum, denn dem syrischen Staat mangelt es an Geld. Seine Verbündeten Russland und Iran halten sich mit Aufbauhilfen zurück, der Westen ohnehin – aus politischen Gründen. Ein großer Ärger für Fares Al-Shehabi, unabhängiger Abgeordneter für Aleppo im Syrischen Parlament:
"Die EU muss die Wirtschaftssanktionen aufheben. Das syrische Volk hat unter diesen ungerechten Sanktionen genug gelitten. Wohingegen die Gangs, die Rebellen, die dschihadistischen Rebellen, die von der EU unterstützt wurden, unser gestohlenes Öl umsonst bekommen. Sie bekommen Geld aus den Golfstaaten, sie können Waffen bekommen, aber gegen sie gibt es keine Sanktionen, nur gegen die säkulare Regierung und gegen das syrische Volk."
Kritik an Baschar Al-Assad ist tabu
Fares Al-Shehabi lässt keinen Zweifel daran, dass er den syrischen Machthaber Baschar Al-Assad unterstützt. Kritik am Präsidenten ist tabu in den Teilen des Landes, die die Regierung kontrolliert.
In einer Fabrik außerhalb der Stadt duftet es nach Oliven und Lorbeer. Mazen Zanabili produziert wieder Seife – Seife, für die Aleppo weltberühmt ist. Selbst während des Krieges, als er wegen der Kämpfe nicht in seine Fabrik konnte, hat Mazen Zanabili die Produktion nie ganz eingestellt. Er kochte kleinere Mengen zu Hause in einem Bottich, um auf dem Markt präsent zu bleiben. Die erste große Charge aus der Fabrik ist fürs Ausland gedacht. Mazen Zanabili:
"Ich exportiere nach Japan, Korea, China – und früher auch nach Frankreich und Italien. Mit Korea habe ich Handelsbeziehungen seit mehr als zwölf Jahren. Seit drei oder vier Jahren bezieht auch China unsere Ware."
Ein Arbeiter drückt den Seifenstücken einen Stempel auf – sie sollen Mazens Marke unverwechselbar machen. Im Hof laufen mehrere Generatoren – ein zusätzlicher Kostenfaktor, denn Strom gibt es in dieser Gegend noch nicht.
"Die Fabriken, die 200 oder 300 Tonnen produzieren wollen, produzieren sie, auch wenn die Kosten der Treibstoffe steigen. Die Treibstoffpreise erhöhen auch den Preis der Ware, aber das verhindert nicht die Produktion. Was unsere Produktion verhindert hat, war die Kontrolle der Terroristen über unsere Gebiete."
"Bald wird wieder alles in Ordnung sein"
Seit gut zwei Jahren kontrollieren die Regierungstruppen die Stadt. Während der "Krise", wie die Menschen in Syrien den Krieg nennen, hat Mazen Zanabili auf sein Erspartes zurückgegriffen.
Auch Abdul hat von seinen Reserven gelebt. Als Französischlehrer, Touristenführer und Hotelbesitzer hatte er vorher gut verdient. Was davon noch übrig ist, steckt er nun in sein kleines Hotel. Neue Matratzen, Vorhänge, Teppiche – alles soll so schön wie früher werden.
"Ich hatte Gäste im September 2018. Und die Atmosphäre hier war sehr gut. Weil alle Zimmer okay sind, aber Strom haben wir bis heute offiziell nicht in diesem Viertel."
Der soll bald kommen, so habe es die Regierung versprochen, sagt Abdul. Dann könne er sein Hotel wieder richtig öffnen – auch im Sommer, wenn es in Aleppo so heiß wird, dass die Klimaanlagen laufen müssen. Abdul lässt sich seine Zuversicht nicht nehmen:
"Ich glaube, dass in diesem Jahr, wenn die Europäer ihre Botschaften öffnen, die Flugzeuge, die Fluglinien und die Touristen kommen. Wenn es wieder diplomatische Beziehungen gibt, dann ist alles in Ordnung. Und ich glaube, das wird bald so sein."