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Syrienkrieg
"Deutsche sollten sich militärisch beteiligen"

Der Nahostexperte Guido Steinberg hat die bisherige Syrienpolitik der Bundesregierung im DLF scharf kritisiert. Auch jetzt könnten Verhandlungen nicht zu einer Lösung führen, sagte Steinberg. Stattdessen sollten sich die Deutschen besonders im Kampf gegen den IS an den Luftangriffen beteiligen und vor allem Verbündete vor Ort gewinnen und ausbilden.

Guido Steinberg im Gespräch mit Bastian Brandau | 24.09.2015
    Guido Steinberg, Terrorismusexperte, Autor, aufgenommen am 05.03.2015 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner"
    Der Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte Guido Steinberg hält eine Beteiligung an den Luftangriffen in Syrien für sinnvoll. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Bastian Brandau: Die Lage in Syrien ist verfahren. Seit 2011 herrscht dort Bürgerkrieg. Hunderttausende Tote, unsagbares Leid und Millionen Flüchtlinge, die jetzt immer mehr auch nach Europa kommen. Machthaber al-Assad beherrscht zwar nur noch einen Teil des Landes, dort aber geht er brutal gegen die Zivilbevölkerung vor, unter Einsatz auch von Giftgas und Fassbomben. Das ist auch ein Grund, warum er bisher keinen Verhandlungspartner für den Westen ist. Das könnte sich jetzt ändern.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Steinberg.
    Guido Steinberg: Guten Tag, Herr Brandau.
    "Jetzt wird die Realität zum ersten Mal anerkannt"
    Brandau: Im Syrien-Konflikt hat sich Deutschland bisher zurückgehalten, keine Verhandlungen mit Assad, kein Eingehen auf Russland, den Assad-Unterstützer. Jetzt, wo man merkt, dass der IS nicht wirklich unter Kontrolle zu bekommen ist, und jetzt, wo Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa kommen, kommt offenbar das Umdenken. Kann man das als Rückkehr der deutschen Realpolitik verstehen?
    Steinberg: Ja. Ich denke, dass man das durchaus so nennen kann. Allerdings muss man sehen, dass vor allem die USA, aber auch die Europäer schon in den vergangenen Monaten immer wieder klar gemacht haben, dass sie an diesem frühen Ziel, Assad vollkommen aus jeglichem Lösungs-Verhandlungsprozess auszuschließen, nicht mehr festhalten. Der amerikanische Außenminister Kerry hat das, glaube ich, am deutlichsten gesagt.
    Insgesamt ist diese Forderung, dass Assad zuerst gehen muss und dann erst verhandelt werden kann, ein Relikt der Jahre 2011/2012, als die Bundesregierung und viele ihrer Verbündeten geglaubt haben, dass es nur noch eine Frage von Monaten ist, bis Assad stürzt. Dem ist nicht so; das war allerdings auch damals schon zu erkennen. Aber jetzt wird diese Realität meines Erachtens zum ersten Mal anerkannt.
    "Es geht nicht um Assad, sondern um die Menschen in Syrien"
    Brandau: Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Thomas Oppermann, hat es auch wieder heute gesagt: Verhandlungen mit Assad, aber keine Zukunft für Assad in Syrien. Wie realistisch ist das denn?
    Steinberg: Das ist vor dem Hintergrund der Lage im Moment doch eher unrealistisch. Assad hat mittlerweile seit vier Jahren die Unterstützung Russlands. Er hat die Unterstützung Irans. Er hat die Unterstützung der Hisbollah. Und es gibt immer noch viele Menschen in den vom Regime kontrollierten Gebieten, zu dem ja auch die meisten großen Städte des Landes immer noch gehören, die Assad zwar nicht unbedingt schätzen, die aber die Alternative fürchten.
    Insofern glaube ich, dass man vor Beginn der Verhandlungen, die ja jetzt demnächst wohl folgen werden, seine Forderungen nicht allzu hoch schrauben sollte. Letzten Endes geht es ja auch vor allem darum, dass dieser Bürgerkrieg vielleicht etwas an Intensität nachlässt, dass das Assad-Regime seine eigene Bevölkerung nicht mehr mit Fassbomben, nicht mehr mit Chemiewaffen angreift. Wenn das geschieht, wäre das ja schon viel, und das sollte man immer im Hinterkopf haben. Es geht hier nicht um die Person Assad, sondern es geht um die Menschen in Syrien.
    "Diese Politik war falsch"
    Brandau: Und ist das auch ein Eingeständnis, dass die Syrien-Politik der Bundesregierung, des Westens in den vergangenen vier, fünf Jahren falsch war?
    Steinberg: Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung das eingesteht, aber ich denke, dass diese Politik falsch war. Letzten Endes haben die Deutschen und ihre Verbündeten entgegen der Tatsachen vor Ort geglaubt, dass dieses Regime am Ende ist, schon 2011, und entsprechend auch eine falsche Politik geführt.
    Die Bundesrepublik hat vor allem die Opposition im Exil, im Ausland gestützt und gehofft darauf, dass die irgendwann einmal eine Rolle im Land spielen würden, und sie hat diese Opposition auch immer noch gestützt, als klar war, dass sie überhaupt keinen Einfluss auf die militärische Situation, auf die Rebellen im Land hat, dass sie überhaupt kein Akteur ist, und ich denke, dass die Bundesregierung das zunächst einmal revidieren muss und dass das vielleicht auch in den nächsten Monaten geschieht, wenn denn klar ist, dass auch zumindest Teile des Assad-Regimes noch bleiben werden.
    Grundfehler der deutschen Politik: Annahme, "dass das Regime bald fällt"
    Brandau: Wir erleben jetzt eine Rückkehr zur Realpolitik, weil man mit dem Regime umgehen muss. Wo ist diese Realpolitik abhandengekommen? Wo war sie vor vier, fünf Jahren, als es losging in Syrien?
    Steinberg: Ich glaube, dass der Grundfehler der deutschen Politik war, dass man hier glaubte, dass das Regime innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten fällt. Das haben viele Beobachter damals so gesagt. Das hat auch der Bundesnachrichtendienst ja noch bis vor anderthalb Jahren immer mal wieder behauptet, dass das Regime in ein oder zwei Monaten am Ende ist. Ich glaube, dass das der Grundfehler ist, und der große Fehler, den die Deutschen, meine ich, im Moment machen, ist, dass sie glauben, dass Verhandlungen zu einer Lösung für das Land führen können.
    Selbst im Idealfall, wenn Verhandlungen dazu führen, dass das Regime den Krieg gegen die eigene Bevölkerung aufgibt und sich nur auf die Stabilisierung seines eigenen Herrschaftsbereiches konzentriert, dann wird das eine Lösung für etwa ein Drittel des Landes sein, in dem immer noch eine Mehrheit der Bevölkerung lebt, aber eben nur ein Drittel des Landes.
    Der Rest wird von Aufständischen beherrscht, wird von ISIS beherrscht oder von den Kurden im Norden des Landes, und für all diese Gebiete wird man auch eine Lösung finden müssen. Und die deutsche Politik drückt sich meines Erachtens im Moment um die Frage, wie denn das geschehen soll, weil das wird mit Assad sicherlich nicht möglich sein, da eine Lösung zu finden.
    Kampf gegen den IS: Deutschland in der Verantwortung
    Brandau: Wie könnte sie da vorgehen, die deutsche Politik?
    Steinberg: Ich denke, dass es zunächst mal dieses eine Interesse gibt an Verhandlungen, die dafür sorgen, dass Rest-Syrien stabilisiert wird. Das zweite wichtige Interesse ist, dass die von den Kurden beherrschten Gebiete im Norden des Landes stabilisiert werden. Dazu braucht man die Türkei. Wenn die Türkei allerdings vielleicht nach den Wahlen ihre Kurden-Politik etwas ändert, gäbe es da vielleicht eine Möglichkeit. Das ist ein sehr, sehr dickes Brett, aber wir haben ein überragendes Interesse daran, schon allein deshalb, weil so viele Kurden aus diesen Gebieten nach Europa drängen.
    Und drittens geht es natürlich darum, ISIS zu bekämpfen, und auch da sehe ich Deutschland in der Verantwortung. Wir lassen im Moment die Amerikaner, die Briten, die Franzosen machen. Letzten Endes ist ISIS für uns eine größere Gefahr als für die Amerikaner und ich sehe nicht, warum die Deutschen da auch nicht militärisch sich beteiligen sollten.
    Brandau: Das heißt, Sie würden einen Militäreinsatz fordern?
    Steinberg: Genau, an der Seite der Amerikaner. Es sind sicherlich da einige Veränderungen in der amerikanischen Vorgehensweise gefragt, aber ich denke, wir sollten denen das nicht vollständig überlassen. Ich halte eine Beteiligung an den Luftangriffen durchaus für sinnvoll, aber auch vor allem eine Beteiligung daran, arabische Sunniten, Aufständische auszubilden, um die gegen ISIS einsetzen zu können.
    "Nicht über eigene Bodentruppen nachdenken"
    Brandau: Man hat sie ja bewaffnet. Wäre ein Einsatz von deutschen Bodentruppen denkbar Ihrer Meinung nach?
    Steinberg: Nein, meines Erachtens überhaupt nicht. Ein solcher Einsatz hinge zunächst einmal an den Amerikanern und die Amerikaner haben ja im Irak eine sehr schmerzliche Erfahrung gemacht, dass nämlich die eigenen Truppen nicht in der Lage sind, ohne Hilfe arabischer Sunniten diese Dschihadisten zu bekämpfen. Sie haben diesen Fehler revidiert, haben dann große Erfolge gefeiert 2006 bis 2008 und darauf baut auch ihre Strategie für den Irak und für Syrien im Jahre 2015 auf.
    Man sollte also nicht über eigene Bodentruppen nachdenken, sondern darüber, wie man Verbündete vor Ort gewinnt. Das ist in Syrien, denke ich, die wichtigste militärische Frage der nächsten Monate und auch die schwierigste Frage für Amerikaner und, wie ich hoffe, auch für die Europäer.
    Brandau: ... sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Steinberg, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
    Steinberg: Ich danke, Herr Brandau.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.